Steinschlag aus dem Weltall

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Im Weltraum-Vorhof der Erde ist ziemlich viel Verkehr. Sollte es ernst werden, gäbe es bei ausreichender Vorlaufzeit noch Möglichkeiten, das Geschoß umzulenken.

Christian Köberl, der Generaldirektor des Naturhistorischen Museums in Wien, wäre ein willkommener Gast im gallischen Dorf bei Asterix, Obelix & Co. gewesen. Und sein gemeinsam mit Profil-Wissenschaftsredakteur Alwin Schönberger verfasstes Buch "Achtung Steinschlag" hätte dort das Potenzial zum Bestseller gehabt. Denn obwohl sonst absolut furchtlos, wurde das "Dorf der Unbeugsamen" von einer Angst gequält: Dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.

Köberl, eingeladen zu Wildschweinbraten, hätte die Gallier wissenschaftlich fundiert von dieser Angst befreit: Der Himmel bleibt, wo er ist. Doch Asterix hätte wohl nachgefragt, wie dann, wenn kein Himmel runterfalle, Köberl zu seiner Berufsbezeichnung "Impaktforscher" (Impakt = Einschlag) gekommen sei. Woraufhin der Professor für planetare Geologie an der Universität Wien vorgerechnet hätte, dass derzeit rund 17.000 sogenannte "Near Earth Objects" (NEOs) bekannt seien und pro Woche circa 30 weitere erdnahe Asteroide entdeckt würden. Wobei das nur die großen Himmelsbrocken mit mehr als einem Kilometer Durchmesser, und nur ein Bruchteil aller NEOs, wären. Von den Himmelskörpern im erdnahen Bereich unter 100 Meter Durchmesser seien überhaupt erst geschätzte zehn Prozent bekannt.

Dichtes Gedränge im Weltraum

Sprich, da ist ziemlich viel Verkehr im Weltraum-Vorhof der Erde - oder wie Köberl den Galliern aus seinem Buch zitiert hätte: "Da draußen im All, in unmittelbarer Nachbarschaft, flitzt eine unüberschaubare Zahl von Gesteinsbrocken umher, es herrscht ein dichtes Gedränge an Asteroiden, die unseren Planeten einhüllen wie eine Wolke. Letze Woche sauste Asteroid "2002 AJ129" im Abstand von 4,2 Millionen Kilometer an der Erde vorbei. Und im Oktober 2017 flog Asteroid "2012 TC4" in einer Distanz von nur 40.000 Kilometern an uns vorbei. Das entspricht etwa einem Zehntel des Abstandes zum Mond. Die genaue Bahn des circa 50.000 Stundenkilometer schnellen Besuchers aus dem All war nicht vor dem Sommer 2017 bekannt -trotz der präzisen Technik weiß man manchmal erst sehr spät, ob die Sache eng wird. Köberl hätte aber gern noch folgende Ergänzung gemacht: "Panik ist trotzdem nicht angebracht. Je heftiger der Impakt, desto seltener tritt ein solcher Ernstfall ein. Und zuverlässige Berechnungen zeigen, dass in absehbarer Zeit kein Zusammenstoß droht." Doch dafür wäre keine Zeit mehr, sondern das Wildschwein sofort abserviert und die Dorfgemeinschaft in wilder Aufruhr ob der Gefahr am Himmel.

Schade, die Gallier verpassten damit viel Wissenswertes. Denn Christian Köberl ist nicht nur einer der international führenden Experten in der Erforschung von Impaktkratern, sondern auch ein launiger Erzähler. Zum Beispiel wenn er über die Geschichte der Meteoriten-Kunde zu extemporieren beginnt: Schon Plinius der Ältere schrieb im Jahr 77 n. Chr. von "Steinen, die vom Himmel fallen" und Pharao Tutanchamun hatte einen Eisenmeteoriten-Dolch in seiner Grabkammer. Die Existenz von Meteoriten war also allgemein akzeptiert; Funde wurden regelmäßig dokumentiert. Ungeklärt blieb aber lange, wie diese Steine in den Himmel kommen.

Als gängigste Erklärung galt, dass alles, was herunterfiel, Ausdünstungen der Erdatmosphäre in der Art steinerner Hagelkörner seien, oder auch das Eruptionsmaterial von Vulkanen. 1610 entdeckte Galileo Galilei die Mondkrater und das Rätselraten über deren Entstehung begann. Der Brite Robert Hooke fand 1665 die Lösung, indem er Steine in den Schlamm warf und damit Risse und Mulden identisch der Mondkrater erzeugte. Hook glaubte aber nicht an die Beweiskraft seines Versuches. Die damalige Gelehrtenmeinung war, der Raum zwischen den Planeten sei leer.

Fenster in die Vergangenheit

Erst 136 Jahre später wurden die ersten Kleinplaneten entdeckt. Seither begann sich das Weltall zu füllen. Heute weiß man, dass dort eine Unmenge an Bauschutt aus der Konstruktionsphase des Sonnensystems vor rund 4,5 Milliarden Jahren herumfliegt. Dessen Analyse öffnet Fenster in eine ferne Vergangenheit und bringt Antworten auf viele Rätsel des Universums. Rund 19.000 solche Objekte fallen jedes Jahr auf unseren Globus -hinzu kommt eine schier unglaubliche Menge an Mikro-Meteoriten: 100 Tonnen an kosmischem Staub regnet es täglich auf die Erde.

Für Köberl ist dieser Paradigmenwechsel bei der Himmelsforschung auch "ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Wissenschaft funktioniert". Er plädiert für den Wert der in Österreich "beschämend unterfinanzierten" Grundlagenforschung: "Ich kann nicht nach etwas suchen, wovon ich nicht weiß, dass es das überhaupt gibt. Deswegen ist es so wichtig, dass man nicht immer im Vorhinein bis aufs Letzte schon festzulegen versucht, was herauskommen muss. Die interessantesten und wichtigsten Dinge, wie etwa die Radioaktivität, wurden oft völlig zufällig gefunden."

Wie die Entdeckung des Einschlags jenes Asteroiden, der die Dinosaurier auslöschte: Der US-Geologe Walter Alvarez forschte zur Plattentektonik der Erde und wollte wissen, wie lange es dauert, bis sich Gesteinsschichten ablagern, um den erdgeschichtlich wichtigen Übergang von der Kreidezeit ins Paläogen genauer zu bestimmen. Seinem Vater, dem Physik-Nobelpreisträger Louis Alvarez kam die Idee, den kosmischen Staub, der kontinuierlich auf die Erde regnet und eine hohe Konzentration an Iridium aufweist, als Indikator für die Dauer der Bodenschicht-Bildung zu verwenden. Nach der Formel: viel Iridium im Boden, also längere Dauer, da mehr Sternenstaub.

Da stellte sich heraus, dass in der dünnen Tonschicht zwischen Erdmittelalter und Erdneuzeit ein exorbitant hoher Iridiumwert festzustellen ist. Es hätte unrealistisch langer Zeiträume bedurft, um derartig viel kosmischen Staub im Erdboden zu binden. Oder war vielleicht ein einzelnes, alle Normen sprengendes Ereignis der Auslöser dieser weltweit messbaren Iridiumspitzen im Boden? Zum Beispiel der Einschlag eines gigantischen Asteroiden? So fand Walter Alvarez "zufällig" den Beweis für den Asteroideneinschlag vor 65,5 Millionen Jahren, der auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán einen der größten Krater aller Zeiten schlug und dessen Aufprall einen Weltenbrand auslöste.

Die große Katastrophe

Um die Dimension dieser Katastrophe annähernd erfassen zu können: Ein Berg, größer als der Mount Everest, ist damals mit rund 140.000 Stundenkilometern auf die Erde geknallt, hat die Energie von einigen Milliarden Atombomben freigesetzt und ein 40 Kilometer tiefes Loch geschlagen, so Köberl. Erdbeben, Tsunamis, globale Waldbrände und ein abrupter Impaktwinter folgten, da sich die Atmosphäre mit Staub, Ruß und Wasser füllte und das Sonnenlicht blockierte. Der klimatische Kollaps vernichtete mindestens die Hälfte aller Spezies des Planeten.

Das bestätigt doch wieder die gallische Angst vor dem einstürzenden Himmel. Lange vor Asterix ist eine Unterredung zwischen Alexander dem Großen und keltischen Kriegsfürsten belegt, in dem diese ihm ihre einzige Angst gestanden: Dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Wäre Köberl dabei gewesen, hätte er zu rechnen begonnen: Ein riesiger Asteroid wie jener, der die Dinosaurier vernichtete, kollidiert nur alle 100 Millionen Jahre mit der Erde. Felsbrocken unter einem Kilometer Durchmesser kreuzen die Erdbahn im Schnitt ein Mal pro einer Million Jahre. Und noch kleinere sausen etwa alle 10.000 Jahre herab.

Sollte es dennoch demnächst eng werden, hätte Köberl die Gallier beruhigt, gäbe es bei genügend Vorlaufzeit noch Möglichkeiten, das Geschoß umzulenken. Woraufhin noch einmal Wildschwein serviert worden wäre und Majestix, Häuptling des gallischen Dorfes, das Festmahl mit seinem "Ceterum censeo" eröffnet hätte: "Es ist noch nicht aller Tage Abend."

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