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Gut Land!

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NEBEN NATURKATASTROPHEN wurden die Menschen in den letzten Monaten von einer bestürzenden Serie von Flugzeugabstürzen in allen Teilen der Welt erschreckt. Während man jedoch bei Nachrichten von Bahn- oder Auto-zusammenstößen und Unglücksfällen kaum auf die Idee kommt, zu fragen, ob nicht ein anderes Transportmittel zu wählen wäre, trat nach den Schreckensmeldungen der letzten Wochen gleich die Frage auf den Plan: Ist der Flugverkehr noch am sichersten?

Die Untersuchungen der Flugzeugkatastrophen der vergangenen Jahre und auch jener des heurigen Jahres, soweit abgeschlossen, bewiesen in nahezu allen Fällen, daß die Unfälle nicht auf ein technisches, sondern einzig auf menschliches Versagen zurückzuführen waren.

So sind allein in den drei Monaten des heurigen Jahres nicht weniger als 438 Todesopfer bei Flugzeugkatastrophen der Zivilluftfahrt zu beklagen. Also jetzt schon weit mehr als im bisherigen Rekordjahr 1959, in welchem 329 Personen ums Leben kamen.

Dennoch ist die Relation zu den Legionen von Straßenverkehrsopfern noch immer gut. Dies aber ist einzig und allein dem wohlorganisierten Kontrolldienst der Flugsicherheit zu verdanken. Diese Flugsicherheit ist ein ebenso großer Fragenkomplex wie das Fliegen selbst. Es ist wohl richtig, daß das einzige Maß, an dem man den „Fortschritt der Luft“ messen darf, das Gelingen oder Versagen der Flugsicherung ist. Sie umgibt wie ein wunderbarer verzweigter Schutzwall von Sicherheit das gesamte Luftfahrtwesen.

Wie dieser Flugsicherungsdienst auf unserem nun internationalen Flughafen Wien-Schwechat aufgebaut wurde, ist für das kleine Land Österreich bemerkenswert.

NEBEN DEM EINGANG ZUR ABFERTIGUNG .DER PASSAGIERE in'Schwechat kommt man über eine schmale Treppe zu den hinter Eisehtüren liegenden Räinnen- des''Flügsiche-rungsdienstes. In allen drei Abteilungen — dem Wetter-, dem technischen und dem Verkehrsdienst — herrscht intensives, aber dennoch konzentriertes Arbeiten. Der Flugkapitän, der vor Abgang seiner Maschine die Räume der Meteorologischen Station betritt, erhält hier eine detaillierte Aufstellung der Wetterverhältnisse, die er auf seiner gesamten Flugstrecke zu gewärtigen hat. Auf Grund der Wettermeldungen, genauer Streckenkarten, die von Handbücirern (Manuels) der einzelnen Fluggesellschaften ergänzt werden, stellt der Pilot den Flugplan auf. Hier muß er nicht nur seine Eigengeschwindigkeit und Flugdauer angeben, er muß auch die von ihm gewünschte und nach den gegebenen Wetterverhältnissen angemessene Flughöhe und, falls er im Zielhafen nicht landen kann, einen Ausweichflughafen anführen. Doch auch die technischen Einrichtungen seiner Maschine in Form von Funkfrequenzen, Radiokompaß und all die anderen besonderen Instrumente zur Möglichkeit der Bodenverständigung werden neben der mitgeführten Treibstoffmenge genauestens vermerkt.

Und nun beginnen die unangenehmen Minuten der Wartezeit für den Flugkapitän. Denn dieser Plan wird vom Verkehrsdienst in Schwechat mittels Funk und Fernmeldetechnik an sämtliche auf der betreffenden Strecke liegenden Verkehrskontrollstellen weitergegeben und deren Freigabe abgewartet. Die Streckenfreigabe bzw. eine verlangte Änderung wird vom Flugsicherungsdienst erst noch koordiniert, ehe die Flugzeugpapiere abgefertigt werden. Und nun darf die Besatzung an Bord gehen und der Kapitän sich beim Kontrollturm melden. Die Starterlaubnis jedoch kann er nur von den Männern im Kontrollturm erhalten. Die Zeit, ehe alles klar zum Start erklärt wird, ist mit dem Verstauen von Proviant und Gepäck sowie dem Einweisen der Passagiere zu ihren Plätzen ausgefüllt.

JETZT SETZT DIE GANZE KLEINARBEIT, die minutiöse Exaktheit der Flugsicherung ein. Dauernd ist der Kontrollturm mit der Pilotenkabine in Sprechverbindung; genau wird Meter für Meter, die das Flugzeug auf dem Rollfeld bis zum Abheben vom Boden zurücklegen muß, verfolgt. Das enorme Angespanntsein von Mensch und Maschine in diesen Minuten ist für den, der das Glück hat, hier unmittelbarer Zeuge zu sein, nahezu greifbar.

Mit dem Ende des Startvorganges erlischt auch in der Passagierkabine das Zeichen „No Smoking“, und die Fluggäste können sich, von den Sicherheitsgurten befreit, bequem zurücklehnen und von der Stewardeß verwöhnen lassen. Bei den Verantwortlichen kt davon nicht die Rede: Der Kontrollturm behält das Flugzeug in seiner Obhut, bis es die zum Flughafen gehörigen äußeren Tunkfeuer — in unserem'Falle Bruck an der Leitha und Steinhof — passiert hat. und übergibt es sodann der BezirRslontfoH-stelle.

Die technischen Einrichtungen der Bezirkskontrollstelle, die bei uns den gesamten Luftraum Österreichs beaufsichtigt, im angrenzenden Deutschland aber in drei Bezirke aufgeteilt ist, sind den modernsten Anforderungen der. Technik angepaßt. Keiner der Verkehrskontrok lore beachtet den Eintretenden. Sie sitzen vor ihren Pulten, nehmen die Verbindung mit den einzelnen Flugzeugen per Sprechfunk auf und verzeichnen jede durchgegebene Meldung. Finden sie auch hin und wieder Muße, sich eine Zigarette anzuzünden, so weicht doch niemals der Ausdruck der angespannten Konzentration von ihren Mienen. Nähert sich das Flugzeug der Grenze, wird es vom Kontrollmann der nächsten Bezirkskontrolle übergeben. Nicht per. Funk, nichts per Fernschreiber, deren es mehr als zwanzig in Schwechat gibt, sondern durch direkte Telephonleitungen ist Wien mit München, Zürich, Prag, Budapest, Mailand und anderen verbunden.

Durch eine Magnetophonaufnahmezentrale werden sämtliche Telephongespräche ebenso wie fernmelde- und funk- oder radiotechnische Nachrichten aufgenommen. Dadurch wurde eine zweite genaueste Überwachung jeder Weisurfg und jedes Vorganges auf dem Flugplatz geschaffen. Bei Untersuchungen von Unglücksfällen dient dies dann als untrügliches Beweismaterial.

INZWISCHEN WERDEN IN DEN ANGRENZENDEN RÄUMEN der Flugsicherung und Bezirkskontrolle die Meldungen von den anderen Flughäfen entgegengenommen, registriert und weitergegeben. Auf diese Weise halten die Kontrollstellen die für die einzelnen Flugzeuge bestimmten Flugstraßen von Störungen frei. Jeder Pilot weiß, daß seine Maschine wie eine Fliege in. einem Efsblock von allen Seiten von dem Netz der Flugsicherung umgeben ist. Jeder Maschine ist genügend Lebensraum in Form einer festgesetzten freien Zone oben und unten, links Und rechts gegeben.

AUF DIE GLEICHE WEISE WIE DER START wird auch die Landung einer Maschine überwacht. Vor der Annäherung an das Luftgebiet in der Nähe des Landeflughafens wird sie von der betreffenden Bezirkskontrollstelle an den Kontrollturm übergeben und von dort bis zur Übernahme durch den Servicedienst begleitet. Das dichte Netz der Flugsicherung in Schwechat gestattet nur das Landen im Sinne des sogenannten ILS, das ist das Instrumenten-Lande-System. So muß der Pilot der ankommenden Maschine den Kontrollturm verständigen, wann und in welcher Höhe er das äußere Funkfeuer und kurze Zeit später die nächste Kontrollstation des Landesystems passiert hat, um dann die Landeerlaubnis abzuwarten. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn er die gut markierte „Leitebene“ des Flugplatzes mit freiem Auge, je nach Art der Maschine und deren Funkeinrichtungen bei einem Bodenabstahd von 120 bzw. 60 Metern, sehen kann. Ist er daran etwa durch Bodennebel behindert, so gibt es für ihn nur die einzige Möglichkeit des Durchstartens und Anfliegens des Ausweichflughafens.

Wer jedoch glaubt, daß allein mit diesen Problemen das Thema des Starts und der Landung erschöpft wäre, ist weit von der Wirklichkeit entfernt. Erinnern wir Uns doch, daß mit der Erfindung der Düsenmotoren nicht nur modernere Geräte und eine raschere Bedienung erforderlich sind, sondern auch längere Startbahnen verlangt werden. Düsenmaschinen reagieren später auf Gashebel und Bremsen und können infolgedessen nicht auf den Meter genau aufsetzen. Dagegen braust so . ein Riesenvogel mit 180 Stundenkilometern-und mehr auf das Rollfeld zu, bevor die Bremsen einsetzen.

In Athen wurden aus diesem Grund in der Nähe des Flughafens acht Häuser niedergerissen, da sonst die Boeing 707 des amerikanischen Präsidenten nicht hätte landen können. Schwechat kennt diese Schwierigkeiten nicht. Die Landebahn ist bereits 60 Meter breit und auf drei Kilometer verlängert. Düsenflugzeuge vom Typ Caravelle und Boeing 707 starten und landen schnell und sicher.

NOCH MODERNER wird der Flughafen Wien sein, wenn das neue Gebäude den Betrieb beherbergen wird.

Im neuen Haus wird die AUA, Österreichs junge, aber moderne Flüggesellschaft, wieder einen geeigneten Platz zur Aufstellung des Linktrainers finden. Diese haargenaue Nachbildung der Pilotenkabine mit sämtlichen Armaturen dient zur periodischen Überprüfung der Piloten. Hier müssen sie an Hand der Pläne jener Flugplätze, die sie auf ihren Routen anfliegen, sämtliche notwendigen Aktionen ausführen. Es gibt Wind und Gegenwind und alle einkalkulierbaren Eventualitäten von Start und Landung. Ein Zeiger registriert wie beim Elektrokardiogramm des Arztes jede Handhabung und gibt unbestechlich Aufschluß über die Eignung des Piloten. Da diese Prüfungen nach einer bestimmten Anzahl von Flugstunden wiederholt werden müssen, will man auf diese Weise den Unsicherheitsfaktor Mensch so klein wie möglich halten.

SO HAT DER RUNDGANG IN SCHWECHAT tatsächlich gezeigt, daß Österreich im Flugverkehr nicht hinter anderen Ländern zurücksteht. Etwas anderes ist es mit der Beteiligung der Österreicher selbst am Flugverkehr, wenn auch die Zahl der Passagiere, deren Paß als Nationalität Austria angibt, von Jahr zu Jahr steigt: 1957 noch 16.521 ein- und 17.785 ausreisende Fluggäste, 1958 bereits 24.518 bzw. 25.686 und 1959 gar 27.106 und 28.006. Gegenüber den USA sind diese Zahlen freilich noch verschwindend klein. Aber man darf nicht vergessen, daß eine internationale Kommission als Grundlage eines Lebensstandards, der das Flugzeug als Verkehrsmittel für Urlaub und Reise gestattet, ein Mindestjahreseinkommen von 2000 Dollar berechnete. Bei den derzeit noch sehr hohen Flugspesen kann man daher wohl kaum eine größere Beteiligung von Österreichern erwarten.

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