6565995-1949_46_07.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Salzsteppe und Ziehbrunnen

Werbung
Werbung
Werbung

In betrachtender Eile summt unser Auto über die schlichten Kehren der erdigen Landstraße. Vor uns liegen zwei mächtige Wälle, ein naher grüner und dahinter ein blauer, das Leithagebirge. Sanfte, fruchtbare Bodenwellen ziehen uns entgegen oder kreisen um unsere einsame, schräg nach Osten weisende Bahn.

Dann heben sich aus fettdunklen Ackern tausendblättrige Weingärten, flimmergrün, goldbraun, herzdunkelrot. Eine neue Erdschwelle nimmt uns auf, trägt uns leicht nach oben und aus der nachfolgenden Senke wächst ein gedehntes Dorf. Über ein rasenüberwuchertes Wehr sickert dünnes, braundunkles Fließen, die Wulka. Gras und Erde, bloß ein, zwei Spannen höher als das Wasser, unregelmäßig abgerissen, bilden die weichen, veränderlichen Ufer. Schier müh- voll gleitet der kleine Bach vorwärts, graubraune Tümpel säumen ihn, darin und im erdgrünen Rasen ringsum leuchten bewegliche, 'winterweiße, bauchige Fleckengänse.

Das Dorf ist groß und weit. Viele kleine Häuser bilden lockere, breite Siedlungsflächen, andere, ebenso klein, fingern in langen Zeilen hin. Vor einem der kalkweißen Häuser sitzen neben dem Torbogen auf angemauerter weißer Bank drei schwarzgewandete Männer. Sie haben uns nie gesehen, aber achtsam heben sie die niedrigen, breitkrempigen, schwarzen Hüte. Wir fuhren durch das kroatische Trauensdorf.

Wieviel Gassen hat St. Margarethen? Immer noch entdecken wir neue einzeilige und Doppelgassen. Nein es sind bloß Höfe, vorne und rückwärts nicht geschlossen, unterteilt in vier bis sechs Wohnungen. Jede dieser Wohnungen zählt als eigenes, selbständiges, ganzes Haus, so daß vorne an der „Gassen“-Ecke vier bis sechs Nummertafeln angebracht sind. Das Wohnungseigentum, in der Großstadt erst proklamiert, ist hier seit langem bäuerlicher Organisationsgedanke. Allerdings aus harter sozialer Not geboren. Liegen die Beweggründe der Städte wesentlich anders? — In den Margarethener Gassen spielen viele Kinder.

Über die Straße zieht feuchtsüßer Mostgeruch. Die Fenster eines größeren Hauses weisen grüne, eiserne Läden, bäuerlich schön mit Kreuzspangen, Rosetten und Jahrzahlen ornamentiert. Über den Ecken weißer Torbogen quellen blätterdichte, kühlrotblühende Hauswurzpölster. Das große Preßhaus ist neuzeitlich geprägt. Traubenmühle mit Kraftantrieb, hydraulische Presse, mächtige Betonzisternen ersetzen Mosteischaff, Preßbaum und Maischbottich. Zweckdienliche Sachlichkeit haben sie verdrängt, die warmgetönten helleren und dunkleren Farben machtvoller Eichbäume und sdilank- geschäfteter Lärchdauben. Wie ein Schlammbad füllt der Most die hellgrauen Zisternen, dicker, brauner Brodern trägt schaumige, weißgelbe, häßlich gemusterte Blasen. Der Gastgeber bringt einen Heber voll weißgrüner Milch. Zu Martini wird alles Wilde und Trübe vergoren sein;..

Kleine Tafelberge mit merkwürdig gleichmäßigen Hüften und schütterem Graswuchs tauchen auf, und bald dann sehen wir hinein in den ruhmvollen, schon von den Römern genutzten Margarethener Steinbruch. Ein halbes Dutzend Häuser steht darin, aber ein ganzes Dorf hätte Platz. Aus tiefen Buchten schnitten eiserne Sägen den hellen Sandstein, senkrecht stürzen die Wände ins Tiefe, ein stehengebliebener Stock ragt wie ein Turm. Kreuzblumen, Fialen und Wasserspeier des Stephansdomes und der Votivkirche waren hier gewachsener, landmächtiger Fels.

Auf dem Kamm oben müssen wir halten: breiter, weiter, schimmernder Streif, große, blühende Platte Silber in mildgrünem Samt! Der Speicher und Gleicher zwischen Winterstarre und sengendem Sommerglühen, der unendlich kostbare See, die gewaltige Dunst- und Kühlkammer am Fuß verrinnender Berge! Mais, Kastanie und Traube glühen rundum zu erlesener Reife. Maulbeeralleen säumen die Straße. Schon vor 100 Jahren betrieb man hier Seidenraupenzucht. Den flimmernden Riesenspiegel faßt eine starke, braune Borte Schilf und Rohr. Daran grenzen ein paar feuchtgrüne Wiesenflecke, und schon beginnt die Rebe. Voll reicher rostgrüner Trächtigkeit strömt der Weinstock aus strahlender Tiefe satt- funkelnd zu uns herauf, in Sichtnähe durch Rain und Weg sauber unterteilt, weiter draußen dicht verflimmernd zu einem einzigen landweiten Glanz. Auf dieser gewaltigen, laubschimmernden Woge ruhen — Besuchern aus niederösterreichischem Weinland ungewohnt — zahllose Baumkronen.

Wir streifen Rust und fahren nach Mörbisch. Ostfränkische Giebelhäuser empfangen uns, und an milchweißen Wänden, über Torbogen, auf Bäumen dicke, goldgelbe Maiszöpfe und vielstrahlige Maisampeln. Daran wehen kleine Luftturbinen als Vogelscheuchen: vier Hühnerfedern in eine Kastanie gesteckt und an ein Stück Schnur gebunden. Leise wiegen sich die zarten Propellerchen im spielenden Windhauch. Herrlich die zahlreichen, blankweißen Loggien der Flöfe. Über stattlichen, ebenso weißen Aufgängen verleihen sie bauernadelige Züge. Sattfarbene Blumen schmücken kontrastreich die Fenster. Haus und Straße überragen zwei steinerne Kirchturmhelme. Die Mörbischer sind Katholiken und Evangelische.

Wieder Äcker, Weingärten, nahe aber auch immer ein Stück Busch oder Wald, wie um die Strenge gepflegtester Nutzbarkeit heimelnd zu mildern. Unweit der ungarischen Grenze eine antike Kultgrotte.

Trotzdem ihr Bildnis während der Kämpfe nach dem ersten Weltkrieg beschädigt wurde, können wir es deutlich wahrnehmen. Der persische Mithras im Burgenland? — Römische Vielvölkerlegionen trugen ihn bis an den Rand der Pußta.

Tief wächst die Dämmerung in den Himmel, und die Rückfahrt nach Rust schenkt uns nochmals ein eindringliches Bild östlichster herznaher Erde: bis zum Horizont dichtgrünes, hügelwärts wellendes Weinlaub. Darauf rotrosige Feuer, funkelklare Zitronenhelle, goldzündendes Orange. Darinnen weiße und violette Wolkenstreifen. Über alle diese Farben hin gleitet unsere Fahrt, gleiten ragend wider die abendgrünen Silhouetten ziervoller Kirsch-, Marillen- und Pfirsichbäume.

In Rust wohnen Bürger. Stockhäuser, reicher, barocker Zierrat, raumweite schöne Vorbauten und steinerne Söller, lichte, gelbe, zartrote Wände, darauf hellweiße Schwünge und Spiralen. Mond und entzündetes Licht hinter den Fenstern überstrahlen und hellen den schmucken Stadtplatz zu Geborgenheit und Wärme. Entzückend ein kleines Cafe, eigentlich nur ein etwas großer, auf dem Boden aufruhender Erker. Aus seiner zart gelbgetünchten Wand scheinen weiße Holzklappenfenster goldblühende, gastlichste Traulichkeit. Auf den Rauchfängen Storchnester, im herdunkelnden Himmel gelassen schwingende weiße Flügel. Autobusse, Autos, Motorräder, ein. niedriges Tor: der Rathauskeller! Goldhelle Gläser, bäuerlich gedeckte . 1 eller, Mandolinen, Ziehharmoniken, fröhliche Gesichter! Drüben dort ein Beamteter mit blaugelben Rockaufschlägen. Blaugelb? Niederösterreich? Nein, Freistadt Rust! Die Väter der heutigen Seebauern zahlten, um andere Herren abzuschütteln, dem Kaiser jährlich einen schönen Brocken Geld...

Gewonnenes, Erfüllendes trugen wir: ein neues Heimatgesicht. Das Land war uns vorgekommen wie ein liebenswerter Mensch, der sich' seiner Züge und Kräfte redlich freut, sie aber nicht verkündet. Um so mehr sollten wir uns von diesem bilderreichen Boden aufgefordert fühlen. Seine nachbarlichen Gegensätze sind zu groß, als daß man sie in einem flüchtigen Nachmittag erfahren könnte. Aber aus einprägsamer Veranschaulichung schöpft man bezwingende Hinweise auf das Wesen: den Raum erfüllen dichte Begegnungen von

Landschaften, Wirtschaftsformen, Sprachen, Konfessionen und Kulturen. Das Land ist eine denkwürdige Zuflucht altösterreichischer Vielfalt und Lebenskunst.

Was uns innig anheimelte? Die Ui-Mund- art! Wir fühlen ein nahes, starkes Verbrüdern, als wir die Sprache Josef Missoni, die Sprache unserer niederösterreichischen Weinhügel, auch dort hörten, südlich der Donau, im Land der Salzsteppen und Ziehbrunnen.

Als ich später am Manhartsberg Mundartgedichte vorlas, kam nachher ein Mann zu mir und gab mir mehrmals die Hand. Er sei Burgenländer, Mühlentischler, und zwischen Norwegen und Portugal herumgekommen. Aber so heimatschön wie diesmal hätte er es noch nie getroffen.

Sollten wir nicht öfter einander besuchen? Bestimmt, mir wurdn uns guit vostehn!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung