6665177-1960_29_08.jpg
Digital In Arbeit

Gluck ab-gut Land!

Werbung
Werbung
Werbung

DER EILZUG VON WIEN hat kaum Liezen verlassen, als mein Nachbar, Professor Hornung, der Pressereferent der Turn- und Sport-Union, nach der Tasche mit dem Fernglas greift und den Himmel absucht. Gegen die flimmernde Sonne des Sommermittags ist mit freiem Auge kaum etwas auszunehmen, um so mehr, als das richtunggebende Motoj^g^rjpek,. fehji. „Da drüben, rechts vom Berghäng, fliegt einer“, konstatiert er. Und nach einer kurzen* Weilet „Unter ihm — noch einer.“ In diesem Augenblick sehe ich mit freiem Auge, weil ein Flugzeug aus dem Bereich des hellen Himmels kommt und sich gegen den dunklen Forst wie ein breiter, weißer Strich abhebt, eine dritte Maschine. Eine Viertelstunde später kurvt unser Wagen von der aus Wörschach nach Aigen führenden Straße scharf ab und fährt über den grasigen Flugplatz, an abgestellten Kraftwagen vorbei, auf den Stand des Flugleiters zu. Höhenangaben und die Zeit des Fluges einer vor etlichen Minuten gelandeten Maschine werden gebucht. Auf den ersten Blick sieht der Kontrollplatz des Leiters Pit van Husen, der eben mit einem sich zum Start fertigmachenden Mann spricht, ungefähr aus wie der erhöhte Sitz eines Schiedsrichters auf einem Tennisplatz. Freilich, hier werden keine „Fehler“, keine Outbälle oder Netzbälle, keine Spiele und Sätze gezählt, dieser Sport ist mehr als ein Spiel, und der Platz für diesen Sport ist nicht der regelgetreue des Doppels von 23,77 X 10,97 Meter, sondern er ist 1200 Meter lang. Die Hangars am jenseitigen Ende nehmen sich auch aus der Ferne größer aus als das Netz eines Tennisplatzes. Im frischen Westwind baumelt, sich hebend und senkend, der Windsack, uns einen freundlichen Gruß zuwinkend.

EBEN DIESER WESTWIND, der vom Grim-ming herüberweht, ist mit ein Grund, daß vorderhand die ganze Aufmerksamkeit des Flugplatzschulleiters nur in beschränktem Maß dem hereingekurvten Wagen gilt, von dem in dem Augenblick, da er hält, eine kleine Staubwolke sich hebt und nach Osten abzieht. Die sich in der Luft befindlichen Maschinen suchen nämlich die südöstlichen Hänge wegen des dort herrschenden Aufwindes. Da heißt es, alle Geschicklichkeit zusammenzunehmen, und man kann es aus dem schmalen, gebräunten Gesicht van Husens ablesen, wie seine kritische Beobachtung jede Wendung der Maschinen verfolgt und er am liebsten den Männern dort oben zuweilen etwas sagen möchte. Ein paar Meter von uns entfernt ist eben die Rede von Thermik und Aufwind; ein junger Mann in kurzer Hose kommt von der Verwaltungskanzlei her und hält den Wetterbericht in der Hand. Für den kommenden Tag muß man mit Kumulusbildung und vom Westen her aufkommenden Gewittern rechnen. Heute sieht es freilich ganz und gar nicht darnach aus. Mit gelassener Ruhe schweben die „Vögel“ einige hundert Meter über unseren Köpfen. Es ist für den Ungeübten schwer, diese Höhe abzuschätzen, und ich habe mich am ersten läge jedesmal verschätzt. *

VOR KURZEM WAR STARTNUMMER 100.000. Wenn man sich diese Zahl vergegenwärtigt — am Abend, als wir mit dem Schulleiter beisammensitzen, hören wir, daß an diesem Samstag allein 124 Starts stattgefunden haben — und wenn man dazu die geflogenen Kilometer in Betracht zieht, verlieren zwar die zuweilen sich ereignenden Unglücksfälle nicht an Gewicht, man muß aber gestehen, daß besondere Katastrophenfälle kaum einen höheren Hundertsatz erreichen als in der Fliegerei überhaupt, gar wenn man die heute beinahe schon als üblich erreichten Höhen und Weiten in Rechnung zieht. In den Anfangstagen der Segelfliegerei wurden Leistungen verzeichnet, die man — zu jener Zeit gewiß mit Recht — als Großtaten ansah. Heute redet man darüber kaum. Immerhin gibt es Leistungen, die in Anbetracht der Wind- und Wetterverhältnisse höchster Achtung wert sind. Im Frühjahr ist heuer der bekannte Segelflieger Johann Fritz — er ist Gendarmerieinspektor und gehört dem Union-Segelfliegerklub an — von Aigen im Ennstal mit der Absicht gestartet, nach Innsbruck zu fliegen (Entfernung 212 Kilometer), dort kehrt zu machen und in Unterwössen nächst dem Chiemsee zu landen. Ein Zielflug also zu Beginn der Saison von 310 Kilometer Länge! Aber mehr noch: Am nächsten Tag bestieg Fritz wieder das Flugzeug, ließ sich hochschleppen und erreichte seine Absicht, im „Heimathorst“ zu landen, obzwar sich das Wetter verschlechtert hatte. 620 Kilometer lassen sich auch heute sehen.

WÄHREND DIE LANDUNG ElNES FLUGZEUGS verfolgt und in die Liste eingetragen wird, kommt gerade eine Meldung durch, daß eine Maschine in der Zeit von 10 bis etw? 13.30 Uhr die Strecke nach Zell am See hinter sich gebracht habe. „Die Thermik ging an“, höre ich. Was es mit dieser Thermik für eine Bewandtnis habe, will ich wissen. Der Fluglehrer nimmt die Sonnenbrille ab und reibt sich die Augen. Er denkt eine Weile nach. Aha, sinniere ich, jetzt will er eä dem Laien mundgerecht machen. „Thermik“, sagt er schließlich, „das ist das Auf- und Absteigen größerer Luftmengen; sie entsteht durch bodenerwärmende Sonneneinstrahlung. Die von der Erde aus erwärmte Luft steigt auf, weil sie spezifisch leichter ist als die umgebende kühlere, löst sich aber nicht kontinuierlich, sondern in Aufwindblasen auf. Es ist ein Unterschied, ob sich die Maschine vor Felswänden befindet, wie etwa dort drüben am Grimming, oder auch über größeren Siedlungen, wo viele angestrahlte Häuser nebeneinänderstehen, oder ob Sie das Segelflugzeug über Wasserflächen oder Wälder zu steuern haben.“

HIER IN AIGEN startet man sowohl mit Winde als auch mit Motorschlepp. Wir gehen zur Winde. „Aber, bitte, nur auf der Straße und auf den Wegen, nicht über den Platz“, ruft man uns nach. Solch eine Motorwinde steht auf dem Felde etwa wie ein Traktor. Das Windenschleppseil wird eingeholt. Das Seil läuft schnell über eine Trommel, kaum kann man die Windungen Verfolgen. Das Flugzeug klinkt im geeignet erscheinenden Augenblick aus. Diese Winde muß — wie der „Befehlsstand“ — bei Windänderung den Standort wechseln, man „baut um“. Man staunt, welche Kraft dieses Seil auszuüben imstande ist und in welch rascher Folge es eingeholt und schon für den nächsten Start bereitgemacht wird. Die Ausklinkhöhe ist natürlich durch die Schleppseillänge begrenzt. Etwas anders ist es bei Motorschlepp. Mit dem „Meteor“, dessen Propeller dort rechts von uns surrt, werden die Segelflugzeuge bis in eine Höhe von 800 oder 1000 Meter geschleppt. Die Mehrzahl der Starts erfolgt aber mit der Seilwinde, j

DIE SCHULE BESITZT gegenwärtig fünfzehn Flugzeuge. In Österreich gibt es 15 bis 20 Segelflugplätze, aber keiner ist so herrlich gelegen und sportlich so günstig wie Aigen. Pit van Husen, mit dem ich später am Abend bei Tisch sprach, ist ein „alter Hase“ der Segelfliegerei. Er war schon in der Rhön dabei. „Gegenwärtig haben wir allein 42 Ausländer in der Schule, die weithin bekannt ist. Sie kommen aus der Schweiz, aus Frankreich, aus England und aus der Deutschen Bundesrepublik. Die Deutschen sind mit ihren eigenen Flugzeugen da. Ja, wenn man an die Tage in der Rhön denkt — das sind jetzt an die 32 Jahre her — und sich den Betrieb von heute ansieht, dann hat man das Gefühl, es sind mehr als 32 Jahre vergangen. Da schauen Sie die Liste der Flüge von 1959 an — nichts Ungewöhnliches, wenn da beispielsweise Flugnummer 130 am 25. April 237 Kilometer, Nummer 155 dann später 315 Kilometer Weite ausweist. Im vergangenen

IN DER VERWALTUNGSKANZLEI ist ein reges Kommen und Gehen. Frau Kollbacher ist die Seele des administrativen Betriebes. Sie teilt eben, als wir den Raum betreten, an einen Neuankömmling Decken und Wäsche aus. „Sie wohnen hier meist am Platz“, sagt sie. „Und das Schönste ist die Kameradschaft. Sie sagen zueinander du, ob es der Universitätsprofessor dort, der Lokomotivführer da ist. Die Segelflugjugend ist anders als die Jugend der Musik-boxes und des Jazz. Die Fröhlichkeit hier ist eine echte, nicht vorfabrizierte.“ Es gibt allerlei Ulk. So etwa, wenn ein Flieger seine Maschine vor statt hinter dem Landekreuz aufsetzt. Da bekommt er den „Uhrmacherhut“, den er solange tragen muß, bis einem Kameraden das gleiche Mißgeschick passiert. Eine bestandene Flugprüfung wird an Ort und Stelle (an einer gewissen Stelle) verpaßt und verewigt, daß das fliegerische Gefühl auch richtig „sitzt“. Man nennt das „Versohlen“. Und erst darnach kommen die üblichen Glückwünsche.

DEN LEUTEN IN AIGEN sollte man ihren Platz lassen. Es bestehen nämlich vom Heer aus gewisse Pläne, und der schone Platz sticht den Militärfliegern schon lange ins Auge. Man möchte eine Hubschrauberstaffel herlegen. Überflüssig, zu sagen, daß — auch für den hiesigen Fremdenverkehr — der damit erzeugte Lärm untragbar wäre. Und nicht das Unwichtigste: Eine Begünstigung der Liute in Aigen käme zuletzt doch der Heeresfliegerei zugute. Man schätzt im Heer die absolvierten Segelflieger sehr. Die Bevölkerung schließlich hat ihre Segelflieger besonders ins Herz geschlossen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung