Die Bedrohung aus dem Weltraum

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Große Meteoriten haben in der Vergangenheit immer wieder einen Teil des irdischen Lebens ausgelöscht. Über kleine jedoch freuen sich die Wissenschaftler.

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Große Meteoriten haben in der Vergangenheit immer wieder einen Teil des irdischen Lebens ausgelöscht. Über kleine jedoch freuen sich die Wissenschaftler.

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Die Augenzeugen glaubten, der Weltuntergang sei gekommen: "Alles um mich herum war auf einmal taghell erleuchtet", berichtete Jens Ole Nielsen, Matrose auf dem vor der Grönländischen Westküste kreuzenden Fischdampfer "Nicoline C". Zur selben Zeit, in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember, fiel Marie Johnson, Einwohnerin des 200-Seelen-Dorfes Fisken¾sset, aus dem Bett: Ein lauter Knall hatte sie aufgeschreckt und ein heftiger Sturm fegte über ihr Haus hinweg. "Meine Wäsche draußen auf der Leine flatterte waagerecht im Wind", erzählte die Grönländerin. Aufnahmen einer automatischen Überwachungskamera in der Hauptstadt Nuuk zeigen einen Feuerball, der die gesamte Stadt in gleißendes Licht taucht.

In jener Nacht des Vorjahres ist über Grönland ein Meteorit in die Erdatmosphäre eingedrungen - ein Brocken, dessen Durchmesser auf 50 bis 100 Meter geschätzt wird; ein Exemplar dieser Größenordnung hat vor rund 50.000 Jahren den berühmten, 167 Meter tiefen Krater in der Wüste von Arizona hinterlassen. Der mittlerweile "Qaqortoq" getaufte Meteorit hat sich zum großen Bedauern der Astronomen jedoch nicht in das ewige Eis Grönlands gebohrt, sondern ist in 15 Kilometer Höhe explodiert. Laut dem Fachmagazin "Star Observer" handelte es sich um ein Stück des Kleinplaneten 3200 Phaeton, dessen Bahn rund drei Wochen zuvor die Erdbahn gekreuzt hatte.

Der Tod der Saurier Die Erde ist einem ständigen Bombardement aus dem Weltraum ausgesetzt. Zumeist sind es nur kleinste Partikel, Staub und Klumpen von der Größe eines Kieselsteins, doch manchmal treffen auch größere Brocken auf unseren Planeten. Manchmal können die Trümmer aus dem All auch globale Katastrophen auslösen: Statistisch ist alle 20 bis 30 Millionen Jahre mit einem Objekt zu rechnen, das einen Durchmesser von mehr als fünf Kilometern hat. Ein derartiger Meteoriteneinschlag hat den Dinosauriern den Garaus gemacht und könnte dereinst auch die Menschheit auslöschen.

Der endgültige Beweis, daß die riesigen Echsen der Tod aus dem All ereilte, wurde erst vor rund einem Jahr erbracht: Ein Team um den amerikanischen Wissenschaftler Richard Norris hatte den Meeresboden vor der Ostküste Floridas gezielt nach Spuren eines großen Meteoriteneinschlags abgesucht und war fündig geworden. Vor 65 Millionen Jahren schlug ein zehn bis 15 Kilometer großer Meteorit im Gebiet der heutigen Halbinsel Yucatan (Mexiko) ein und hinterließ einen Krater von 240 bis 290 Kilometern Durchmesser. Die beim Aufprall entstandene Staub- und Aschenwolke verdunkelte die Atmosphäre, die Temperatur sank empfindlich. Das kostete 70 Prozent aller damals existierenden Tier- und Pflanzenarten das Leben.

Doch das war mit Sicherheit nicht die einzige derartige Katastrophe: Es gibt Hinweise, daß auch vor 250 Millionen Jahren, an der Grenze zwischen den Erdzeitaltern Karbon und Perm, ein großer Himmelskörper mit der Erde zusammenstieß - mit dramatischen Folgen für die Kreaturen, die damals die Erde bevölkerten. Der Wiener Geochemiker Christian Köberl hat unlängst in Südafrika die Spuren jenes Einschlags gefunden, der vor 145 Millionen Jahren, an der Grenze zwischen den Erdzeitaltern Jura und Kreide, 15 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten ausgerottet hat. Der von ihm entdeckte - freilich durch Erosion verschüttete - Morokweng-Krater hat einen Durchmesser von mindestens 70 bis über 300 Kilometern.

Für gewöhnlich braucht sich jedoch niemand vor Materie aus dem All zu fürchten: Täglich wird die Erde durch Materienachschub aus dem Weltraum um rund 100 Tonnen schwerer, ohne daß eine nennenswerte Gefahr für Leib und Leben bestünde. Pausenlos prasseln Atomkerne (in Form von Sonnenwind und Kosmischer Strahlung) auf unseren Planeten. Am meisten trägt feiner Staub (Partikel von einer Masse im Hunderttausendstel-Gramm-Bereich) zur Gewichtszunahme der Erde bei. Alle dreißig Sekunden trifft ein millimeter- bis zentimetergroßes Klümpchen auf die Erde: In der Nacht hinterlassen diese einen Lichtstreifen: eine Sternschnuppe (siehe Kästchen).

Bringen Meteorite mehrere Kilogramm oder sogar Tonnen auf die Waage, so lösen sie sich beim Eintritt in die Atmosphäre nicht in ihre Atome auf. Von den geschätzten 19.000 Meteoriten, die pro Jahr bis zum Erdboden gelangen, werden allerdings die meisten vom Meer verschluckt oder sie gehen unbemerkt in unbewohnten Gebieten nieder. Nur zwei bis vier werden in einem Jahr entdeckt. In Österreich ist zuletzt im Jahr 1932 ein frisch zu Boden gefallener Brocken aus dem All gefunden worden: in Prambachskirchen (Oberösterreich).

Der früheste dokumentierte Meteoritenfall in Europa war der Meteorit von Ensisheim, der 1492 mit Getöse - er war mit Überschallgeschwindigkeit unterwegs - in einen elsässischen Acker donnerte. Kaiser Maximilian betrachtete das spektakuläre Ereignis als göttlichen Wink und brach flugs einen Krieg mit Frankreich vom Zaun. Bis an sein Lebensende trug er stets ein kleines Stück des himmlischen Steines bei sich. Bruchstücke jenes Meteoriten erfreuten sich noch lange großer Beliebtheit: Auch Dichterfürst Goethe war stolzer Besitzer eines Fragments.

Hin und wieder werden auch Meteorite gefunden, die in prähistorischer Zeit niedergingen. Der älteste wurde in Schweden entdeckt: Er ist vor 460 Millionen Jahren auf der Erde gelandet. Der schwerste liegt in Namibia: Er wiegt rund 60 Tonnen. In Österreich wurde nur ein einziger prähistorischer Meteorit gefunden: in Ybbsitz. Besonders viele kosmische Einwanderer werden in der Antarktis aufgegriffen: Die starken Winde in Südpolnähe legen immer wieder Meteoriten frei, die sich vor Jahrhunderttausenden ins Eis gebohrt haben - so auch den Sensationsmeteoriten ALH 84001, in dem Wissenschaftler vermeintliche Spuren von Leben fanden. Eine in der jüngsten Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Science" veröffentlichte Untersuchung der University of Arizona in Tucson und der University of California in San Diego brachte allerdings eine Enttäuschung: Die organischen Spuren in dem Stein vom Mars stammen von der Erde, wie eine Analyse der Kohlenstoffisotope ergab .

Zeugen der Frühzeit Seit dem vorigen Jahrhundert sammeln Wissenschaftler alle Meteoriten, die sie in die Finger bekommen. "Meteoriten verraten uns viel über die Frühzeit des Sonnensystems", erklärt Gero Kurat, Direktor der mineralogischen Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien. Die kosmischen Irrläufer sind zum größten Teil vor rund 5,6 Milliarden Jahren entstanden, zur gleichen Zeit wie Sonne, Erde und die anderen Planeten. Sie sind keine Bruchstücke irgendeines bekannten Himmelskörpers, sondern geisterten seit Urzeiten durch den Weltraum. Manche kommen wahrscheinlich von außerhalb des Sonnensystems. "Jeder Meteorit hat ein Gedächtnis und erzählt uns seine Geschichte", vergleicht der Universitätsprofessor, dem seine Eisen- und Steintrümmer zu guten Freunden geworden sind. Die Meteoritensammlung in Wien war bis zum Ersten Weltkrieg die größte der Welt, heute ist sie immerhin noch die Nummer vier.

Für globale Katastrophen, wie etwa der große Einschlag vor 65 Millionen Jahren, seien nicht nur Meteoriten verantwortlich, meint Kurat, denn Kometen kämen noch häufiger in die Nähe der Erde als Asteroiden. In der Tat vermuten manche Wissenschaftler, daß jene gewaltige Explosion, die 1908 in Tunguska (Sibirien) ein Gebiet von 50x60 Kilometern verwüstete, von einem Bruchstück eines Kometen stammt, das zehn Kilometer über dem Erdboden explodierte.

Der Astrophysiker Louis Frank von der University of Iowa war jahrelang von seinen Kollegen verlacht worden, weil er behauptete, die Erde sei einem Dauerregen von kleinen Kometen ausgesetzt. NASA-Satellitenaufnahmen haben seine These mittlerweile jedoch bestätigt: Demnach dringen täglich Tausende von tonnenschweren Eisklumpen in die Erdatmosphäre ein. Die Mini-Kometen, so groß wie Einfamilienhäuser, verdampfen jedoch in 1.000 bis 20.000 Kilometer Höhe.

Zum Thema: Das Leuchten der Sternschnuppen Entgegen der weit verbreiteten Annahme entsteht eine Sternschnuppe nicht durch Verglühen. Ionisation ist verantwortlich für jene Lichterscheinung, bei der Verliebte ewiges Glück für sich wünschen: Millimeter- und zentimetergroße Bröckchen aus dem Weltraum treten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 72 Kilometern pro Sekunde in die Erdatmosphäre ein. Dabei werden sie abgebremst. Gemäß dem Energieerhaltungssatz müssen sie dabei ihre enorme Bewegungsenergie loswerden. Dies geschieht, indem ihre Atome Elektronen abstoßen. Von der elektrischen Kraft angezogen, vereinen sich Atomkerne und Elektronen jedoch bald wieder und dann kommt es zu einem sogenannten Rekombinationsleuchten.

Im Fachjargon werden diese Lichterscheinungen am Himmel als Meteore bezeichnet - nicht zu verwechseln mit den Meteoriten, jenen festen Körpern aus Stein oder Eisen, die durch das Sonnensystem schwirren und bisweilen auf die Erdoberfläche plumpsen.

Meteore können auch gefährlich werden - allerdings nur, wenn man sich in der Erdumlaufbahn befindet. Jedes Jahr im November kommt die Erde in die Nähe der Bahn des Kometen Tempel-Tuttle, der auf seinem Weg durchs All Staub, Eis und Gesteinstrümmer zurückläßt. Leoniden heißen die Meteorschauer, die dann beobachtet werden können. Alle 33 Jahre fallen die Leoniden besonders spektakulär aus: So lange nämlich braucht der Komet, um die Sonne einmal zu umkreisen - und liefert dabei jedes mal neue Munition für die Leoniden.

Am 17. November 1998 und am selben Tag des nächsten Jahres ist es wieder soweit: Die Erde läuft durch den eben erst zurückgebliebenen Kometenmüll. Sternengucker freuen sich jetzt schon, Satellitenbetreiber jedoch befürchten das schlimmste: Eine "Handvoll" der rund 500 um die Erde kreisenden Satelliten könnte dabei getroffen werden und den Geist aufgeben, befürchtet der britische Leoniden-Fachmann Tony McDonnell von der University of Kent. M.K.

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