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Im Rauchental

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Sie war unser Klassenliebling und unser Stolz. Die Klügste und die Schönste war sie und ihr Spiel war Gottesgnadentum, der Glanzpunkt aller Feste, der weltlichen und der kirchlichen unserer kleinen Stadt. Wir hofften, daß sie uns bliebe, auch nach dem Abschluß der „Präparandie“, die das Land im Gebirge mit Lehrern und Lehrerinnen versorgte. Doch wie es gemeinhin der Fall war, kam auch Margret, Edle von Furtenbach, bei ihrer ersten Anstellung hinaus aufs Gäu, dort wo es am einsamsten und urtümlichsten ist, ins Rauchental.

Ein rauhes Tal ist es ja wirklich, hat neun Monate Winter, dann einen kühlen, gletschernahen Sommer voll Würze, Pracht und Kargheit. Nur einmal im Jahr tragen die schmalen, rotgründigen Ädcer zwischen endlosen Lahnen, Lawinenzerrrissen sind die Wälder. Steil und düster ragen die Wände auf, die himmelhoch nach allen den vier Gegenden des Himmels hin das Tal umzäunen. Weißschäumende Wasser stürzen an den Felsen nieder und begraben unter ihrem eintönig ewigen und gewaltigen Brausen die Melodien, die draußen, jenseits der Bärenklamm, und drüben, jenseits des Eiskönigs und seines düsteren Gefolges, das Leben singt, orgelt und geigt. Unvorstellbar war uns Margret, die für die Weite geboren schien, in dieser Enge; war uns die Zarte in dieser rauhen Umwelt, unter Felsen und Bauern, vermurten Wäldern und Gerstfeldern. Wir wähnten, sie würde es kein volles Schuljahr, nicht einen einzigen langen Winter dort aushalten.

Margret aber blieb. Sie blieb für immer.

Vergeblich warteten wir, daß ihr Geigenspiel je wieder auf die Chöre unserer Kirchen, in unseren mit Schwan und Palme geschmückten Konzertsaal zurückkehrte. Margret heiratete den Gallhuber von Mitterdorf und wurde ihm zulieb eine Bäuerin, die ihren Knechten voraus aufs Feld ging zur Heumahd und zum Roggenschnitt; die mit den Dirnen jeden Sonn- und Feierabend am Nudelbrett und den Winter lang hinter dem Spinnrad saß. Knechte und Dirnen, für die harte Arbeit, die niemals aufhört: Ein blondes, rehäugiges Geschlecht von Söhnen und Töchtern, wie er es brauchte und ersehnte, hat sie ihrem Bauer geboren, und ihre Amati verstummte im Tosen der weißen Wasser. Wir konnten es nicht verstehen. Nun aber versteh ich alles.

An diesem Spätsommernachmittag wollte es die Fügung, daß ich allein mit dtm Gallhuber das Tal hereinwanderte, just als ihm draußen, da wo die Wirrnis und die Qual der Welt beginnt, die Botschaft geworden war: dein Herzbub, der Friedel, ist nimmer! ... So fern der Heimat, fern seinem Eiskönig, an der Eismeerfront ist er gefallen, eben erst zwanzig Jahre alt, er, der kaum siebzehnjährig von dannen zog.

Neun Stunden weit dehnt sich das Tal von den Vorbergen der Dolomiten her bis tief ins Urgebirg. Vier Stunden lang zogen wir selbander über die Mooswiesen hin, an den Erlauen vorüber, durch die drei Weiler und zwei Dörfer am Weg; dann durch hochstämmigen Wald, durch Wald und wieder Wald, und der Gallhuber sprach kein Wort. Die Kuhglocken sangen ihr altes,trautes Lied. Es klang die Axt im Holzschlag, der Flammer im Podiwerk, die Säge am Bach. Die Sonne stach. Der glutstrahlende Himmel wurde grau und schwarz. Ein kurzer Gewitterregen fiel mit Blitz und Donner. Der Gallhuber schwieg und ging, ohne anzuhalten und zu schermen, immerzu im selben, gleichen Schritt, wie blick- und gefühllos für alles um ihn her. Ein zweifacher Regenbogen spannte sich von Berg zu Berg. Da waren wir in des Tales Mitte. Einsam und breit und fest gemauert steht da das uralte Frauenbad zwischen seiner hölzernen Badehütte und der barocken Wegkapelle. Die letzten der Dolomitgipfel versinken dem Wanderer im Rücken. Vor ihm, ihm erdrückend nah, ersteht der Eiskönig in seiner diamantenen Majestät.

Da, an der Blickscheide zweier Gebirgs-welten, auf halber Höhe zwischen Wiestal und Hochwald, taucht auf der Sonnseite die Gallhube auf: schneeweißes Mauerwerk über grünem Hang, braune Söller und Giebel voll roter Blüh von Nelken und brennender Lieb; eine großmächtige Scheune, die dennoch nicht alles Heu der ihr zugehörigen Triften faßt, und von der „Gallhuber Harp-fen“, der lärdienen, kirch turmhohen Harfe voll dörrender Kleemahd überragt wird. Steil steigen die Äcker und die Wiesen an bis an den Wald. Dann kommt Alm und Kar und „das schwarze Jöchel“ mit dem verwunschenen See. Der sendet den Gallhuber Wasserfall nieder. Tief und mit jedem Jahr tiefer gräbt er die Klamm aus dem Grün der Fluren in das Urgestein, das da schwarz wie fremde Kohle ist. Blutrot funkelten in dieser Stunde der Heimkehr alle Fenster des alten Gehöftes im Widerschein der Sonne, die hinter den westlichen Bergen sank.

Der Gallhuber blieb stehen. Er beschattete die Augen mit seiner wurzelhaft schönen und kräftigen Hand und schaute hinauf mit einem langen und stummen Blick, als sähe er es zum erstenmal, das oftgesehene, über alles geliebte Bild . . .

Dann aber löste es sich ihm von den Lippen, die so lang geschwiegen hatten: „Margret!“ sprach er, rief er . . . Und abermals: „Margret!“ . . . Und zum' drittenmal: „Margret!“ ....

Unübersetzbares, in Worten Undeutbares, Meßbares allein nur mit den Goldwaagen des Herzens, lag in dem einen Wort voll einer unendlichen Liebe. Da begriff ich, daß die also Geliebte, Schwan und Palme, die Stadt und was sie Leben nennt, verlassen konnte, verlassen mußte, um da in dem rauhen Tal Frau und Mutter zu werden . . .

Technische Richtigstellung. In der Folge 24 der „Furche“ veröffentlichten wir das Gedicht „W esen der Kirche“ von Josef J a s c h k e. Durch eine Satzverhebung wurden zwei Zeilen, die vor die Schlußzeile des Gedichtes gehörten, der viertletzten Strophe eingereiht; die letzte Strophe mußte lauten:

„Kirche ist, wenn ich beim Wesen verbleib', Christi verborgen fortlebender Leib! Wir sind die Glieder, der Herr ist das Haupt! Hast du schon so an die Kirche geglaubt?“

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