7134154-1997_40_01.jpg
Digital In Arbeit

Allzu riskante Experimente

19451960198020002020

Darf man mehr Wissen über die Saturnringe mit dem Risiko Tausender Krebstoter erkaufen?

19451960198020002020

Darf man mehr Wissen über die Saturnringe mit dem Risiko Tausender Krebstoter erkaufen?

Werbung
Werbung
Werbung

Der Start der Titanrakete mit den Raumsonden Cassini und Huygens hätte am 6. Oktober stattfinden sollen, wurde aber schon zweimal verschoben. Cassini und 1 Iuygens sollen die Venus umkreisen, sich im Vorbeiflug an der Erde und am Jupiter neuen Schwung holen und so zum Saturn gelangen, dessen Ringsystem Cassini erforscht, während Huygens auf dem Sa turnmond Titan landet.

Das klassische friedliche Forschungsprojekt. Wie groß ist, bei einer Durchschnittstemperatur von minus 180 Grad Celsius, die Ähnlichkeit Titans mit der Erde - so, wie sie vor einigen Milliarden Jahren war? Schwappt tatsächlich ein Ozean von Methan auf seiner Oberfläche? Kann er uns Aufschlüsse über die Entwicklung unseres Planeten liefern?

Die Verschiebung erfolgte wegen technischer Pannen, nicht wegen Zehntausender Proteste besorgter Zeitgenossen. Proteste gegen ein friedliches Forschungsvorhaben? Friedlich ist es tatsächlich. Aber es ist mit Risken verbunden, die der Laie grundsätzlich, aber ungenau kennt - deren Bewertung er aber auch nicht vertrauensvoll in die Hände der Fachleute legen kann.

Mit nur rund fünf Kilogramm Plutonium läßt sich eine Kernwaffe bauen. Das System, welches den Ring des Saturn und den derzeit interessantesten seiner mehr als 20 Monde erforschen soll, hat 30 Kilogramm Plutonium an Bord - Kernbrennstoff zur Erzeugung der Energie für Steuereinrichtungen, Funkgeräte und Instrumente. Plutonium ist eine der giftigsten Substanzen, die wir kennen. Jedes Partikel ist ein hochpotenter Krebsauslöser. Krebsauslöser im Weltall machen uns zwar heute wenig aus - die Frage ist nur, mit welchem

Grad von Wahrscheinlichkeit das Plutonium tatsächlich ins All gelangt, und was geschieht, falls der Start mißlingt.

Mehr als jede zehnte von den USA ins All geschossene Trägerrakete, die Plutonium an Bord hatte, mußte beim Start gesprengt werden oder erreichte nicht die vorgesehene Umlaufbahn. Die NASA versichert, das Plutoniumoxid sei so gut verkapselt, daß bei einem Fehlstart nichts passieren kann. Aber auf dem Weg von der Venus zum Saturn passiert das Gerät die Erde in nur 8.000 Kilometer Entfernung. Einen Fehler, der zum Einschwenken in eine Erdumlaufbahn und in weiterer Folge zum Verglühen in der Atmosphäre führt, schließt die NASA mit eins zu einer Million aus. Sollte es trotzdem dazu kommen, werde höchstens ein Drittel (immerhin das Äquivalent zweier Bomben) verglühen.

Den wissenschaftlichen Laien, der die Mentalität der Institutionen auch nur ein bißchen kennt, kann dies nicht beruhigen. Er vermag ja nicht zu beurteilen, in welchem Maß die besänftigenden Auskünfte der NASA auf deren massives Interesse an der Durchführung der Mission zurückzuführen sind. Die NASA ist ein gewaltiger' Apparat, der unter großem Druck steht, seine Existenzberechtigung sowie den Sinn der für die Weltraumforschung aufgewendeten Steuermittel nachzuweisen. Die Sonde Huygens ist das Werk europäischer Wissenschaftler. Daß sie an den Ergebnissen der Mission interessiert sind, ist nur zu begreiflich - die Tendenz, Risken zu verdrängen, zu verschweigen oder herunterzuspielen, wäre nur menschlich - allzumenschlich.

Jeder halbwegs Informierte weiß ohnehin genug, um den Plan, 30 Kilogramm Plutoniumoxid in den Weltraum zu schießen, für verantwortungslos zu halten. Auch wenn schon ebensoviel Plutonium eines sowjetischen Satelliten wahrscheinlich irgendwo im Atlantik liegt. Selbst von dem einen Kilogramm Plutonium eines in der Atmosphäre verglühten amerikanischen Wettersatelliten konnten die radioaktiven Partikel weltweit nachgewiesen werden.

Der Umweg um die Venus und die Beinahe-Berührung der Erde wären vermeidbar -man müßte bloß einige Jahre auf eine günstigere astronomische Konstellation warten. Auch der Plutoniumreaktor wird sich eines Tages erübrigen. Heutige Solarzellen liefern in einer Region des Sonnensystems, wo die Sonne nur als bleiche Scheibe erscheint, so wie bei uns der Mond, zuwenig Energie. Aber auch Sonnenpaddel mit besserem Wirkungsgrad sind in Entwicklung. Warum also die Eile?

Muß für die Weltraumforschung dasselbe gelten wie für soviele Bereiche, von der forcierten Gentechnik bis zu den forcierten Integrationsprozessen? Auf all diesen Gebieten sind die negativen Auswirkungen grundsätzlich positiver Entwicklungen vor allem auf das Tempo und den Druck zurückzuführen, womit sie vorangetrieben werden. Dieses Tempo, dieser Druck sind nicht notwendig, werden aber für notwendig ausgegeben.

Dahinter stehen Geschäft, Streben nach Macht, Besitzgier und Ehrgeiz. Bei allem Streben nach Erkenntnis: Auf mehr Wissen über die Struktur der Saturnringe kann die Menschheit ebenso leicht noch warten wie auf den ersten geklonten Affen. Die Existenzangst der

NASA, die finanziellen Interessen der Baumfahrtindustrie und die Karrieren der Wissenschaftler sind keine Rechtfertigung dafür, 120 bis 2.300 Krebstote (NASA-Schätzung für den „worst case”), wenn nicht 200.000 oder mehr Krebstote (unabhängige Schätzungen), zu riskieren. Diese Mission ist daher ethisch ein Verbrechen. Auch dann, wenn der Start gutgeht. Genauso, wie Autofahren im besoffenen Zustand ethisch auch dann ein Verbrechen ist, wenn der Zufall gnädig ist und kein Unfall passiert. Zu solchen Experimenten muß man nein sagen.

Wichtiger als mehr Wissen über den Saturn wären Strukturen, welche die Souveränität der Staaten dort beschränken, wo ihre Entscheidungen Lebensinteressen der Menschen anderer Staaten tangieren. Sei es Frankreich mit seinen Kernwaffenversuchen in der Südsee, die Ukraine mit ihrer Entscheidung, die Reaktoren vom Tschernobyl-Typ noch jähre lang zu betreiben, oder die Vernichtung der Regenwälder in Indonesien. Auch 30 Kilogramm Plutonium, die ins All geschossen werden sollen, sind so ein Fall. Solange wir solche Strukturen nicht haben, besteht die Gefahr, daß das Plutonium ins All geschossen wird, weil niemand etwas dagegen sagt - oder aber, weil Proteste das nationale Prestigedenken mobilisieren.

Die USA sind derzeit für ein solches Prestigeverhalten sehr anfällig. Aber vielleicht bemerkt Bill Clinton doch noch, welch schiefe Optik entsteht, wenn die USA in jeder ausländischen Maschine, welche die USA anfliegt, ein absolutes

Rauchverbot durchdrücken, und zwar noch über dem europäischen Kontinent - und auf der anderen Seite mit einem Worst-case-Szenario operieren, das 2.300 Krebstote für ein hinnehmbares Risiko hält. Hypersensibilität und Gefahrenbewußtsein auf der einen Seite, Leichtsinn auf der anderen - so mögen einzelne handeln. Staaten dürfen es nicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung