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Weinviertier Winter

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Es ist ein Bild, das sich nicht beschreiben läßt, das man zeichnen müßte mit der feinsten Feder. Es ist die Straße zwischen Obritz und Hadres. Es liegt Schnee im Pulkauboden, weißblanker Schnee, hellicht, kühl, unendlich. Schuh- und Radspuren haben ihn auf der Straße eingedrückt, auf den Äckern liegt er mollig und weich. Genau in der Wegmitte zwischen dem Markt und dem Dorf stehen über einer Mariensäule drei Linden, verwachsen zu einer einzigen rötlichbraunen, zartverstrahlenden Krone. Draußen, im Süden, schläft groß die vierfache Welle des Buchbergs, versteinertes, waldblaugraues Meer. Mähren zu wölben weithin Weinhüge! und darüber laufen blaue Bänder, wie gehäkelt, gesponnen von behutsamsten Händen. Es sind die aber tausend Weingartenstecken, die dieses ziervolle, winzig regelmäßige Muster hinzeich-nen über die schmiegenden, mildweißen Hänge. Bis zum Himmel hin schwingen und schweifen die langen, hauchblauen Bänder und bis zu den Äckern und\Häusern herein tappen sie wie menschentrauliches Wild.

Die Orte liegen warm eingeduckt in heimelige Mulden, so daß du nur die beschneiten Dächer siehst und darüber und dazwischen Bäume. Akazien, Kästen, Linden, Rüsten, Nüsse, Birnen sind es, und an der Straße nach Mailberg hinüber drei kerzenragende Pappeln, einschichtig, die letzten. Diese rotbraunen, braunen, blauen, graublauen Kronen und die weißen Bauerndächer, das landtiefe, schneestille Feld, der blankblühende Himmel und das tälweite, blauweiß geflächte Weingebirg, es ist ein ins Tiefe, Landschaftliche fassender Breughel, unheroisch, ungemalt, unbesprochen, aber stark und voll rufender Neuheit. Weinland-, Hügellandwinter, wie ihn nur die wirklich kennen, die als Buben im Pulkaubach zocherfuhren*), schollensprangen, und die, längst stadtgewohnt, dennoch gern zukehren daheim, wenn Feiertage zu den Brüdern und Schwägern laden, zu ihren mattsamtschwarzen Fässern in lehmgelben Schächten und Stollen. Auch du sollst einmal in solch einem Keller gesessen sein, nicht des Trunkes, des seltsamen Weltgefühls wegen, das dich dort überwallt, dort an einem Ursprung der Dinge, unter Menschen, die in der Erde umgehen wie du in deiner Stube, mit Männern, die ihre besinnlichen, übermütigen, zorngerüttelten Stunden — ein Gutteil ihres Lebens — in dieser von jungauf vertrauten Erde verbringen, in deren helle und dunkle Streifen — versunkene Grenzen zwischen Wasser und Land — sie einst ihre burschenstolzen Namenszüge schnitten. Wie denn auch die Hadreser Kellertrift, ein schmaler, doch bedeutsamer Bogen eigenen Lebens, prägend hingreift über den großen Weinbergrücken, hinauf bis zum Erdrand und auf der anderen Seite noch ein gutes Stück abwärts.

Der breitschultrige Hadreser Kirchturm leidet nur auf absetztem Pyramidengrund schneestrahlenden Pelz. Sonst steht der stattliche, bauernstolzc Hut rotrostbraun vor einer eishellen Himmelsscholle. Fast fremdartig dagegen rundet und rafft sich der Obritzer Kuppelhelm. Allein draußen im schneeweiten, bis zu den Waldbergen reichenden Feld ein Bahnhof Langbeinige Akazien umstellen ihn, die sich ersc hoch oben krönen. Ein einziges weißes Dach, rundum besenbüschelige Wipfel! Etwa sieht ein kleines ungarisches Heidegehöft so aus. Das Weinland ist westlichstes Pannonien.

Die anderen, die vollen Kronenbäume sind wesenhaft im Bild. Wie Seelen ruhen sie in der feierlichen, stummen Erstarrung. Es kommt dir vor, als sähest du jeden Zweig. Und ist es auch bloß jeder Ast, im Vergleich zur blanken Größe von Himmel und Land könnte ihn auch kein Maler in seine Farbe bannen, der dünnste Stift schriebe grob und verletzend gegen dieses wunderblaue Zarte.

Du freust dich sehr dieser Straße, der Äcker, der Weinberge, des Schnees — dein Fuß und dein Herz sind das einzig Regsame im weißen Nachmittag, und du freust dich, daß die Welt hier nicht groß und brausend einherfährt, daß du ■ vor ihr nicht zu erschrecken brauchst, daß sie trotz der weiten Horizonte heimatklein und so vertraut umhegt ist, daß du sie an dich nehmen kannst wie eines, das nur dir gehört und niemandem sonst.

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