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DIE ROSENFARBIGE FELSENSTADT

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Das Alte Testament berichtet immer wieder von den Edomitern, den Nachkommen Esaus. Bei manchen Propheten wie Hesekiel und Jeremia finden sich Weissagungen gegen Edom, das sich zu wiederholtenmalen sehr unfreundlich zu seinem Bruder Jakob-Israel verhalten hat. Der Edomiter-könig verweigerte Moses den Durchzug durch sein Land trotz des feierlichen Versprechens, daß die Israeliten die Weiden und Weinberge schonen würden. An der Plünderung Jerusalems unter Joram (850—843 v. Chr.) durch Philister und Araber haben sich die Edomiter beteiligt. Als die Babylonier Jerusalem belagerten und den Tempel zerstörten, waren die Edomiter nicht nur voller Schadenfreude, sondern leisteten dem König Nebukadnezar sogar Schützenhilfe und machten ihre Beute in der verwüsteten Stadt.

Das an Umfang kleinste Prophetenbuch des Obadja (nur ein Kapitel!) handelt fast ausschließlich von Gerichtsworten gegen Edom, das in dem wild zerklüfteten, rötlich schimmernden Gebirge Seir (südöstlich des Toten Meeres) seine Wohnstätten hatte, die als uneinnehmbar galten. Doch der Prophet Obadja weiß, daß Gottes strafende Hand eines Tages die Edomiter auch in ihren schier unzugänglichen Höhlen und Höhen treffen wird: „Der Hochmut deines Herzens hat dich betrogen, weil du in der Felsen Klüften wohnst, in deinen hohen Schlössern, und sprichst in deinem Herzen: wer will mich zu Boden stoßen? Wenn du gleich in die Höhe führest wie ein Adler und machtest dein Nest zwischen den Sternen, dennoch will ich dich von dort herunterstürzen, spricht der Herr“ (Obadja 3—4). Diese Weissagung, „um des Frevels willen, an deinem Bruder Jakob begangen“, hat sich um 400 v. Chr. nahezu buchstäblich erfüllt.

Das arabische Volk der Nabatäer (Nachkomme Ismaels) wurde Vollstrecker der göttlichen Gerechtigkeit: „Wie du getan hast, soll dir wieder geschehen; und wie du verdient hast, so soll dir's wieder auf deinen Kopf kommen“ (Obadja 15). Den Nabatäern gelang es, die Hauptstadt der Edomiter Sela (= Felsen, Felsenspalt) zu erobern. Zu Tausenden wurden sie vom steilen Hang ihrer Bergfestung in die Tiefe gestürzt. Aus Sela wurde Petra (was gleichfalls Felsen bedeutet), die Hauptstadt des nabatäischen Königreiches, das sich in seiner Blütezeit von Damaskus bis an den Golf von Akaba und über den Negev bis ans Mittelländische Meer erstreckte.

Die Nabatäer waren ein friedliebendes Händlervolk, das

die Karawanenstraßen von Arabien ans Mittelmeer und nach Syrien und Mesopotamien kontrollierte, Steuern einhob, Karawansereien und Niederlassungen einrichtete, zum Beispiel in Phönizien und sogar in Unteritalien, und auf diese Weise zu großem Reichtum gelangte. Dieser Reichtum spiegelte sich in der rosenfarbigen Petra, in der arabische, ägyptische und hellenistische Kunstströmungen einander begegneten, durchdrangen und großartige Triumphe feierten. Unter dem Eindruck des ägyptischen Totenkultes hat man den Verstorbenen, vor allem den Königen und Reichen, Grabmonumente errichtet, welche die Jahrtausende überdauert haben und den Besucher von heute durch ihre aus dem gewachsenen Felsen gemeißelten, oft mehrere Stockwerke hohen Fassaden mit Säulen, Skulpturen und Ornamenten auf das tiefste beeindrucken. Ich kann raeine Eindrücke nicht besser beschreiben, als daß ich von einem „Urerlebnis“ spreche, das sich in seiner Einzigartigkeit und Einmaligkeit unauslöschlich in Herz, Phantasie und Geist eingeprägt hat.

Petra ist ein doppeltes Wunder: ein Wunder der Natur und ein Wunder des Menschen. Wenn man durch das Wadi Musa (genannt nach Moses, weil er in diesem Tal Wasser aus dem Felsen schlug) sich dem braunen und rosenfarbigen Gebirgs-stock nähert, dann steht man unvermittelt vor dem Siq. So nennen die Araber die enge, etwa fünf Kilometer lange, vielfach gewundene Schlucht, an manchen Stellen nur zwei Meter breit, eingefaßt von senkrechten, bis zu 200 m hohen Wänden. Über dem Wanderer blaut dann und wann ein Stückchen Himmel, aber hier unten mischt sich in geheimnisvoller Weise das Licht mit dem Farbenspiel der braunen, rötlichen und gelben Felsenwände. Und man hat das seltsame Gefühl, in eine Phantasie- und Traumwelt hineinzuwandern. Diese Schlucht ist der einzige Zugang nach Petra, so daß diese Stadt mit Recht als uneinnehmbar galt. Selbst Alexander der Große konnte sie nicht erobern, erst der römische Kaiser Trajan wurde ihrer im Jahre 106 n. Chr. Herr, nachdem die Nabatäer durch die Verlegung der Karawanenstraßen und das Aufblühen des Reiches von Palmyra immer mehr verarmt waren. Hat man den Siq durchzogen, dann ist man ganz betroffen von dem Eindruck des gigantischen, von hohen buntfarbigen Bergen umschlossenen Kessels, in dem Petra lag, das unter den Königen mit Namen Aretas bis zu 100.000 Einwohner beherbergte.

Der Nabatäerkönig Aretas IV. spielt zweimal in die neu-testamentliche Geschichte hinein. Als Herodes Antipas in die Fallstricke der Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, geraten war, verstieß er seine erste Frau und schickte sie zu ihrem Vater Aretas IV. zurück. Dieses höchst beleidigende Verhalten des Vierfürsten von Peräa und Galiläa führte zu kriegerischen Spannungen zwischen den beiden Ländern, weshalb Herodes Antipas sich in die Grenzfestung Machärus begab, um bei seinen Truppen zu sein. Hier war Johannes der Täufer eingekerkert, weil er es gewagt hatte, das ehebrecherische Treiben des Königs öffentlich zu verurteilen. Beim RegierungsJubiläum des Königs tanzte im Festsaal der Burg Salome und verwirrte derart die Sinne ihres Stiefvaters, daß er ihr das bekannte, verhängnisvolle Versprechen gab, dem das Haupt des Johannes zum Opfer fiel. So haben die Verstoßung der nabatäischen Prinzessin und der Rachedurst der Herodias das tragische Ende des Täufers herbeigeführt. Ferner erinnern wir uns an die abenteuerliche Flucht des Apostels Paulus aus Damaskus, der von seinen Freunden bei Nacht in einem Korb über die Mauer in die Freiheit gelassen worden ist. Der Statthalter des Aretas IV. wollte den römischen Bürger Paulus gefangennehmen lassen, wahrscheinlich wegen der Unruhen, die sein überraschendes Auftreten als Verkünder Jesu Christi im Judenviertel der Stadt hervorgerufen hatte.

Beim Verlassen des Siq wird der Blick zuerst vom „Schatzhaus des Pharao“ gefesselt, einem Bauwerk, das der nach Petra hin sich öffnenden Schlucht gerade gegenüberliegt. Ist es ein Grabdenkmal? Ist es ein Isis-Tempel wegen der gehörnten Mondscheibe auf der Urne hoch oben im Giebel dieses Bauwerkes, von dem der arabische Volksmund erzählt, daß hier ein Pharao seine Schätze verborgen habe? Im Glanz der Sonne ist man von dem Anblick der rosenrot und weiß leuchtenden, dreißig Meter hohen Kolossalfassade, ihren korinthischen Säulen und Skulpturen ganz überwältigt. Die Fassade ist nicht etwa künstlich vorgesetzt, sondern aus dem Felsen entlang der steilen Wand plastisch wie aus einem Guß herausgearbeitet. Die gewaltigen Räume sind leer. Wozu waren sie bestimmt? Bargen sie einmal Götterbilder? Waren es Festräume oder Stätten für die Gedächtnisfeiern zu Ehren der Toten? ...

Wandert man in die Stadt hinein, dann reihen sich im weiten Rund vor den Augen des staunenden Besuchers die Fassaden der Tempel, Paläste und Grabdenkmäler nebeneinander und übereinander bis hinauf zu den ganz hohen Terrassen. Von der Stadt der Lebenden ist nur ein Trümmerfeld zurückgeblieben: da und dort das Pflaster der Hauptstraße, Teile vom Aquädukt, der das Wasser aus dem Wadi Musa nach Petra führte, einzelne Säulen, Reste von den Propyläen, das Theater mit vierunddreißig Sitzreihen, und Logen. Die Phantasie versucht, sich das Leben und Treiben in dieser Stadt, die Jahrhunderte hindurch ein Knotenpunkt des Weltverkehrs von Asien und Arabien nach den Ländern des Mittelmeeres und eine der bedeutendsten Handelsmetrp-polen im Jahrhundert vor Christus gewesen ist, auszumalen*' Kamel- und Eselskarawanen ziehen mit ihren kostbaren Waren (Stoffe, Seide, Gewürze, Schmuckgegenstände usw.) in die Stadt ein; ein buntes Gemisch von Völkern tummelt sich auf den Plätzen und in den Gassen: Araber, Ägypter, Phönizier, Syrer, Griechen, Perser, alle kenntlich an ihren besonderen Trachten ...

Als der Eroberungssturm des Islams über den Vorderen Orient dahinbrauste, sank die Bedeutung von Petra immer tiefer, nachdem es in byzantinischer Zeit sogar eine Bischofsstadt gewesen war. Nach der Zeit der Kreuzfahrer, die in Petra eine Festung erbauten, breitete sich der Schleier der Vergessenheit über die einst so berühmte Stadt mit ihren Wundern der Natur und den Wundern menschlicher Kunst. Doch diese Wunder lebten weiter bis auf den heutigen Tag in den einzigartigen Meisterwerken, die hellenistische Architekten und Bildhauer aus dem dunkelbraunen Basalt und aus dem rot-gelb-blau und weiß gestreiften Sandstein herausgearbeitet haben.

In den weitläufigen Tempelhallen und Grabkammern, tief in die Felsen hineingetrieben, ist die Akustik von einer unheimlichen Eindringlichkeit. Wie mag hier ein Requiem mit seinen Riten, Gesängen und Rauchopfern auf die Teilnehmer gewirkt haben! In einer der geräumigen Hallen spreche ich laut das Gedicht von C. F. Meyer „Chor der Toten“:

Wir Toten, wir Toten sind größere Heere

als ihr auf der Erde, als ihr auf dem Meere ...

Am Widerhall des Klanges begann ich die ungeheure Macht des Totenkultes in diesen Hallen zu begreifen. Mir wurde klar, daß eine Litanei mit dem mehrmaligen Refrain bb stimmter Worte und Formeln in diesen Räumen die ganze Magie heidnischer Glaubensvorstellungen und Bräuche zu unerhörter Eindrucksstärke brachte. C. F. Meyer hat in seinem Gedicht das Mysterium des Totenkultes aufgedeckt in der Erkenntnis, daß Tote und Lebende auch über Tod und Grab hinaus geheimnisvoll miteinander verbunden bleiben, daß die Toten mit den Lebenden weiterleben und daher die Lebenden die Toten immer gegenwärtig vor sich haben sollen. Nirgendwo ist das so zum Ausdruck gekommen wie in Petra, denn die Nekropole der Toten und Metropole der Lebenden bildeten hier eine untrennbare Einheit:

Wir pflügten das Feld mit geduldigen Taten, ihr schwinget die Sichel und schneidet die Saaten. Und was wir vollendet und was wir begonnen, das füllt noch dort oben die rauschenden Bronnen ... Wir suchen noch immer die menschlichen Ziele, drum ehret und opfert, denn unser sind viele. Doch dem Chor der Toten antwortet'Schon JJinGst kein Chor der Lebenden mehr. Verhältnismäßig kurz war die Zeit, da in Petra die Botschaft vom auferstandenen Christus und von der Auferstehung der Toten verkündet wurde. Uber sechshundert Jahre war die geheimnisvolle Felsenstadt aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden, bis im Jahre 1812 der Schweizer Orientalist Johann Ludwig Burckhardt unter Lebensgefahr als Scheich Ibrahim Ibn Abdullah die Stadt wieder betrat unter dem Vorwand gegenüber den in und um Petra wohnenden Beduinen, auf dem Berge Hör, der zum Gebirge Edom gehört, am Grabe Aarons eine Ziege opfern zu wollen. Doch erst seitdem die jordanische Regierung in den letzten Jahren auf den alten Fundamenten der römisch-trajanischen Straße eine moderne Asphaltstraße durch die Wüste von Amman nach Aqaba mit einer Abzweigung von Maan (Endstation der Hedschasbahn) nach Petra gebaut hat, wird diese Traumstadt immer mehr dem Touristenverkehr erschlossen.

Man darf nicht glauben, daß die Nabatäer nur dem Totenkult, und gar einem düsteren, gehuldigt haben. Lagen doch die Grabtempel und Totenkammern bei Tag im Licht der Sonne, die je nach ihrem Stand die Fassaden, Hänge und Berghöhen in wechselnden Farben erstrahlen ließ. Der Hauptgott der Nabatäer und Schutzgott von Petra hieß Dusares, der „Sol Invictus“, der unbesiegte Sonnengott dieses Volkes, dessen Sinnbild, der Sonnenlöwe, am Eingang von Gräbern und Tempeln oder an freien Hängen immer wieder zu sehen ist. Ein Berg über Petra war diesem Sonnenkult in besonderem Maße geweiht, auf dessen Gipfel der aus dem Protest der Propheten bekannte Höhenkult gehalten wurde. Unser Fremdenführer, ein Nachkomme von Beduinen, aus denen die Nabatäer einst hervorgegangen waren, ging auf den aus dem Felsen herausgehauenen Stufen, in zwei Jahrtausenden von Wind und Wetter schon arg verwittert und verwaschen, voran, mußte uns aber manchmal behilflich sein, damit wir nicht auf dem oft glitschigen Felsen oder an schmalen Stellen ausrutschten und in die immer steileren Schluchten hinabstürzten. So muß einst die Prozession mit dem König, den Priestern und dem Hofstaat auf diesen Felsentreppen hinaufgestiegen sein zur „heiligen Höhe“, wo auf dem aus dem Felsen herausgehauenen Altar Tier- und in alter Zeit wohl auch Menschenopfer dargebracht wurden.

Der nabatäische Dusares war in seinem Wesen der gleiche Gott, der in demselben Zeitraum in Emesa in Syrien als Sonnengott, von den Griechen Heliogabal genannt, verehrt und später vom Kaiser Aurelian (270—275) zum Reichsgott erhoben worden ist. Konstantin der Große hat sich in den ersten Jahren seiner Regierung auf den Münzen noch mit den Zeichen des Sonnengottes, des „Sol Invictus“, darstellen lassen, bis schließlich Christus als die Sonne der Gerechtigkeit und als das Licht des Kosmos den verschiedenen Sonnengöttern ein Ende bereitet und die Sehnsucht der heidnischen Völker, auch der Nabatäer, nach dem sieghaften Sonnengott erfüllt hat.

Bei der Einsicht in diese weltweiten Zusammenhänge vertieft sich in mir immer mehr die Uberzeugung, daß mir in Sela-Petra tatsächlich ein Urerlebnis von einmaliger und einzigartiger Größe und Schönheit geschenkt worden ist. Denn keine Stadt der alten und neuen Zeit bietet eine solche faszinierende Einheit von Natur und Kunst, einen solchen verzaubernden Zusammenklang von Schöpfung und Geschichte.

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