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Tod in Afrika

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Verehrte Freundin! Wir liegen seit einigen Tagen in Mombasa, und es wäre an der Zeit, mein Versprechen einzulösen und Ihnen eine Schilderung meiner Fahrt zu geben. Gern würde ich Ihnen von dem langen Weg, den wir von Rijeka aus, über Port Said, durch den Suezkanal nahmen, gern .würde ich Ihnen von Aden berichten und von der Überquerung des Äquators, aber eine Begebenheit, die mich zutiefst erschüttert, drängt sich in den Vordergrund. Auf unserem kleinen Frachter war außer mir noch ein zweiter Fahrgast, ein Mann von sonderbar scheuem Wesen: 37 Jahre alt, in einem kleinen Ort der Steiermark geboren, als Beamter in einem Speditionsbüro seit Jahren tätig und durch dieses zu der für einen Angestellten etwas ungewohnten Reise gekommen. Gewiß werden Sie wissen wollen, wie er aussah. Nichfl übermäßig groß, schlank und keineswegs zu der bei uns üblichen Wohlstandsfülle neigend, braunes, leicht gelocktes Haar, ein schmales Gesicht, eine nicht unschöne Nase und einen sonderbaren, fast möchte ich sagen: durstigen Mund. Er wirkte fern und sehr allein.

Da unser Schiff hier längere Zeit liegen wird, entschlossen wir beide uns zu einer Safari. Schon seit unserem kurzen Aufenthalt in Aden, diesem sonderbar weltentrückten Ort, schien mein Reisebegleiter von einer wachsenden Wehmut erfüllt. Daß er Tiere über alles liebe, hatte er mir bald nach dem Beginn unserer Freundschaft gestanden. In Aden hatte er vergeblich versucht, eine der herumstreunenden mageren Katzen mit freundlichen Worten an sich zu locken, und mußte zutiefst unglücklich erkennen, daß alle Liebe zur Kreatur doch nicht in der Lage ist, die zu oft erfahrene Lieblosigkeit des Menschen den hilflosen Tieren gegenüber vergessen zu machen. So fuhren wir denn noch vor Sonnenaufgang in einem Kleinbus in diesen großen Park, der sich bis zum Kilimandscharo hinzieht und von einer variablen Schönheit ist, die ich Ihnen kaum schildern kann. Die rote Erde, die roten Straßen, dann die ersten Tiere — Giraffen, Elefantenfamilien von einer rührenden Plumpheit, und dann wieder Schakale, bunte Vögel und leichtfüßige Antilopen, Springböcke und pralle Zebras — dieser Zauber, der über allem lag, dieses paradiesische Leben! In der Ferne, wie Streifen leuchtenden Emails, Wiesen, Blumen und Berge. Mehr als erschüttert schien mir mein Reisebegleiter. Er sprach nicht, nickte nur zu meinen begeisterten Worten, aber seine Augen hatten etwas selig Berauschtes.

Unser Wagen war in einen Seitenweg eingebogen, in dem die sonst schütter verteilten Bäume enger anein-anderstanden, als sich eine größere Elefantenfamilie zeigte. Wir hielten an, der Chauffeur gestattete ausnahmsweise das sonst streng verbotene Verlassen des Autos, nicht ohne warnend daran zu erinnern, daß sich niemand von der Straße entfernen dürfe, nicht nur der Elefanten, sondern vielmehr der Giftschlangen wegen, deren es im Steppengras viele gebe. Ich war im Bus sitzengeblieben, ebenso der Chauffeur, der sich eine Zigarette angezündet hatte, als wir erkennen mußten, daß mein Begleiter mit großen Sprüngen auf die Elefanten zulief, die ihrerseits, in eine gewisse Unruhe geraten, sich nun enger zusammenschlössen und zurückzogen. De Versuch, mit dem Wagen den Davoneilenden zu verfolgen, mußte der Bodenbeschaffenheit wegen mißlingen. Das Rufen und Hupen halfen nichts. Die Gestalt meines Begleiters wurde immer kleiner und verschwand in der roten Staubwolke, die ihn und die großen Tiere umhüllte. In raschem Tempo fuhren wir zur nächsten Farm. Alarm wurde geschlagen, Wächter und Tierpfleger wurden ausgeschickt, aber bis heute — es ist nun fast eine Woche vergangen — hat sich keine Spur des flüchtenden Menschen gefunden. Sie verstehen, daß ich alle weiteren Reiseberichte aufschieben muß. Ihres Verständnisses sicher, grüße ich Sie als

Ihr alter Freund Georg. *

Von Kindheit an alles vergiftet von Zweifel. Jedes Tun fragwürdig, jeder Entschluß zur Hälfte schon als falsch erkannt und sinnlos geworden. Nun aber, zum erstenmal, wußte er sich ganz und ohne störende Fragen erfüllt von dem großen, vollen Ja. Jetzt, wo er den Sprung gewagt, die Flucht und den Lauf hinein ins Unsagbare, nicht Ausdenkbare und dennoch Spürbare und einzig Sichere — in die Wahrheit! Er hatte die Elefanten eingeholt und sie, im gemächlichen Trab der Tiere, die, ohne Angst, aber einer urzeitlichen Erfahrung folgend, den Platz wechseln, der ihnen nicht mehr der rechte erscheint, sie, die Mächtigen, duldeten ihn in ihrer Mitte, ihn, den Atemlosen, eingehüllt vom roten Erdstaub und gesichert von den hohen, grauroten Leibern, ihn, den langsam Laufenden, fast schon Schreitenden, duldeten ihn und gaben acht, daß er nicht von den Säulen ihrer Beine gestoßen oder zu Fall gebracht werde. Und nun sind sie, weit vom Geschrei aus dem Auto, dem Schall der Hupe entfernt, unter weitausgreifenden Baumkronen stehengeblieben. Der Jüngste der Familie, verspielt und heiter, legt den Rüssel dem schwer Atmenden um die Schulter wie ein guter Freund. Aber hier darf er nicht bleiben, zu nahe die roten Straßen, zu nahe die Menschen. Er löst sachte den Rüssel des kleinen Elefanten, streichelt ihm über die noch weiche Kinderhaut der breiten Stirn und läuft weiter, vom roten Staub der Erde eingefärbt, in die Landschaft. Gazellen ruft er seine Bewunderung, den Schakalen seine Liebe zu, diesen spitznäsigen, freien Hunden, deren Kinderweinen er wie eine Antwort vernimmt. Giraffen erschrecken erst, beugen dann neugierig ihre langen Hälser, beschnuppern ihn mit ihren samte-tenen Lippen. Buntleuchtende Vögel umflattern ihn, und in engem Bogen galoppieren, froh ihrer Kraft und

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