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Mensch und Weltraum

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„Wer möchte zweifeln, daß diese Raumfahrt eine neue und konsequente Frucht der mythischen Himmelssehnsucht der Menschen ist, auch wenn diese Sehnsucht in manchen Herzen einiges von ihren ursprünglichen metaphysischen Zügen verloren hätte und sich mit dem

naturwissenschaftlich-technischen Weltbild des Menschen um eine konkrete technische Aufgabe ergänzen würde. Aufgabe der Technik ist, die uralten Sehnsüchte und Träume der Menschheit zu erfüllen, die Träume vom ewigen Frühling, ewiger Jugend und ewigem Frieden, die Sehnsucht nach Schönheit und Wahrheit, nach der Götterfreiheit von Mühsal und Mangel, von Raum und Zeit, von Krankheit und Tod, nach gottähnlicher Allmacht, Allgegenwart, Allgüte, nach Allwissen und den tiefsten Abenteuern des Leibes, der Seele und des Geistes.“

So schrieb der im Vorjahr viel zu früh verstorbene Professor für Raumfahrtwissenschaft an der Technischen Universität Berlin, Doktor Ing. Eugen Sänger, im Vorwort seines kurz vor seinem Tod erschienenen umfassenden Werkes „Raumfahrt, heute — morgen — übermorgen“. Dem sei ein Zitat aus einem Beitrag in der Zeitschrift „Vniversi-tas“ (Stuttgart) entgegengestellt. In seinem Artikel „Der Sinn der Weltraumfahrt und die Aufgabe unserer Generation“ sagt Prof. Dr. Joseph Meurers (Universität Wien) unter anderem: „Jeder, der an verantwortlicher Stelle in Wissenschaft und Technik steht, ist wegen der neuen Situation verpflichtet, sich die Frage vorzulegen, ob seine wissenschaftlichen und technischen Ambitionen im Einklang stehen mit den Anforderungen, welche die Zeit jeweils an die Generation stellt, oder nicht; er muß die Selbstdisziplin und den Mut aufbringen, gegebenenfalls liebgewordene Projekte zurückzustellen oder gar aufzugeben, wenn es nicht verantwortet werden kann, das Sozialprodukt für die betreffenden Pläne und Zielsetzungen in Anspruch zu nehmen. Man darf heute in Wissenschaft und Technik nicht mehr alles tun, einzig und allein aus dem Grunde, weil man es kann.“

Diese beiden Meinungen spiegeln die verschiedene Stellungnahme geistig hervorragender Menschen zu dem Problem „Raumfahrt“. In dem ersten Falle war es die Stimme eines Technikers, voll Begeisterung für seine Ideen, im zweiten die eines von philosophischen und humanen Überlegungen getragenen Vertreters der Naturwissenschaft, der seine Bedenken gegen die schrankenlose Allmacht der Technik anmeldete. Gerechterweise müßte noch ein Nationalökonom zu Wort kommen, der zu der Tatsache Stellung nimmt, daß bereits Ende des Jahres 1963 die Raumfahrtindustrie die größte Autoindustrie der Welt — die amerikanische — übertroffen hat und daher aus der Wirtschaft, ohne diese schwer zu erschüttern, nicht mehr auszuschalten ist. Das hat Professor Sänger — er hat an der Technischen Hochschule in Wien promoviert — vorausgesehen, als er schrieb: „Raumfahrt kommt eben über uns als ein aus den tiefsten Tiefen der Menschenseele geborenes Naturereignis, vor dem wir nur demütig oder trotzend stehen können. Raumfahrt kommt über uns, ob wir sie lieben oder hassen oder nicht beachten ...“

Zweifellos bedeutet der Beginn des Raumfahrtzeitalters eine neue Epoche in der Geschichte unseres Planeten, da das Leben sich anschickt, einen neuen Bereich zu erschließen, nachdem es aus dem Wasser an das Land und in den Luftraum vorgedrungen ist, und nun ist es im Begriffe, den Weltraum zu erobern.

Schon zu Beginn der Raumfahrt — der erste künstliche Satellit, der sowjetrussische Sputnik I, wurde am 4. Oktober 1957 gestartet — stand das Problem des bemannten Raumfluges im Vordergrund, denn bereits im zweiten Sputnik wurde ein Lebewesen in eine Umkreisungsbahn um die Erde befördert, die Hündin Laika, die das erste biologische Raumfahrtexperiment mit dem Leben bezahlen mußte. Es war der erste Versuch, einem höheren Lebewesen — zuvor sind schon Mäuse und Fruchtfliegen (Drosophila) in Raketen mitgeflogen — die Lebensbedingungen in einer Raumkapsel mitzugeben. Laika könnte vielleicht heute noch leben, wenn damals schon das Rückkehrproblem gelöst worden wäre. Es war ein verfrühter Versuch, der noch vor dem ersten Start eines amerikanischen Satelliten unternommen wurde. Schon damals zeichnete sich die Verschiedenheit der amerikanischen und sowjetrussischen Taktik ab. Die amerikanische Raumflugbehörde gab und gibt ihre Projekte und die Starttermine offen bekannt, und die Weltöffentlichkeit konnte bei den bemannten Raumflügen auch dem Start beiwohnen, zu welchem Zeitpunkt noch niemand sagen konnte, ob der Flug glücken würde oder nicht. Anders die Sowjetrussen. In ihrem Schweigen konnten sie ihre Raumflugvorhaben so planen und terminisieren, daß das Überraschungsmoment auf ihrer Seite war.

Die Amerikaner haben in den letzten Jahren sehr viel aufgeholt, und ihr Satellitenprogramm ist an Vielfalt und Umfang dem russischen zweifellos überlegen. Es sei nur an die verschiedenen Aufgaben erinnert, die amerikanische Satelliten zu meistern hatten, die Ballonsatelliten, die Wettersatelliten, die Nachrichtensatelliten oder der jüngste Satellit mit einer Spezialaufgabe, der am 16. Februar 1965 gestartete Mikrometeoritensatellit Pegasus, dessen 1,5 Tonnen von einer dreistufigen SA-9-Trägerrakete in eine 700 Kilometer hohe Umlaufbahn gebracht wurden. Die Sowjetrussen haben in der letzten Zeit 63 Satelliten der Type „Kosmos“ in erdnahe

Umlaufbahnen gebracht, ohne nähere Angaben über ihre Aufgaben zu machen oder die Ergebnisse zu publizieren. Zweifetlos dienten sie der Vorbereitung bemannter Raumflüge, für die sich die sowjetrussische Raumfahrt spezialisiert hat. Die Amerikaner, die mit den Flügen des

Mariner II — er flog am 14. Dezember 1962 in 34.000 Kilometer Entfernung an der Venus vorbei und meldete wichtige Meßdaten —, der Ranger VII, VIII und IX, die der Mondforschung ungeahnte Perspektiven eröffneten, des Mariner IV zum Mars (der, wenn alles weiter planmäßig verläuft, am 15. Juli 1965 um 2.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit mit der Übertragung von zwanzig Marsaufnahmen beginnen wird) haben auf dem Gebiet der Automation und Fernmeldetechnik Hervorragendes geleistet. Es sind Leistungen, die in der Öffentlichkeit meist nicht gebührend gewürdigt werden. Ich konnte zum Beispiel die am Samstag, dem 20. Februar, kurz vor 11 Uhr in 400.000 Kilometer von der Erde gemachten Bilder der Mondoberfläche bereits am darauffolgenden Donnerstag in einem Vortrag in Wien zeigen. Am Dienstag abend waren die bildmäßig hervorragenden Kopien bereits in Wien. Die Bilder, die der Ranger IV vom Mars zur Erde übermitteln soll, werden über eine Entfernung von 240 Millionen Kilometer übertragen, die Laufzeit der Funksignale, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen, beträgt rund 13 Minuten.

Die Vielseitigkeit der amerikanischen Raumflugprogramme bedeutet vielleicht eine Zersplitterung, während die Russen konsequent an einem Hauptziel arbeiten, den bemannten Raumflug voranzutreiben. Bei der Vielfalt der heutigen Raumflugprobleme wäre es voreilig, von einem allgemeinen Vorsprung der Russen zu sprechen. Es müssen Teilgebiete miteinander verglichen werden: In der bemannten Raumfahrt haben die Sowjets zweifellos ein Plus zu verzeichnen. Sie konnten ihren ersten Erfolg schon am 12. April 1961 mit der einmaligen Erdumkreisung Gagarins im Wostok I buchen. Der erste amerikanische bemannte Raumflug von John Glenn glückte fast ein Jahr später, am 20. Februar 1962. Am 15. August 1962 versuchten die Russen den ersten Doppelflug, Wostok III und IV mit Nikolajew und Popowitsch an Bord wurden auf die gleiche. Umlaufbahn, gebracht und näherten einander auf etwa fünf Kilometer. Ein zweiter ähnlicher Doppelflug brachte auch die erste Frau, Valentina Tereschkowa, die erste Kosmonautin, in eine Umlaufbahn. Ihr Partner, Major Bykowski, startete am 14. Juni 1963 mit dem Wostok V, und zwei Tage später folgte ihm Valentina Tereschkowa mit dem Wostok VI in die gleiche Umlaufbahn. Bykowski umkreiste die Erde zweiundachtzigmal und blieb fünf Tage im Weltraum, er hält damit den Rekord. Diese Doppelflüge waren Vorversuche für die sogenannten Rendezvousmanöver, las Zusammentreffen zweier Flugkörper im Weltraum, die für den 3au einer Außenstation und für benannte Flüge zum Mond notwendig sind. Am 12. Oktober vorigen Jahres imkreisten drei russische Kosmonauten in einem richtigen Raum-:chiff, ohne Raumanzug als Sicher-leitsmaßnahme, die Erde in 24 Stun-ien siebzehnmal. Dieser Flug des Woßchod I war die erste Gruppenlug, dem nun der Woßchod II folgte, vobei zum ersten Male ein Mensch n einem Raumanzug den Flugkör->er, wenn auch nur auf geringe 3islaaz„ verließ. .Der erdfernste 5unkt des Woßchod II lag fast iOO Kilometer über der Erdober-läche, die größte Entfernung von ler Erde, die jemals ein Mensch er-■eichte. Sie liegt noch innerhalb der interen Grenze der gefährlichen Jone des Strahlengürtels (Van-Ulen-Gürtel) um die Erde.

Die technischen Voraussetzungen ies bemannten Raumfluges sind ;rößtenteils gegeben. Der in der /akuumkammer geprüfte Raum-mzug erlaubt ein Aussteigen im Weltraum, auch die Amerikaner laben solch Anzüge mit eigener Klimaanlage (life support System) /erwendet, sie haben sogar zwei rypen von besonders robusten Mondanzügen entwickelt und geltet. Um in den freien Weltraum aussteigen zu können, ist eine Schleuse notwendig, um nicht zuviel Luft aus der Kabine zu verlieren. Im Flug in einer Satellitenbahn sind die Raumfahrer schwerelos, interessanterweise haben die Russen ihre letzten bemannten Raumflüge nicht über 24 Stunden ausgedehnt, da die länger anhaltende Schwerelosigkeit Störungen des Vestibularapparates, des Gleich-gewichtsorganes, hervorruft, die dauernd sein können. Die Russen sprechen von Weltraumbeschwerden, die Amerikaner deutlicher von Raumkrankheit. Russische Versuche in Druckkammern, die über 120 Tage ausgedehnt wurden, allerdings im Schwerefeld der Erde, zeigten, daß der Mensch die Umwelt mehr verändert als umgekehrt. Dadurch stiegen die Zahl der Mikroben und der Kohlenmonoxydgehalt der Luft bedenklich an. Es erweist sich, daß die umgebende Luft, hauptsächlich die chemische Zusammensetzung, in einem begrenzten, hermetisch abgeschlossenen Raum der entscheidende Faktor zu sein scheint. Der am wenigsten erforschte Faktor in der bemannten Raumfahrt ist der Mensch, wenn es sich auch bereits gezeigt hat, daß nicht alle Menschen gleich auf die Raumflugbedingungen reagieren und entsprechendes Training manche Folgen eindämmen kann. Die Raumfahrtmedizin wird immer mehr zur entscheidenden Wissenschaft, von ihr wird es abhängen, ob der Mensch länger dauernde Raumflüge wagen kann oder nicht. Flüge zum Mond und zurück übersteigen an Dauer jedoch kaum den Flug Major Bykowskis. Ob ein Russe oder ein Amerikaner als erster seinen Fuß auf unseren Begleiter setzen wird, läßt sich heute noch nicht voraussagen. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Amerikaner hätten für ihr „Projekt Apollo“, das den Flug dreier Astronauten zum Mond vorsieht, keinen Termin (bis spätestens 1970) angegeben, ebensowenig wie für ihr „Projekt Gemini“, das einen Satellitenflug zweier Astronauten in einer einzigen Raumkapsel, allerdings ohne Ausstieg, vorsah. Das „Projekt Gemini“ ist allerdings glänzend gelungen.

Der Mensch steht an der Schwelle des Weltraums, verschieden ist die Einstellung der Menschen zu diesem Geschehen. Im Jahre 1955, vor zehn Jahren, als es noch keine künstlichen Satelliten gab, fand der VI. Internationale Astronautische Kongreß in Rom statt, veranstaltet von der Internationalen Astronautischen Föderation. Der nächste Kongreß findet vom 12. bis 18. September 1965 in Athen statt. 1955 wurden die Kongreßteilnehmer von Papst Pius XII. in einer Sonderaudienz empfangen, und der Heilige Vater nahm in einer Ansprache zum Raumflugproblem Stellung, die in den Worten gipfelte: „Wenn es in der Genesis heißt, der Mensch mache sich die Erde Untertan, so ist unter dem Wort Erde nicht nur unser Himmelskörper, sondern die gesamte materielle Schöpfung zu verstehen, und je weiter der Mensch in ihr forschend vordringt, desto mehr wird er die Größe und Allmacht des Schöpfers erkennen.“

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