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Kloster Daphni

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Dort, wo vom Piräus die Heilige Straße sanft ansteigend die Paßhöhe erklimmt, legt sie in zärtlichem Bogen ihr grauschimmerndes Band um das alte Kloster Daphni. Es ist ein Platz zum Ausruhen, zur Besinnung. Da klettert ein dunkelgrünes Kiefernwäldchen den Hang herunter und umschmeichelt den lieblichen Ort. Es sind nicht die kräftigen Aleppokiefern mit weitausholenden mächtigen Ästen und zartgrünen Nadeln, wie sie sonst allenthalben die Straßen einsäumen oder in kleinen, fröhlichen Gruppen beisammenstehen, sondern dürre, dunkle und kurzstämmige Bäume, ganz wie bei uns zu Hause. Sie geben dem Hange etwas Ernstes, Weihevolles. Jenseits der Straße aber liegt der Berg kahl, braun und grau, verbrannt von der erbarmungslosen Sonne. Zikaden zirpen ihr eindring- • liches Lied, sonst ist es still, als hielten die Jahrtausende den Atem an vor der Heiligkeit des Ortes.

Inmitten dieser beiden Hänge liegt die kleine Senke, in die sich Daphne vor dem verfolgenden Gotte schmiegte. D erbarmte sich Apollo der Schutzbedürftigen und verwandelte sie in einen Lorbeerbusch. Seither duften die heilkräftigen Lorbeerblätter so süß und zugleich jungfräulich herb. Zur Regenzeit fließt ein dünnes Bächlein vom Berge herab an der Klostermauer vorbei, und außen, neben der Pforte des Heilig-tumes, ist ein Brunnen, so uralt, wie Menschen hier Rast hielten, bevor noch Eleusis stand und Athen noch ein Dorf war. Noch immer spendet er sein Wasser, das ein Eimer an langer Kette aus der Tiefe emporhebt. Hier entstand in grauer Zeit das Tempelchen der Daphne. Man kann sich keinen schöneren Platz denken. Es liegt soviel Besinnung und Ruhe über dem Orte, soviel zarte Heimlichkeit.

Der Tempel zerfiel oder wurde zerstört. Vielleicht blieb dieser enge Bezirk durch Jahrhunderte vergessen, versteckt unter Agaven und dornigem Gestrüpp. Doch eines Tages rasteten hier Cluniacenser Mönche, blieben und erbauten auf den Tempeltrümmern ein stilles, kleines Kloster. Der Heidenglaube, der Götzendienst waren längst vergessen, aber sie lebten weiter als ' Sage, .als Hauch aus der Vergänglichkeit • einer vergessenen Zeit. Da stahl sich unter den Werkmannshänden ein antikes Säulchen in die Außenmauer der Kirche. Aus Quadern, über die einst heidnisches Opferblut geflossen war, wurden die Grundmauern gefügt, auf denen der byzantinische Kuppelbau emporwuchs. So verwoben mit dem Gestein Heidnisches und Christliches. Die Gebete von Tausenden und Abertausenden, die im Lairfe der Jahrhunderte hier rasteten, wurden im Gemäuer lebendig. Sie ließen sich nicht abwischen und abpolieren oder übertünchen, sie glühten im Gestein weiter als Stoßseufzer der ewig bittenden Menschheit.

Wie in einem tiefen Traume befangen und doch aus visionären Gesichten geboren hat die schaffende Künstlerhand beides in die schmückenden, leuchtenden Mosaikbilder des Kirchenraumes gebannt: Heidentum und Christentum. Aus der Höhe der Kuppel leuchtet das strenge Antlitz des Christus Pantokrator, des unerbittlichen Richters, wie ihn nur der Osten kennt, dem das westliche Europa den Zug der Milde und des entsagungsvollen Leidens geschenkt hat. Hier waltet Strenge und Drohung. Es ist ein furchtbarer Gott ohne Erbarmen, den wir hierzulande nicht kennen. Vielleicht hat sich der Künstler in der Gestaltung dieses Kopfes selbst eine marternde Askese auferlegt“, da er an anderer Stelle dem heidnischen Gotte Bacchus in einem heiteren Mosaikbilde huldigte.

Wer weiß, ob nicht damals, als die Mosaiken entstanden, noch in verzauberten Nächten der Schattenzug der Pilger über die Heilige Straße schleppend dahinzog, den Mysterien entgegen? Und doch siegt das versöhnende Christentum! Der Verkündigungsengel erscheint, schreitet, gewaltig flügelschlagend, einher, das Leben der Gottesmutter blickt uns aus bekümmerten Augen entgegen, und die Kreuzigungsgeschichte, jener gewaltige Höhepunkt, der die verlorene Menschheit zurückführt zum göttlichen Gnadenthrorie — sie alle leuchten in unschuldvollen, zartgetönten Mosaiken von den Wänden. Von allen ist der schimmernde Glanz genommen: vom zarten Rosa der Mandelblüte, vom Weiß wandernder Wolken, vom satten Grün und Blau des weltweiten Meeres und vom gleißenden Gold der Sonne. Rein, einfältig und ungetrübt blicken sie seit Jahrhunderten aus der Wand, in die sie gebannt sind. Sie leuchten in ungebrochener Frische wie am ersten Tage.

Hier blühen ewiger Frühling und ewige Liebe, hier hat sich der Herzschlag der Völker geläutert. Und die Vergänglichkeit ist zur Lüge geworden. Der kleine Raum ist erfüllt von dem Gewölk der Wachskerzen, deren Flammen im Hauche“ der dunkel tremolierenden Mönchschöre flackern.

Und wieder steht die Zeit still und hält den Atem an. fber Raum dehnt sich ins Unendliche. Es ist nichts mehr da als der Glaube an die Unsterblichkeit, die sich immer von neuem aus dem Vergänglichen gebiert.

Draußen, außerhalb des umzirkten Heilig-tumes, sind Mönchsgebäude und Mauern verfallen. Hier lebten und rangen Menschen mit ihrem unbekannten Gotte. Sie zagten und zitterten und waren sündigen Herzens wie alle Menschen. Sie sind zu Staub geworden wie die Mauern, in denen ihre Stoßseufzer verhallten. Das Irdische kehrte zum Irdischen zurück.

.Wir treten hinaus ins Freie. Es tönt die Stille, die über sich selbst erschrickt. Im Sonnenglast ziehen die Schemen vorüber: müde, bestaubte Pilger, verzückt tanzende Menschen, Jungfrauen, die zum Blutopfer schreiten, siegumkränzte Jünglinge.

Das Rasseln der Kette, die über den Brunnenrand gleitet, schreckt uns aus unseren Träumen. Es hebt* sich der volle Eimer mit dem köstlichen Naß: mit dem Quell des Lebens.

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