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Zitate

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Fülle, die Zebras. Dann wird es still, er bleibt stehen, sieht zwei Schlangen im trockenen Gras, erschrickt und schämt sich seines Schreckens. Noch einmal steigt in ihm, wie eine giftige Blase, die Sehnsucht nach dem Zurück auf, nach menschlicher Nähe, dan Worten gewohnter Sprache, aber das geht vorbei, und er läuft durch das dürre Buschwerk den Bergen zu, weg aus dem Bereich der Menschen.

Ein großer Elefant kommt ihm entgegen. Ein Einzelgänger wie ich, denkt er, und bleibt stehen. Die Augen des immer größer werdenden Tieres schwimmen in Blut. „Bruder, Freund, auch ich bin allein“, will er rufen und breitet die Arme aus. Aber schon hat der Rüssel des Anstürmenden ihn gepackt und in weitem Schwung auf das flache, dicht mit Blättern bewachsene Dach eines großen Baumes geschleudert, in das er einsinkt wie in ein weiches Bett. Er spürt den Schmerz nicht, nicht die harten Äste und dornigen Zweige. Auch seinen Leib spürt er nicht mehr. Nur die Augen kann er bewegen, die sehen in die Ferne, dorthin, wo die Sonne untergeht. Und jetzt sieht er sie von allen Seiten kommen, die Elefanten, Giraffen und Zebras, die Gazellen und Böcke, dann die vom rot-orangenen Licht glühenden Löwen und Leoparden, die eilig anlaufenden Nashörner, die Büffel und Affen, sie alle kommen und schließen einen Kreis um den Baum, auf dem er liegt und der durchsichtig geworden ist, sie ziehen um ihn herum, während in der Luft bunteste Vögel schweben wie ein rauschender Ring. Er ist sehr glücklich, und ganz still, und ganz bei der Kreatur, die um ihn immer enger werdende Kreise zieht und langsam ins Dunkel der Nacht versinkt. Der Mond steht wie ein schmaler Nachen im Himmel, und über ihm kreisen nur noch schwarze Geier, von denen einer — ein schöner und nie geschonter — her abstößt und ihn mit seinen Flügeln bedeckt wie mit einem weichen Bahrtuch, durch das silbern die Sterne blinken.

„Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an!“ ermahnt uns der Dichter. Schon wieder ein Anschluß! Wieso eigentlich? Wie kann ich mich ans Vaterland anschließen, dessen Teil ich bin? Dabei habe ich überhaupt keine Wahl, denn ich bin in das Land geradezu hineingeboren worden. Soll ich mir selbst die Hand schütteln, damit mir die Rechte keine herunterhauen kann?

„Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Wenn er niemanden hat, an dem er seine Stärke messen kann, ist das gewiß kein Kunststück, es sei denn, er wolle sich wie der Holofer-nes beim Nestroy gegen sich selbst aufhetzen, um zu sehen, wer stärker ist: er oder er.

„Ein jeder gibt den Wert sich selbst.“ Wenn er nur keinen falschen Wechsel auf seine Qualitäten zieht. Freilich kann der Wechsel vollständig in Ordnung sein, aber dann mag er sich wieder als auf die falschen Qualitäten ausgestellt erweisen.

„Es ist der Geist, der sich den Körper baut,“ hören wir. Darnach müßte so mancher Tennisspieler zum Philosophen prädestiniert sein, wenn man vom Körper wieder auf den Geist schließen soll. Zugegeben ist auf jeden Fall eine logische Deduktionsfähigkeit, die sich in einer Balldebatte zum Ausdruck bringt, wobei das Argument schlagfertig erledigt wird.

„Ich hab' hier bloß ein Amt und keine Meinung,“ sagt der Oberst Wrangel. Der Oberst hat also ein Amt und außerdem hat er das, was er nicht hat, nämlich keine Meinung. Wahrscheinlich wollte er „doch“ statt „und“ sagen, aber das war' wieder eine grammatikalische Meinung gewesen und so hat er's lieber bleiben lassen. Fast ließe sich deduzieren, daß er kein Amt gehabt hätte, wenn ihm eine Meinung zu eigen gewesen wäre. Unter „objektiv“ im Wörterbuch nachzuschlagen.

„Der Lord läßt sich entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.“ Wir atmen erleichtert auf wegen der posthum ausgleichenden Gerechtigkeit. Der Vorhang fällt und wir begeben uns geläutert und nachdenklich nach Hause. Während wir den schönen Vers mit seiner eleganten Kadenz noch im Ohr haben, fällt uns der Ärmelkanal ein, der die beiden Königreiche auseinanderhält. Wir stellen uns im Geist die Reiseroute vor und fragen uns, weshalb der Dichter eigentlich „zu Schiff“ in den Vers einbettet. Technisch war es ja unmöglich, zu Fuß, per Pferd oder mit dem Reisewagen von England nach Frankreich zu gelangen, und auch im kältesten Fall ist ein Schlittschuhlauf ausgeschlossen, da der Ärmelkanal nie zufriert. Die Möglichkeit eines Ruderboots ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wäre aber gewiß zu strapaziös und zu langsam gewesen. Warum also der nachdrückliche Hinweis auf das Schiff? Wär's möglich, daß sich der Verfasser seines Verses erinnerte, in dem er vom „Segler der Lüfte“ spricht und den Sachverhalt technisch klarstellen wollte?

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