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Großflugtag

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ES BRUMMT IN DER LUFT, das sind die Flugzeuge, es summt tausendstimmig am Rand der großen Wiese, das sind die Menschen, es gurgelt dumpf, das ist der Lautsprecher, und es rollt in der Ferne, doch das ist glücklicherweise kein Gewitter, sondern nur der Schnellzug nach Wien. Die notwendigen Reden sind gehalten, jetzt sind die Flugzeuge an der Reihe. Großflugtag in Krems!

IN DEM WÄLDCHEN, über dem, unweit des Flugplatzes, die startenden Maschinen bei Ostwind die ersten hundert Meter Höhe gewinnen, erkennt man noch da und dort die Hügel, unter denen Tote zahlreicher Nationalitäten begraben liegen — die Toten eines deutschen Kriegsgefangenenlagers. Später wurde hier der Film „Stalag 17“ gedreht, aber der hat sich nicht mit dem Schicksal der russischen Gefangenen in Deutschland beschäftigt, sondern mit dem umgekehrten Fall. Und dann rückten eines Tages die Planierraupen und Arbeiter an, um die Betonsockel mit Erde zu bedecken, die Gräben einzuebnen — heute dröhnen hier die Flugmotoren, rollen die Pneus der Sportflugzeuge über den Rasen, schweben Segelflugzeuge zur Landung an.

Die Errichtung des Sportflugplatzes Krems-Langenlois (er liegt etwa auf halbem Weg zwischen den beiden Städten, etwas außerhalb von Gneixen- dorf) ist dem Idealismus einiger Flugsportenthusiasten zu verdanken, die einander ermunterten, das auf den ersten Blick etwas unrealistisch scheinende Projekt doch zu verwirklichen. Es gelang mit umsonst zur Verfügung gestellten Fahrzeugen und Geräten, mit geschenkten Arbeitsstunden: Im Jahre 1959 konnten die Gründer des Union-Sportfliegerklubs Krems, der Elektrotechniker Dipl.-Ing. Haider, der Maschinenbauer Salzmann und der Gutsverwalter Dietrichstein, „ihren“ Flugplatz feierlich eröffnen. Damals war noch Landeshauptmannstellvertreter Kargl mit dabei, er hatte für die Flieger immer viel Verständnis — jetzt nimmt sich Landesrat Hirsch ihrer an. So wie damals und heute soll von nun an anläßlich der Landesausstellung in Krems, also alle zwei Jahre, immer auch eine große flügsportliche Publikumsveranstaltung stattfinden.

ALLES STARRT NACH OBEN, WO DIE FLUGZEUGE SIND, aber manchmal sind sie gar nicht dort, wenigstens findet man sie nicht gleich — sie verschwinden einfach in der Helligkeit des Himmels. Bei tausend . Meter Höhe kann der Zuschauer unten kaum noch unterscheiden, ob der Pilot da oben im normalen Geradeausflug dahinfliegt oder mit dem Kopf nach unten. Aber auch wenn Kunstflug in geringerer Höhe dargeboten wird, ist. das Publikum oft undankbar. Die „ge- ‘ rissene Rolle", bei der die Maschine innerhalb weniger Sekunden um ihre Längsachse in den Rückenflug und sofort wieder in die Normallage gedreht wird, findet heftigen Beifall. Der „Rollenkreis“ wird vielleicht zu langsam ausgeführt, um das große Publikum gleichermaßen zu begeistern — doch gerade in der Langsamkeit liegen die Schönheit und die Schwierigkeit dieser Übung.

Viermal wird das Flugzeug ganz langsam aus der Normalfluglage auf den Rücken und wieder zurück in die Normalfluglage gedreht, gleichzeitig fliegt der Pilot einen großen Kreis. Bei jeder einzelnen dieser vier „gesteuerten Rollen“ vertauschen die Steuerorgane in einer bestimmten Abfolge ihre Funktionen. Zunächst wird das Höhen- zum Seitensteuer und das Seiten- zum Höhensteuer, die Hand am Steuerknüppel gibt ihre Aufgabe, die richtige Höhe zu halten, langsam an die Füße auf den Pedalen ab. Liegt das Flugzeug dann auf dem Rücken, so wird die Höhe zwar wieder mit dem Steuerknüppel reguliert, doch in umgekehrter Funktion: Ziehen am Steuerknüppel drückt nun die Nase der Maschine nach unten, statt nach oben. Und wenn ein Rechtskreis geflogen wird, so muß nun statt dem rechten plötzlich der linke Fuß ins Pedal — doch nur, um gleich wieder die Funktion des Höhensteuers zu übernehmen und die Seitensteuerung völlig regelwidrig dem Steuerknüppel zu überlassen, während sich das Flugzeug wieder in die normale Lage dreht.

Gewöhnlichen Sterblichen ist es kaum möglich, die Einzelheiten dieses Wechselspiels in aller Ruhe theoretisch durchzudenken. Der Kunstflieger muß sie nicht nur in der Praxis beherrschen — das ginge noch. Sein ..Rollenkreis“ muß außerdem noch elegant aussehen, alle Bewegungen müssen fließend ineinander übergehen, die Nase der Maschine darf nicht einmal dabin zeigen, dann dorthin, und mühsam wieder auf Kurs gebracht werden, der Kreis darf nicht zum Oval werden … Der Rollenkreis ist der Höhepunkt einer Kunstflugvorführung. Wer ihn beherrscht, darf sich darauf etwas einbilden.

Doch, wie gesagt, dem Publikum sind tollkühne Kapriolen in unmittelbarer Bodennähe lieber. Wenn die Bücker, der Doppeldecker mit dem

Strahlenzeichen auf der oberen Fläche, dem Kennzeichen der Kunstflugmaschinen, im Rückenflug über unsere Köpfe donnert, wenn sie sich im „Messerflug“ die Flügel senkrecht in der Luft, den Rumpf seitwärts steil aufgerichtet, statt auf die Tragfläche nur auf die Bespannung der Bordwand stützt und sekundenlang so geradeaus fliegt, kommt irgend etwas in uns auf seine Rechnung — und sicherlich auch irgend etwas im Piloten, denn es gibt nicht nur Fanatiker des eleganten, in sicherer Höhe souverän geflogenen Rollenkreises, sondern es gibt auch die, die dem ..Kunstflug in Bodennähe“ mit Haut und Haar verfallen sind (wobei die behördlichen Bestimmungen der Bodennähe freilich gewisse Sicherheitsgrenzen setzen). Guido Erber aus Wien ist ein Meister dieser zweiten Sorte.

TAUSENDE AUGEN NACH OBEN GERICHTET - in wenigen Sekunden wird sich aus dem größeren Pünktchen da oben, dem Flugzeug, ein kleineres Pünktchen lösen, ein menschlicher Körper. Es wäre interessant, zu wissen, wie viele von den Menschen, die gebannt den Sturz des Fallschirmspringers verfolgen, sich in seine Lage versetzen: die ausgehängte Flugzeugtüre. der Blick nach unten, der richtige Augenblick zum Sprung, der Entschluß — irgend etwas muß bei den Fallschirmsportlern anders sein als bei den Leuten, die unten bleiben. Haben sie keine Angst? Oder haben sie Angst - und zwingt sie irgend etwas dazu, sie immer wieder niederzuzwingen? Aber was ist es?

Jetzt baumelt der kleine, schwarze Punkt unter dem großen, roten Pilz, baumelt und pendelt, kommt immer weiter herunter, einen Augenblick bevor er auf dem Gras auftrifft zieht er sich an seinen Leinen, in die Höhe, um die Wucht des Aufpralls etwas zu dämpfen. Sie entspricht immerhin der eines Sprunges von einem drei oder vier Meter hohen Dach …

Irgendwo in den Sitzreihen sagt ein

Flieger zum anderen: „Also, ich hab’ schon, viele hinaufbefördert — Angst haben sie alle, wenn sie in die Maschine einsteigen. Alle haben sie Angst. Keine Ahnung, warum sie es immer wieder machen!“

EIN GROSSFLUGTAG IST NICHT NUR FÜRS PUBLIKUM DA, sondern auch ein großes Treffen der Leute, die sich für den Flugsport begeistern. Sie kommen in zweisitzigen Pipers an und in viersitzigen Cessnas, in offenen Kisten und in schnittigen Maschinen mit komfortablen Kabinen, in Flugzeugen, in denen man gerade noch Kompaß, Höhenmesser, Geschwindigkeitsmesser und vielleicht noch Variometer findet, und in Maschinen, deren Instrumente mehr gekostet haben als das ganze Flugzeug … Ganz nach Verwendungszweck und Kasse.

Denn in’ vielen Fällen ist das Flugzeug Steckenpferd und Berufswerkzeüg’ in einem. Der Gemeindearzt von Gur-’ ten, Dr. Paul, kommt beispielsweise mit seiner fünfsitzigen deutschen Maschine an, in der er normalerweise Kinder mit Keuchhusten für die vorgeschriebene, Zeit in Höhen von einigen tausend Metern befördert. Kinder — aber auch alte Leute, denn die Keuchhustenflüge bewähren sich auch bei Bronchialasthma, ja sogar als stigmatisierendes Mittel bei gewissen neurovegetativen Störungen.

Eine interessante Beobachtung des Keuchhustenfliegers aus Oberösterreich: Statt sich für die ungewohnte Umgebung besonders zu interessieren, schlafen die Kinder im Flugzeug ein. Prompt’ und in einer gewissen Reihenfolge. Bei 500 bis 1000 Meter schlafen die kleinen Kinder. In. einer Höhe von 2000 bis 2500 Meter schlafen auch die sechs- bis zehnjährigen Kinder. Bei 3 500 Meter schlafen alle, selbst die Fünfzehnjährigen und die alten Menschen. Die Höhenluft im Verein mit dem monotonen Motorgeräusch — das ist ein Schlafmittel, dem sie auf die Dauer keinen Widerstand leisten können.

PLÖTZLICH STRAMPELT EIN MANN mit Gehrock und Zylinder auf einem alten Fahrrad auf das Flugfeld hinaus. Großer Wirbel, man fängt ihn ein. Er gibt sich als Professor aus Dingsda aus, möchte einmal die Flugzeuge ansehen … Er darf. In einem unbewachten Augenblick springt er in den Führersitz einer Piper, der Motor donnert los, die. Piper hoppelt über das Gras und hebt ab …

Und dann schwebt sie ein paarmal über die Köpfe der Zuschauer, und laute Hilferufe ertönen, während der Pilot vorsorglich den Motor im Leerlauf drehen läßt, damit man ihn auch bestimmt hört. Er heißt Gerd Maier, hat den Deutschlandflug 1961 gewonnen und ist Chef der Burda-Staffel, die bei jedem Flugtag mit ihren exakten Verbandsflügen das Publikum begeistert und mit dem Rammen und Zerknallen einiger Dutzend losgelasse- ner Luftballons vot allem den Kindern Freude macht.

WENN DER FLUGTAG ZU ENDE IST. wird das Geld in der Kasse gezählt. Die Flugsportler von Krems sind keine reichen Leute — und Flugsport heißt bei ihnen nicht nur selber fliegen, sondern vor allem neue Freunde für den Flugsport gewinnen und der Jugend die Teilnahme ermöglichen. Wobei natürlich der Segelflug sehr stark im Vordergrund steht. Der Union-Fliegerklub Krems gehört nicht nur zu den Klubs mit besonders intensiver Jugendschulung — er macht’s seinen Mitgliedern auch besonders leicht, das heißt billig. Fünf Schilling zahlen die Segelflugschüler für jeden Start. Dabei steht ihnen vom Doppelraab und vom Grunau-Baby über den L-Spatz bis zur K 6 mit Wendehorizont und Sauerstoffgerät eine große Maschinenauswahl zur Verfügung.

Eine Auswahl von Maschinen, für die der Hangar langsam, aber sicher etwas zu klein wird — und auch ein kleines Espresso auf dem Flugplatz wäre sicherlich alles andere als ein Verlustgeschäft, könnte man nur das Geld auftreiben, das für den Anfang nötig ist.

DOCH WER - AUF DER EINEN SEITE — unterstützt werden möchte, muß — auf der anderen Seite — dafür auch etwas tun. Der Fliegerklub Krems hat ein Feld entdeckt, auf dem er nicht nur für die Fliegerei, sondern auch für Krems und Umgebung etwas tun kann: den Fremdenverkehr. In einer glücklichen Stunde fiel den Leuten vom Fliegerklub Krems ein, daß man den Sportfliegern, die bekanntlich immer nach Gründen und Anlässen aus sind, irgendwohin zu fliegen (weil ja das Fliegen wichtiger ist als das Wohin), die Weinlese in der Wachau als Flugziel schmackhafter machen könnte. Damit war die Idee zu den „Weinleseflügen“ in die Wachau geboren.

Was die Verwirklichung betrifft — der Weinleseflug fand vorigen Herbst zum erstenmal statt und brachte der Stadt Krems auf Anhieb 85 Übernachtungen ein. Womit die Wachau wieder um eine Attraktion reicher

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