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Das Firmament in Noten

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In den Sommerferien des yorletzten Schuljahres, 1921, war ich bei meiner Tante Anna in einem lieblichen Tal der Steiermark zu Besuch. Ich saß an einem schönen Vormittag in dem Garten hinter dem Hause, als plötzlich mein Vetter Adolf Otto vor mir stand und erklärte, er „hätte was vor“. Nach seinem Äußern gehörte er zu jenen Leuten, die Cäsar gern um sich gehabt hätte, im Innern aber brütete er von Zeit zu Zeit erstaunliche und dämonische Dinge aus; das Dämonischste aber, was er je erklügelt, war der Plan, den er mir jetzt voll feierlichen Ernstes enthüllte. „Wenn unsere Tante Anna die Wäsche ins Freie hängt, um sie durch Sonne und Wärme bleichen und trocknen zu lassen, dann beginnt es totsicher zu' ■ regnen. Das weißt du.“ Das wußte ich. „Wenn sie aber an regnerischen Tagen ihre Blumenstöcke ins Freie stellt, damit sie den feuchten himmlischen Segen empfangen, dann hört es unbedingt und restlos zu regnen auf. Das weißt du!“ Das wußte ich.

In diesem Augenblick verließ die Tante Anna das Haus durch die Hintertür, nickte uns zerstreut zu und rief über die Schultern zurück, sie ginge hinab ins Dorf. Sie verschwand um die Ecke und Adolf Otto wurde sehr lebhaft. „Gut, daß sie fort ist!“ rief er, „jetzt sind wir ungestört! Paß auf: drin im Flur steht ein Trog voll nasser Wäsche, die Tante Anna heut nachmittag im Freien aufhängen will. Nun, das werden w i r Zwei besorgen, und zwar sofort!“ Er lächelte seltsam jäh vor sich hin und sagte heiser:„Sobald die Wäsche im Freien hängt, muß es selbstverständlich zu regnen anfangen, nicht wahr?! Was aber tun wir? Wir tragen rasch ein paar Blumenstöcke aus dem Haus heraus und stellen sie zu der Wäsche.“ In mir stieg siedendheiß eine Ahnung auf und Adolf Otto krähte: „Wenn die Blumenstöcke draußen sind, muß es selbstverständlich schön und sonnig werden, nicht wahr? Verstehst du?? Was wird das Firaaament dazu sagen??! Wäsche und Blumenstöcke zugleich im Freien!! Regnen darf es nicht — von wegen der Blumen! Es muß aber trotzdem regnen — von wegen der Wäsche! Eben wegen dieser Wäsche aber darf es nicht schön sein — wegen der Blumen hinwieder m u ß es schön sein!!“ Er verlor sich in ein maßloses, irgendwie chaotisches Gelächter und ich starrte ihn ehrfürchtig an. Das war ein Programm, von dem man bettlägerig werden konnte! Dann aber fuhr eilige Energie in uns, und während Adolf Otto hastig die Wäsche hinten über der Wiese aufhing, schlich ich hinauf in Tante Annas Zimmer, nahm ein halbes Dutzend Blumenstöcke vom Fensterbrett und trug sie hinaus ins Freie. Denkt euch: E s tröpfelte schon! Das Firmament hatte die Wäsche erblickt und tat, was es immer getan hatte.

Blitzschnell stellte ich meine Blumentöpfe zu der nassen Wäsche; dann sprangen wir zurück, als ob wir eine Explosion füditeten, und stellten uns etwas abseits unter dem großen Birnbaum auf. „Bm verflucht neugierig“, meinte mem Genosse, „was 3a Jexxi losgehen wird. Hie die Wäsche, hie die Blumen! So ein Zwiespalt war noch nicht da! Na, los!“

Und es ging los! Zuerst kam ein merk-' würdiger Windstoß, der den Eindruck machte, als ob die Atmosphäre nach allen Seiten um sich schlüge, und dann brauste em rasenderWirbelwind einher und im nächsten Moment stürzte ein tropischer Regenguß herunter, aber bevor ihn die Erde noch richtig aufgesogen hatte, strahlte eine blendende Sonne nieder. „Aha!“ schrie mein Vetter, „Zeichen der Unsicherheit! Kolossal, was?“

Es wurde noch viel kolossaler. Die Sonne verschwand im Nu wieder, von allen Seiten rannten förmlich graue Wolken herbei, zugleich aber entstand schon wieder ein neues Blau, die Wolken fielen drüber her • und deckten es zu, aber das Blau überstülpte sie sozusagen seinerseits wieder, dann wollte es regnen, es gelang aber nicht, es wollte die Sonne scheinen, es gelang aber auch nicht, es war, als wenn der Regen irgendwo zwischen Himmel und Erde steckengeblieben wäre und die Sonnenstrahlen sich irgendwie verhaspelt hätten, und auf einmal entstand ein schwarzes Trid\terloch im Firmament, genau über unserem Birnbaum. „Oi je“, sagte Adolf Otto langsam, „mir scheint, da wird was rauskommen!“ Jawohl: es kam was raus! Ein Saugewind, eine Art senkrechter Sturm! Plötzlich streckte der Birnbaum alle seine Zweige in die Höhe, was so aussah, als wenn er die Hände über dem Kopf zusammenschlüge. Zweig um Zweig wurde ihm ausgerissen und stieg mit reißender Schnelle nach dem Loch zu gen Himmel. Der Saugewind verbreiterte sidi nach unten zu gleichsam und begann die Umgebung in seinen Bann zu ziehen; wir sahen voll Grausen, wie allerhand Gegenstände rund um uns und den Birnbaum zu kreisen anhoben. Zuerst kam ein unseliges Huhn, das mit dem Achterteil voran dahin-* segelte, wobei es ein' wütendes Protestgegacker hören ließ; ich schaute noch verblüfft dieser Erscheinung nach, als schon eine ganze Schar von Hühnern, regellos übereinandergeworfen, dahersauste, gleich einem Gewirbel gespenstischer dürrer Blätter; hinter ihnen raste — eine böse Geschichte! — der Hühnerstall samt Gitter, Futterkiste, Eiern und allem. Hinter ihm wieder pflügte Tante Annas Wassertonne einher, ihr auf dem Fuße folgte eine grüne Gießkanne, zwei Schaufeln, ein alter Kinderwagen und die Tür des Schweinestalls. Dies alles tobte unter höllischem Lärmen vorbei, aufgegriffen, aus der Ordnung herausgerissen, brutalisiert und vergewaltigt von dem ergrimmten Firmament, angesaugt von der Drehkraft dieses schrecklichen taifunischen Kreiselsturms!

Und oben am Himmel pfiff es, lachte, rollte, donnerte, heulte es; drunten, rund um uns, die wir sacht ins Schwitzen kamen, raste, holperte, tobte, brauste, jagte es, alle Dinge des Umkreises waren außer Rand und Band und der unglückliche Birnbaum stand da, stumm leidend, und sah schon wie gerupft aus. Mir wurde schwach in den Kniekehlen, und als ich Adolf Otto anblickte, sah ich ein Antlitz, das wie von einer Spiritusflamme beleuchtet ausschaute, und auch sonst kam er mir verändert vor, irgendwie nicht mehr so behäbig dick.

„Wir müssen unbedingt was wegtun, che Töpfe oder die Wäsche!“ wisperte er, „diese Geschichte wird brenzlich. Man muß das Firmament beruhigen!“

Schon, aber-... Wir standen im Zentrum des Aufruhrs, der Birnbaum war quasi die Achse der teuflischen Rotation, und sich wegbegeben, hieß grade so viel, als vom Bahndamm weg auf einen Expreß in voller Fahrt aufspringen!

Da, urplötzlich, Getöse und Lärm ganz neuer Art! Es kam vom Zaun her, und eh wir uns versahen, kamen drei Personen dahergewirbelt, Opfer des Kreisels: voran eine Bäuerin in einem gelben Rock, hinter ihr ein Knabe mit einem riesigen Stecken und hinter dem Knaben der Wirt vom Silbernen Lamm! Es mußte sie draußen auf der Straße erwischt haben, denn sie waren weiß bestäubt; sehr groß war ja der Durchmesser des Höllenkreisels nicht, aber es hatte grade noch gereicht, um diese drei Vorüberwandernden anzusaugen.

Nun, sie flitzten vorüber, einen Augenblick sahen wir ihre maßlos verblüfften Gesichter, dann brachen sie schon krachend durch die Ribiselstauden am Rand des Gartens, auf die Tante Anna so viel hielt. Gleich nach ihnen kam ein Pferd samt Zügel und Strang, das mächtig wiehernd querüber dahinzog, dann ein Mann, der erbitterte

ücae

Gesten machte und wie ein Kutscher aussah, und zum Schluß munter wirbelnd eine Peitsche. Und dann ...

Dann geschah etwas Oberraschendes: eine eiskalte Wassermasse fiel vom Himmel, sofort schien wieder die Sonne mit gradezu bengalischer Gewalt, dann deckten unerhört schwefelgelbe Wolken alles zu und dann ... dann gab es einen schrecklichen Ruck, für eine Sekunde schien die Welt erstarrt, und in der nächsten Sekunde drehte, sich der taifunische Kreisel — — rückwärts!! Bevor wir es recht begriffen, kamen sie schon zurückgebraust — die Hühner, die Tonne, der Kinderwagen, der Knabe, die Bäuerin, der Wirt, der Kutscher, das Pferd und die Peitsche, nur in umgekehrter Reihenfolge. Dazn pfiff und heulte es stärker noch als früher und ich hatte das fatale Gefühl, daß die Umgebung irgendwie abzubröckeln beginne.

In diesem Moment schrie der Vetter: „Es muß sein! Weg mit den Töpfen!“ Er sprang tollkühn vom Baume weg, um die Tat zu vollbringen — und einen Moment später sauste der Heroische auch schon davon, nur nicht dorthin, wohin er gewollt hatte. Etwas Seltsames ist zu vermelden: In all dem Toben und Drehen blieben Wäsche und Blumen unversehrt, es war, als ob ihnen der kreisende Aufruhr auswiche. Vielleicht konnte das Firmament an diese Ursache des Geschehens aus mystischen Gründen nicht heran, oder — es wollte nicht! Es sollte uns heimgezahlt werden, was wir verbrochen! Wir hatten das Firmament geärgert, und jetzt wollte es sich eben weiterärgern, damit die Folgen dieses Ärgers möglichst ausgiebig über unsere Häupter kommen konnten. Wie dem auch sein mochte, eins stand fest: die Blumenstöcke mußten weg oder die Wäsche; früher gab es kein Aufhören. Otto Adolf war dahin, und ich zermarterte mir den Kopf, wie ich der Katastrophe beikommen könnte, bevor die Welt unterging, wenigstens teilweise, so um den Birnbaum herum ...

Da kam die Rettung! Unser Schweinchen „Tupfi“ war es, das den Aufruhr abschnitt. Als es merkte, daß die Tür seines Stalles davongezogen war, brach es aus, kam dem Kreisel zu nahe und wurde angesaugt, wie die anderen. Aber nicht ganz! Es hatte sich im kritischen Augenblick quer zur Richtung der dämonischen Kräfte befunden und geriet also nur zur Hälfte ins Gewirbel. Es verfing sich mit der herausragenden Hälfte in einem Gestrüpp und im selben Augenblick wurde sein Hinterteil vom Kreisel gleichsam abgestoßen, Fliehkräfte wurden wirksam und das Borstentier ward sozusagen abgeschossen, tangentiell zur Peripherie des Wirbels. Es sauste laut quiekend auf die Wiese, brach haargenau in die kleine Schar der Blumentöpfe ein, so daß sie allesamt umfielen und die Böschung hinunterrotlten, an deren Rand sie mich ein gütiges Geschick hatte stellen lassen. Und bevor der Kreisel das Schweinlein aufs neue ergreifen konnte, war alles aus! Brach ganz einfach ab! Kein Heulen, Pfeifen, Toben, kein Wirbel, kein Saugewind und kein höllischer Kreisel mehr... aus! Nichts blieb, als ein schwachgrauer Himmel, von dem es sacht herniederregnete. Und so gehörte es sich auch, denn über der Wiese hing ja noch die Wäsche zum Trocknen! —

Ich habe mit meinem wahrheitsgetreuen

Bericht eigentlich nirgends rechten Glauben gefunden; und wenn ich zwecks Beweis auf den Birnbaum wies, der tatsächlich wie ein leerer Mast aussah, so hieß es: „Ach, den hat der Blitz abgeschält! Und du, lieber Freund, bist mit deinem bißchen Verstand zu nahe dabeigestanden!“ So ist die Welt: sie glaubt die Wunder nur dann, wenn sie den Finger drauf legen kann oder wenn sie zumindest dabei ist, wenn sie passieren.

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