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Auf heiem Eisgrund

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Wer nach Island kommt, lernt diese Insel bald achten und — fürchten, vom unvergeßlichen Augenblicke an, da mit den fahlen Gletschern auch die weißen Rauchsäulen vom Bord des Schiffes aus gesichtet werden, als gleich gültige Wahrzeichen dieses eisigen Feuerlands. Die Lavawüsten, die man da durchreitet, der Große Geysir, die Fruchte aus den vulkangeheizten Glashäusern und die unentbehrlich gewordene Heilkraft des natürlich-heißen Schwimmbads — ja selbst die Eigenart des isländischen Menschen —, alles wandelt jenen ersten Eindruck auf immer neue Weise ab und erhält ihn dem Bewußtsein lebendig als tägliches Wunder. Und wie oft in diesem Winter der europäischen Frostkatastrophe war man sich hier, im Land, das weder Holz noch Kohle hat, der unverdienten Wohltat bewußt, die mit dem bloßen Drehen einer Schraube das fast kochend heiße Wasser aus dem Erdinnern in jeden Raum, in Bad und Kochtopf strömen läßt. Oft ist dieser Einstrom von Stößen angestauten Dampfes begleitet.

An solche Stöße denke ich auch zunächst, als am Morgen des 29. März das dünne Wellblechhaus erschüttert, daß alle Türen auffliegen. Aber bald erfährt man den wahren Grund: die Hekla ist ausgebrochen! Nach mehr als hundert Jahren — im September 1845 — und zum einundzwanzigsten-mal in der Geschichte Islands — einer Geschichte, die nicht allein von^ Menschentaten, sondern auch von den elementaren Kräften im Land und Wasser bestimmt worden ist, so daß ein Isländer bei Kriegsausbruch erklärte: Wir hier brauchen keinen Krieg, wir haben da6 Meer und den Berg. Kein Jahr, in dem nicht schmerzlichste Opfer unter den Fischern zu beklagen sind und -kaum ein Jahrhundert, in dem der Sand- und Aschenregen, besonders der Hekla, nicht alle Menschenmühen um den Boden zunichte macht. Seit dem 12. Jahrhundert sind solche Ausbrüche bekundet, die Ströme von siedender Lava über Weideland ergossen, daß das Vieh zugrunde ging und Hungersnöte das Volk dezimierten, Kein Wunder, daß es im Mittelalter in diesem Berg den Eingang zur Hölle vermutete, wie der Österreicher P o e-s t i o n in seinem Island-Buch berichtet.

Unheimlich genug steht auch heute die gigantische Rauchwand im Südosten gegen den reinblauen Himmel. Die erste Gruppe Fachgelehrter fliegt unter Führung unseres Rektors Palmi Hannesson dorthin ab. Im Laufe des Tages erfährt man durch den Lautsprecher zunächst nur knappe Einzelheiten. Die nächstgelcgenen Höfe werden geräumt.. Vor dem Wasser im Gebiet des Aschenregens wird seiner Giftstoffe wegen gewarnt. Die Westmänner-Inseln, der Südküste Islands vorgelagert, liegen in nächtlicher Finsternis und alle Schiffe haben dort zu Mittag Beleuchtung wie bei Nacht.

In den Nachmittagsstunden setzt eine Völkerwanderung zu Wagen nach Osten ein. Es ist Samstag. Und die Straßen sterben aus. Eine endlose Kette von Autos — ihre Zahl beträgt in Reykjavik fast 100 Prozent der Einwohner! — staut sich kilometerlang auf der Straße, die noch vor kurzem schneeverweht und unfahrbar gewesen ist. Und das Surren der kleinen Sportflugzeuge ist bis in die Nacht hinein zu hören. Palmi berichtet kurz im Radio vom ersten Überfliegen des in Aufruhr geratenen Gebirgs, von Rauchsäulen bis in 10 Kilometer Höhe, hochgeschleuderten Felsen, kochender Lava und er gibt bereits das elementare Getöse und Gegurgel auf einem Metallband wieder. — So nah dem Chaos und so weit schon in der Technik! Die Spanne ist nicht zu fassen, unwahrscheinlich und drastisch zugleich.

Ich fahre erst Montag mit dem Autobus ins Landesinnere. Draußen im unbewegten Fjord liegen zwei größere Trawler wie Spielzeug auf einem Spiegel — ein ungewohntes Bild! Aber so ruhig ist das Meer nun schon seit Wochen, die Blätter haben oft spaltenlang über dieses erstaunliche Phänomen und die unvergleichlich hohe Zahl von Sonnentagen in diesem isländischen Winter berichtet. Doch heute besinnt man sich wieder darauf, daß jedem Vulkanausbruch ein unnatürlich ruhiges und schönes Wetter vorausgegangen sein soll. Am Stadtrand treiben schon die kleinen zottigen Pferde ihre ersten Liebesspiele, hinter den letzten Häusern schnobbern wieder stallschmutzige Schafe im Schnee nach freigewordenen Halmen vom Herbst her und die Schneehänge der ferneren Berge weisen nach diesen Sonnenwochen schon ein dichtes, dunkles Adernnetz der Schmejze auf. Wir kommen am „Barackenfriedhof“ vorbei, wo heute die rostigen Uberreste der Besatzungshütten wie Kartenhäuser zusammengeworfen liegen, uns schon im Sommer 1944, als die ersten Truppen wieder abgezogen wurden, ein Zeichen, daß hier bei uns vielleicht der Frieden der Welt seinen Anfang nehme. — Heut fahren wir weiter, der dunkeln Rauchwand zu.

Im Wagen ist es still — es liegt keine Steifheit in diesem gemeinsamen Schweigen. Alle Isländer gehören zusammen, überall und bei jeder Gelegenheit, die sie von außen anruft. Nie habe ich bei gemeinsamen Unternehmungen irgendeinen “ Mißton gehört, eine Reibung empfunden. So fahren „wir, alle von gle-cher Erwartung bewegt. Und dann beginnen ein paar zu singen. Wir alle singen jetzt, Lied auf Lied, als wären wir nicht Fremde, sondern aufeinander eingeübt. Das ist hier immer so und die Wärme des isländischen Wesens wird dabei, schnell unter der kühlen Oberschicht spürbar. Der Liederschatz jedes Isländers ist sehr groß, Geschmack und Musikalität sind hoch entwickelt, Sie singen miteinander, wie anderswo unter Fremden geredet, gelärmt oder gestritten würde. Es ist ein Genuß, sie zu hören: ihre Volkslieder sind herb, völlig unromantisch, meist lebhaft im Rhythmus, durch ihren kirchen-tonalen Charakter an slawische Melodik erinnernd. Aber auch die Lieder der Zeitgenossen, Text wie Melodie, sind durchaus Allgemeingut: als diesen Herbst ihr liebster Tondichter, Kaldalons, starb, war es gar kein rechter Tod, sosehr lebt jede; seiner Lieder auf allen Lippen. 'Wir singen auch jetzt wieder sein' „Reiten, reiten, reiten“, während wir fahren, fahren, fahren, stundenlang durch verschneite Lavalandschaft, d.-ren unfruchtbare Trümmerfläche mich im Sommer immer glauben macht: so tot müsse es auf dem Mond aussehen Heute aber ist sie lebendig geworden durch ihren gegenwärtigen Bezug zum Rauchgebirge vor uns, als entstände sie von neuem dorther. Lava — das ist plötzlich nicht mehr abgetaner Schutt vergangener Ereignisse, sondern heute werdendes bedrohlidies Produkt und die kle.nen Kreuze auf der Islandkarte, mit denen verlassene Höfe im Vulkangebiet bezeidinet werden, sieht man mit neuen Augen an.

Jetzt taucht tief unter uns, am Fuße des steilen „Kammwegs“, die Thermensiedlung Hveragerdi auf, aus der die weißen Dampfsäulen der vielen heißen Quellen uns entgegenwehen. Ein eigenartiger Flecken, kleine Häuschen ohne Schornstein, da alle überreich vom Wasser her geheizt werden — ohne Küchen! — Denn hier gehen die Frauen mit ihren Kochtöpfen an die angestammten Plätze am Fluß wie anderswo mit der Wäsche und mittags holen sie dann die gargekochte Speis vom Flusse herein, wie man Tücher von der Trockenleine nimmt. Und ein Bäd^er schiebt da sein Brot in Löcher, die in die heiße Erdwand eingegraben wurden. Aber heute genug davon und auch kein Aufenthalt bei der Glashauskolonie, wo im Sommer Trauben und Tomaten wuchern!

Wieder im offenen Gelände, zeigt jetzt der Schnee an allen ostwärts geneigten Flächen eine leicht bräunliche Färbung, so daß wir uns fragen, ob die Asche der Hekla trotz des 'Nordostwindes dodi auch hieher verweht worden ist. Denn die Rauchwolke über ihrem Gipfel ist schon eindrucksvoll umrissen und während wir aussteigen, weil ein geplatzter Reifen ersetzt werden muß, hört man zum erstenmal von fernher das dumpfe Grollen des Gebirgs. Aber noch haben wir stundenweit bis dahin und es ist schon dunkel, als wir das Ufer des Thjorsau erreichen, des Flusses oder besser: des Flußgebietes, an dem wir schließlich haltmachen müssen. Denn dieses mehr als 13 Kilometer breite Gelände, nach den zahlreichen Kreuzen der Karte früher ein besiedeltes una bebautes Land, im Laufe der vulkanischen Katastrophen aber in eine gigantische Schutt- und Lavastätte verwandelt, wird von den zahlreichen Armen der Thjorsau vielfach durdiädert und dehnt sich bis nahe an den Fuß der Hekla hinüber. Ihr Grollen ist indessen zu donnerartigem Gedröhn angewachsen und der in der Dämmerung erst nur rötliche Lichtschein über dem Massiv zu dunkelroter, bewegter Glut. Trotz unserer horizontalen Entfernung und obwohl der Krater in 1500 Meter Höhe liegt, kann man die hochgeschleuderten Gesteinsmassen mit freiem Auge als dunkle Kerne im Feuerrot auftauchen sehen. Und von entsprechendem Ausmaß müssen auch die Lavaströme sein, die sich vom Krater nieder,den ganzen Gebirgshang entlang, rotglühend zu Tale wälzen. Man kann sich eine schwache Vorstellung ihrer Beschaffenheit und Hitze machen (diese wird auf 1200 Grad geschätzt), wenn man sie in der Frostnacht und nach so langem Wege noch immer unheimlich rot am schwarzen Fuß des Berges verschwinden sieht. Und wir hören von Augenzeugen, die bis an die Lava herangekommen sind, daß ihr Strom eine an zehn Meter hohe, glühende Geröllmauer darstellt, die sich unter ohrenbetäubendem Gepolter stoßweise, immer nur um wenige Meter, nach unten vorwärtsschiebt. Von unserem Standort aus können wir außer dem langen Hauptstrom noch zwei kürzere im Nordwesten des Gipfels vorbrechen und sich in halber Berghöhe wieder im Nachtdunkel verlieren sehen. Aber daneben tauchen immer neue Glutnester vereinzelt am schwarzen Hang auf, wohl von ausgeschleuderten Massen gebildet und bald verlöschend — ein schaurig schön er Anblick, den das Auf- und Abschwellen des Gedröhns unablässig begleitet. Es scheint nicht nur von drüben her, sondern wie aus dem Innern der Erde selbst, dicht unter unseren Sohlen herzukommen, ebenso unheimlich, wie der windstille, unbeteiligt friedliche Nachtraum das flammende Gebirg, den dunkeln Talgrund und uns alle überwölbt, sternenlos, weil der halbe Mond schon allen Lichtschein überbietet. Im leichtgefrorenen Fluß streicht sein fahler Glanz wie kühlend über das rote Spiegelbild der Feuersäule hin.

Wir sind jetzt steif geworden vom langen-Umherstehen im schneegesättigten Wiesengrund und rücken enger aneinander, als wir wieder ins Innere des Wagens kommen. Heißer Kaffee wird in Wärmeflaschen rundgereicht, Cakes und Brote, man gibt und nimmt, alles gehört allen und in dieser kleinen Geschäftigkeit findet sich auch das nötige Gegengewicht des Alltäglidien gegen die Überwältigung einer außerordentlichen Erfahrung.

Schon im Weiterfahren bereitet meine Nachbarin, eine ältere Frau vom Lande, ihre Decke auch über mich, Sie hatte bisher während der ganzen Fahrt noch nicht ein Wort gesprochen, nur alle Lieder leise mitgesungen. Jetzt schiebt sie ihren Arm in meinen: „Es ist kalt.“ — Aber mir wird heiß ums Herz in ihrer mütterlichen Nähe. Und ds, schon lange nach Mitternacht, Reykjavik wieder vor uns liegt, lichterhell am spiegelglatten Nachtfjord, und drüben die Esja, der geliebte Berg, noch bis ans Meer herunter verschneit — #da weiß ich mich diesem Land um eine Schicksalsstunde mehr verbunden und die wehenden Schleier des Nordlichts über den Himmel hin grüßen als seine schon vertrauten Zeichen.

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