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Tiroler Weiler im Frühling

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Verschachtelt zwischen lattrigen Schuppen, halbgemauerten Stadel, windschiefen Stallbauten, unterbrochen von eingezäunten Krantgärtlein, naßerdigen, bretterbelegten Wegen, einem kleinen Bächlein und dem Kunterbunt abgestellter Wagen, Kratten, Raditruhen, Bretterstapel, Holzhaufen, Hackstöcken und Tennenbrücken stehen die sechs Wohnhäuser. Tiefdunkelbraun hat die Sonne die hölzernen Vorderwände gebeizt und die gemauerten Unterstöcke mit den einspringenden kleinen Stubenfenstern heben sich hell davon ab. Am Vorplatz zwischen altersschwachen Brettesböden und Steinplatten scharren die Hennen im heißen Sand, auf der krummen Hausbank, die auf einer Seite ein wenig abgesunken, müde und altersschwach za sein scheint, steht das blitzblanke Milchgeschirr zum Trocknen. Daneben lehnen RucKkorb, Rechen und Haue. Die Hitze des späten Mainachmittages mildert ein kühler Luftzug, der von den Bergen herunterkommt.

Dort oben, hoch über den letzten zausigen Fichten des Waldsaumes, glitzert der Schnee und beginnt das täglich sich ändernde Linienspiel der ausapernden Rippen, Rücken und Runsen; bald siehts wie eine Spinnenhochzeit 1 ans, dann wie ein großer Zwerg mit weißgrauem Bart und riesiger Kraxe oder der Kopf eines ■ Hundes, bald wieder wie das Gesicht eines lustigen federhutgeschmückten Jägers. Tausend Bilder und Figuren glaubt die Phantasie zu erkennen, bis eines Tages das helle Grün, das jetzt die Wiesen des Tales überzieht, auch dort oben den Spuk schnell vertreibt.

Die Schafe sind schon im Freien. Froh ist der Bauer, sie loszusein und erst im Herbst, fett und dickwollig wieder einzutreiben.

Der Talboden ist sumpfig. Heuer mehr als in anderen Jahren, denn die Lawinen, deren Reste noch bis zu den ersten Wiesen hinabreichen, haben den Bachlauf verlegt. An den heißen Nachmittagen platscht man überall in das kalte Naß, die Wege sind trotz achttägigen Schönwetters feucht und schlammig. „Unsicheren Grund“ nennt der Bauer solchen Boden, der Jahr für Jahr von Mur und Lahn bedroht wird, und betet zum heiligen Nepo-muk, dem Schutzpatron gegen Wasser. Rund um den Weiler gibt es viele solche Stellen, aHzuviele, denn Steineklauben .ist eine unnütze Arbeit, Nur das geringe Stück steiler Leiten ist gutes Feld. Dort stehen die Wiesen im Saft, breiten sich braunerdig die Kartoffeläcker und sprießt als zarter Flaum die Gerste. Rotes Eisenoxyd schwimmt in kleinen Klumpen auf dem schillernden Spiegel der stehenden Lacken. Tiefer müßten die Walle sein, intensiver die Bewässerung, doch wer hat Zeit dazu? Auf der anderen Seite verläuft“ das alte Bachbett:, aufgelöst in Sand-und Schotterinseln, Wiesenstreifen dazwischen, hartrasig, borstig und von verbissenen Lärchenstauden bewachsen. „Im Sand“ heißt es dort. Ein schmaler, schaukelnder Brettersteg führt zum rohen S'teindamm, dem „Runst“.

Die grünen Sammetflächen der Wiesen sind gelb gesprengelt, je feuchter um so dichter wird der farbenprächtige Besatz des Hahnenfußes und steigert sich an den verwachsenen Bachrändern zu einem golden leuchtenden Saum der Sumpfdotterblumen. Ein feines, zartes Blau zahlloser Vergißmeinnichtsterne lasiert wie ein stiller Widerschein des Himmels die steilen Hangwiesen und die traubig-blühenden weißen Dolden der Heckenkirschen verströmen einen berückend süßen Duft.

Vor dem kleinen , Kapellchen sitzen rotbackig, strohblond und barfuß die Mädeln und flechten aus den hohlen ineinander-gesteckten Stengeln des Löwenzahnes „Kranzein“. Die Buben schnitzeln die Stengel ein und manchen Brummer daraus Dumpf und dröhnend ist der Ton, wenn man hineinbläst.

Bis allen das Spiel zu langweilig wird und sie mit den „Röhrin“ das Seifenblasen anheben,

Der Kirschbaum in der sonnigen Ecke des Gartls öffnet gerade seine Blüten. Eine seltsame Welt ist hier auf engem Raum beisammen, wenige Kilometer südlicher in den geschützten Lagen Südtirols färben sich die Früchte um diese Zeif allmählich schon rosa. Hier in zwölfhundert Meter Seehöhe webt der Frühling erst seinen Brautschleier.

Nach den gefürchteten Eismännern wird die Setzarbeit beendet und es beginnt die erste Mahd.

Der alte Bauer, er hat seine 75 Jahre auf dem Buckel, ist zum Zaunflicken fort, man hört ihn oben am Wiesenrand klopfen und nageln. Die Lahnen und, der Schnee reißen immer von neuem Lücken in die Zäune. Die Bäuerin ist in der Küche und richtet zum „Kübeltreiben“ (Buttern) her. Blitzblank ist der niedere Raum, auf den Wandbrettern ist ist das Geschirr sorgsam aufgestellt und am Herd brodelt es in den Töpfen.

Der Weiler ist klein, kein Bauer hat hier mehr als zehn Stück Vieh in den Ställen. Und dieser dann nur, weil er zahlreiche Kinder sein eigen nennt und es nicht leicht ist, soviel hungrige Mäuler sattzukriegen.

Das Leben verschenkt keine Reichtümer; was in einem Jahr mühsam erspart wird, vernichtet das Unwetter einer Nacht oder die Krankheit eines einzigen Stückes Vieh. Die Menschen sind zufrieden in Glück und Wohlstand ihrer kleinen Welt.

In der Stube auf der Kommode stehen die verblichenen Photographien der Ahnen und Anverwandten, eine Muttergottes-Statue beschützt sie. Die Fensterbankin sind voller Blumen. Die Decke ist nieder und in altertümlich verschnörkelten Buchstaben steht Name und Jahreszahl am Balken über der Stubentür. Die meisten Häuser sind fünf bis sechs Generationen alt und jede Zeit tut das ihre dazu, richtet ein und baut um. Inmitten des örtleins, neben dem Brunnen, durch dessen dicke, ineinandergefügte Holzröhrcn das Wasser den Berg heruntereilt, stehen die kaum mehr kenntlichen Überreste eines Hauses. Nicht nur Menschen sterben, auch Häuser und Höfe. Nicht zuletzt ist das Bild des Weilers deswegen so wechselvoll, so uneinheitlich und zusammengeflickt. Der gelbgrüne Algenbesatz der modernden Bretter am Gattl ist wie ein Symbol der immerwährenden Vergänglichkeit.

Man muß schon eine gute Weile dort leben, die Menschen, welche die Häuser bewohnen, kennenlernen und sie in sich hineindenken, um die „Gatterlen“ ein wenig aufzutun, die ihr Inneres verschließen.

Es ist kein himmeljauchzendes Erheben, das du da bemerkst, aber auch kein trauriges Verzweifeln, nur ein gutes Vertrauen auf die Fruchtbarkeit der Erde, den Herrgott und die eigene Kraft. Wohl erfährt man seltsame Schicksale, aber sie sind geruhsam eingefügt in den weiten Bogen zwischen Himmel und Erde und fernab von jener geballten Dramatik, wie sie Buch und Film in übersteigerter Weise gerne darzubieten belieben. Es scheint manchmal fast, als ob- die Härte der Natur den Außenstehenden die / -nähme zwingend nahe läge, daß auch das Leben der Menschen bewußt so elementar zwischen extremen Polen verlaufe, ohne indessen zu begreifen, daß eine- uralte gütige Weisheit für jedes Wesen ein abseitig geruhsames Plätzchen bereithält.

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