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Land ohnegleichen

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LÄNGER ALS SONST bleiben jetzt die Morgennebel in den Tälern hängen, und die Sonne hat Mühe, sie hinauszuheben. Am Abend (allen sie schon frühzeitig ein, und man beginnt in ihrer Feuchte bald zu frösteln. Tagsüber aber steht der Himmel blank und blau über dem von der Drau durchflossenen Pustertal, das als einziger offener Weg zwischen den Deferegger und den Karnischen Alpen nach dem sonnigen Süden führt. Wenn man von Lienz aus das Pustertal hinaufwandert, erlebt man es, wie oft sich sein Antlitz wandelt. Eben noch eingeengt von den Felstürmen der „Unholden“ — so Werden die Lienzer Dolomiten im Volksmund genannt —, weitet es sich plötzlich zu einem breiten Talboden und gibt Äckern, Gärten und Auen Raum. Manchmal wuchten die Felswände, sich jäh und burgartig aus der Ebene erhebend, zu beiden Seiten des Tales empor. Dann wieder sind maßvoll ansteigende Hügel den schroffen Wänden vorgelagert, Hügel mit dunklen Wäldern und satten AlmbödÄi und tiefgrünen, geheimnisvollen Bergseen. Über sie hat der Herbst schon seine ersten Zeichen gezogen. Das Pustertal hüben und drüben der Grenze lehrt uns, wie Gegensätzlichkeit zur Harmonie wird. Unten im Tal ist Leben und Blühen, und oben auf den Höhen Einsamkeit und Öde. Burgen und Kirchen säumen den Weg talauf, wehrhaft und fest selbst die aus schwerem Holz gezimmerten Bauernhäuser. Die Menschen dieses Tales mußten immer bereit sein, sich gegen ihre Feinde zu wehren.

ENTZÜCKEND LIEGT DAS KLEINE SANKT OSWALD auf halber Höhe der Mündung des breitausladenden Kartitschtales. Schon den ersten Sonnenstrahl fängt es ein, und hält das goldene Licht immer noch fest, wenn auch ringsum auf den Höhen schon längst die Abendschatten hängen.

1 Ihm gegenüber liegt Höllbruck. 'Es ist ein weiter und herrlicher Blick über das Land, den man von der Stelle aus genießt, wo das kleine, so meisterhaft in die Landschaft komponierte Hollbrucker Bergkirchlein steht. Das prächtige Hochtal, das sich, breit und sanft ansteigend, gleich hinter dem kleinen Ort hinauf zum Grenzkamm zieht, ist voll Friede, Sonne und Einsamkeit. Die Reste der alten Militärstraßen, wie man sie fast überall auf den Höhen rings um das südliche Pustertal findet, führen mitten in die märchenhafte Stille und Versponnenheit der spätherbstlichen Landschaft hinein. Kein Berglift erschließt diese Einsamkeit und lockt den Fremdenstrom von seinen alten und ausgetretenen Wegen ab. Nur schmale Saumpfade and Steige führen in die Schönheit der Täler, die sich zwischen Hollbruck und Kartitsch gegen den südlichen Bergwall dehnen. Immer entlang der Grenze führt der Höhenweg von der steil aufstrebenden Pfannspitze bis zur kahlen Bergkuppe des Helm. Jäh fallen die Wände im Norden nach Österreich ab und gleiten im Süden — schon jenseits der Grenze — sanft in das reizende Sextental aus.

Zuweilen trifft man auf einen Menschen; wortkarge Bauern, die bedächtigen Schrittes zu den Almen aufsteigen, um bei dem Vieh nach dem Rechten zu sehen, und manchmal einen jener unbelehrbaren Bergbezwinger, die es nicht wahrhaben wollen, daß der Berg jeden spielerischen Leichtsinn haßt.

AUF DEM HÖHENWEG, der von Sillian zur Grenze führt und wo man auf einsame Berghöfe stößt, an deren Fenster jetzt die letzten Blumen blühen, lebt ein zähes und arbeitsames Geschlecht. Steil schlingt sich der Weg von Gehöft zu Gehöft. Beschwerlich und weit ist es hinauf in diese Abgeschiedenheit der Berge. Hier lernt sich das Schweigen von allein. Die dort leben und arbeiten, gehen sonntags nicht immer zur Kirche. Der Weg hinab und zu den Menschen ist weit, in den Wintermonaten wohl auch gefährlich. Allenthalben aber' stößt man auf kleine Kapellen. Dort oben arbeitet man nicht, um bloß zu leben, dort ist Arbeit noch immer Aufgabe und Ziel. Mag sein, daß die Erde in den Tälern reichere Früchte trägt als auf den steilen Hängen, von denen sie ständig abzurutschen droht, doch ist im Tal die fruchtbare Erde knapp und — man hängt hier wie sonst nirgends an der eigenen Scholle.

Die selbstherrlich und stolz auf einsamen Höhen thronenden Bauerngehöfte, jedes ein Königsschloß für sich, sind jeder beengenden Nachbarschaft abhold. Wortkargen Eremiten und Klausnern gleicht das Volk der Bauern, solange der Werktag ihre ganze Kraft und Sor^e heischt. Freimütig und aufgeschlossen treten sie uns-in-den Pausen entgegen, die ihnen Arbeit und Jahreszeit gönnen. Das Land hat die Menschen geformt und sie gelehrt, mutig und tapfer zu sein. Sie tragen das Herz nicht auf der Zunge, prüfen und wägen, ehe sie sich entscheiden. Dann aber ist ihr Ja und Nein endgültig und klar. Ihr Glaube ist tief in ihnen verwurzelt, in der Erkenntnis, daß alles Leben und Gedeihen in Gottes Hand liegt. Sie von ihrem Glauben trennen zu wollen, hieße sie dazu zwingen, ihre Art zu ändern.

Wenn man mit diesen Bergmenschen spricht, reden sie von der Arbeit, vom Feld und vom Wald. Die Worte fallen knapp und in langen Pausen. Ihr Schweigen ist oft beredter als ihre Sprache. Die Hausbank steht immer in der Richtung zum schönsten Blick. Denn stark wie ihr Natursinn ist auch ihr Gefühl für die Schönheit. Oft ist das nächste Bergbauernhaus, das man von dieser Bank aus erspäht, schon jenseits der Grenze. Gewiß, hier oben sieht man sie nicht. Die Wiesen und Wälder sind gleich, da und dort. Ungleich aber ist das Recht und ungleich die Freiheit, was die Menschen von hüben und drüben scheidet. Mitten durch ein altes Geschlecht schneidet manchmal diese unsichtbare Grenze; hier der Sohn und dort der Vater. Kein Wunder, daß an der Grenze das Gefühl für Freiheit stärker ist als sonstwo im Lande. Um das Recht und die Freiheit zu schützftUHnAgstfMl* Bauer W&rt#5 äetf''RecfteW' mit dem Gewehr vertauschen, genau so, wie es schon seine Ahnen-getan. '\ t* '*

AN FESTTAGEN trägt man noch immer die alte Tracht. Dann werden die Truhen geöffnet und die bunten Gewänder hervorgeholt, die sich schon seit hunderten Jahren immer wieder von den Müttern auf ihre Töchter und von den Vätern auf die Söhne vererben. Dann greifen die Männer den Stutzen von der Wand, wandern zu Tal und scharen sich um ihren Schützenhauptmann.

Das Schützenfest ist das Fest des Jahres. Von allen Seiten und aus allen Tälern kommen die Schützenkompanien in ihrer malerischen Tracht und mit klingendem Spiel. Die Fahne mit dem roten Adler flattert ihnen voran. Die alten Standschützen sind schon rar geworden. Die wenigen aber erinnern sich noch manchen schweren Ringens in den Bergen in den Tagen des ersten Weltkrieges. Mancher von ihnen hat das Drama am Monte Piano und am Col di Lana mitgemacht. Alle Jahre einmal kommen sie zusammen, und alle Jahre werden es weniger, die zu diesem Treffen kommen. Wenn sie dann aber zusammenhocken und alte Erinnerungen austauschen, gehen sie plötzlich aus sich heraus

zu schweigen verstehen. Dann kommen wohl ^ueJf 'hoälfWlJS* vönV.'iJftben“, aus InnichW Toblach, Sexten und Moos. Sie tragen die gleiche Tracht und sprechen die gleiche Sprache, und man vergißt, daß eine Grenze das Land durchschneidet.

VON SILLIAN NACH NORDEN und sich später ein wenig nach Westen wendend, verläuft das tiefeingeschnittene Villgratental. Eine kehrenreiche Straße windet sich durch die dämmerige Enge des wildromantischen Taleinschnittes nach Außervillgraten hinein. Am Hange des Thurntaler Berges und immer auf halber Höhe dahin, führt einer der schönsten und lieblichsten Pfade hinüber nach dem kleinen Ort. Bald quert er breite Wiesenhänge, auf denen die letzte Sonne rastet, weicher und goldener als im Sommer, bald führt er durch hohen, dichten Wald mit uralten, bärtigen Fichtenstämmen, oder schlingt sich durch eine verzauberte Märchenschlucht, wo moosüberwachsen ein paar alte Mühlen stehen. An einsamen Gehöften führt er vorbei, die hoch vom Berg herniederschauen in das tief unter ihnen liegende Tal. Steil fallen die Hänge ab. Die Wiesen sind jetzt abgemäht, und das karge Korn ist längst in die Scheunen gebracht. Bund um Bund hat man es auf dem Rücken über die steilen Hänge hinaufgetragen; ein mühsames Werk und nicht ohne Gefahr. Manch schlichtes Holzkreuz am Weg kündet davon.

Gemächlich zieht der Pfad dahin, windet sich spielerisch um einen Hügel oder lugt vorsichtig über einen Vorsprung hinaus. Dann wird der Blick nach Süden frei, wo der Felswall der Karnischen Alpen das herbstliche Panorama säumt. Im Norden lugt über die Vill-grater Berge schon schneebedeckt die Spitze des Hexenkopfes. Dort aber, wo die Straße nach Innervillgraten endet und das Tal sich noch einmal zu einem breiten Kessel weitet, baut sich hinter dem Kalkstein das Pfannhorn auf. Sein Gipfel trägt schon einen italienischen Namen — Corno Fana.

Es ist ein schönes Wandern durch dieses Land. Ein wenig herb zwar ist es und eigenwillig, ein wenig verschlossen, wie seine Menschen. Es. kommt nicht entgegen und drängt sich nicht auf; nicht ohne Mühe gibt es seine Schönheit preis. Doch es lohnt sich die Mühe, denn es ist ein Land ohnegleichen...

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