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Die lichten Tage

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Im SchoJlenacker sind die sonnseitigen Furchen ausgeapert und die Nacht bleibt nicht mehr so lange über dem Dorf: die Wochen der kurzen Tage sind um. Noch steht der Orion freilich am Abendhimmel und auch der Schwan, der fünfstirnige, kommt noch über den Horizont heraufgeflogen — wenn man nach Norden schaut, kann man ihn deutlich sehen, aber die Wintersterne allein halten das Frühjahr nimmer zurück, das zeigen die Knospen schon an Busch und Strauch!

Ganz hell ist es jetzt in der Frühe und bleigrau verschwimmt das Gewölk über den nahen Bergen. Oft erschrickt man, wenn der Föhn die Luft so sichtig macht, daß man Bäume und Hütten sehen kann an ihren Hängen und jede Einzelheit in ihrem braunen Geschrofe. Dann ist die Landschaft so seltsam rundum und so tief in das violette Leuchten getaucht, das all den langen Winterwochen fehlte. Sie kannten das gleißende Blinken nur und die flirrende Härte des tiefblauen Himmels. Jetzt aber sind die Wolken wieder da und immer sind sie anders, sooft wir auch nach ihnen schauen. Wie flockige Watte liegen sie heute in rippigen Schichten über den Gipfeln und wie zerfetzte Fähnchen ziehen sie morgen daher. Als graue Wand stehen sie dann über den Kämmen oder sie ballen sich wild im blähenden Sturm. Dann wieder ertrinken Tal Und Anger im milchigen Nebel und die Sonne hat schwer zu kämpfen, um mittags durchzukommen. Stets aber ist das Licht um uns, wiedergeschenkt und wiedergeboren unserer herzenstiefen Dankbarkeit.

Die Tage stehen im Bilde des Wassermanns, es ist das zweite der aufsteigenden Zeichen — der Zeichen, die eine höherstehende Sonne begleiten. Die Leute meinen, daß sich die Klarheit und Helligkeit dieser Wochen auf den Geist der.Menschenkinder übertrage, die nun geboren werden und stets lauter bleiben, klar im Denken und fleißig im Arbeiten, wie es dieser Zeit entspreche. Das könnten die Bauern wohl begreifen, denn sie haben nun alle Ofenwärme und Schlafstubenlahme abgeschüttelt and sind von Morgenrot unterwegs bis zum Sonnensinken. Wer jetzt noch schläft, der bleibt bei leeren Säcken sitzen.1

Im Hochwald droben, im nadeldunkeln, beginnt der Hirsch wieder ein wenig feister zu werden unter der struppigen Winterdecke. Sein Geweih steckt noch im graupelzigen Bast, während der Rehbock, der unten im Bauernwald zieht und sommers in den Haferfeldern äst, jetzt an den jungen Fichten zu fegen beginnt und sein Gehörn blank macht. Am Sonnenhang des Waldes sind die Schneerosen erblüht und die rosenrote Erika schmückt weithin den Boden. Dicht über dem verkrusteten Schnee stehen ihre zarten Blüten, es sind die ersten, die hier den Frühling verkünden.

An den Erlen, die schlank und dunkel an den Bachläufen stehen, sind die rötlichen Kätzchen lang,und locker geworden. An windigen Tagen ziehen die ersten stäubenden Schleier aus ihren winzigen Blüten: das Jahr beginnt fruchtbar zu werden, wenn Lichtmeß vorüber ist und die Tage hell werden. Auch am Hartriegelbusch sehen wir das, der hoch und dichtästig im Vorgarten der einschichtigen Höfe steht: schon ist ein gelbes Schimmern um diese Sträucher, bald werden sie blühen — lange noch, ehe die Himmelschlüssel in den steilen Wiesen erscheinen können. Unruhig ist diese Zeit und so viel Helligkeit ist plötzlich da, daß sie oft wehtut in ihrer grellen Fülle, Auch das Blut der Menschen erfährt diesen Ungestüm des Nebellebens und läßt die törichten Wünsche und heißen Sehnsüchte wie sonnenhelle Wolkenschleier durch die vernünftigen Gedanken ziehen. Man kann so schön träumen, wenn man mittags am Rain draußen hockt und der Geruch der feuchten Ackererde in die Sonnenwärme aufsteigt. Metallschimmernde Laufkäfer arbeiten sich durchs fahle Gras und vielleicht kommt auch ein müder Zitronenfalter vorbei, der den Winter überstand, um jetzt seine Nachkommenschaft zu sichern, ehe er selbst in den Frühling hinstirbt.

Heftig stehen die Winde auf in diesen -Wochen und blasen die Täler rein, die Wälder vom braunen Herbstlaub und die Gratschneiden vom brüchigen Harsch. Die Schneehasen füllen ihre eingefallenen Flanken auf, denn seit die Heuhütten der Bauern leer geworden waren, gab es hier nichts Rechtes mehr zum Äsen. Jetzt aber ist der Winter hinter uns, und wir wüßten es, auch wenn die Stare nicht wären, die seit gestern wieder über den Talwiesen sind und in dichten Schwärmen die alte Heimat überfliegen.

Da es Abend wird, funkelt die schimmernde Kapella hoch im Zenit des Himmels und auch das Siebengestirn ist da, glitzernd und verheißend. Schau auf zu ihnen, liebes Mädchen, und* dann sind unsere Gedanken beisammen.

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