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Eine 4,6 Milliarden Jahre alte Wunderwelt
Die düstere Weltlage erschwert die Kenntnisnahme der neuen faszinierenden Ergebnisse der Weltraumfahrt. In Wirklichkeit befinden wir uns in einer Phase des Aufbruches in die Tiefen des Sonnensystems, die die Zeiten der großen Entdeckungen auf der Erde - denken wir nur an die Umsegelung anderer Kontinente oder an die Polarexpeditionen - bei weitem in den Schatten stellt.
Nach dem Mond wurden in den vergangenen 20 Jahren die inneren Planeten Merkur, Venus und Mars in zunehmendem Maße erforscht und die beiden letzteren durch 18, bzw. 16 Raumsonden angeflogen. Nun geht eine Mehrfachmission zu Jupiter und Saturn allmählich in die Endrunde, die 1973/74 mit den beiden Flugkörpern vom Typ Pionier ihren Anfang gefunden hatte.
Hier schon wird uns die unerhörte Ausdehnung und Leere des Weltraumes bewußt: Pionier 11 z. B. wurde am 5. April 1973 gestartet, flog am 2. Dezember 1974 an Jupiter vorbei, aber erst am 1. September 1979 gelang die
größte Annäherung an Saturn. In einer Entfernung von anderthalb Milliarden Kilometer von der Sonne zog das Raumschiff in etwa 400 000 km Abstand am Saturn vorbei.
85 Minuten braucht ein Befehlsignal für diese Distanz und fast drei Stunden dauert es, bis die Vollzugsmeldung wieder auf der Erde ist - eine ziemlich langsame Kommunikation bei Lichtgeschwindigkeit! Über 10 000 Kommandos sind bei diesem ersten Flug gegeben worden.
Die zwei Raumschiffe der nächsten Mission, Voyager 1 und 2, sind 1977 gestartet worden und haben zunächst aufregende Ergebnisse vom Jupiter zur Erde gefunkt: Ein zarter Ring um den Planeten und aktiver Vulkanismus auf dem Jupitermond Io wurden entdeckt (1979). Voyager 1 hat eben jetzt den Saturn passiert, während die Annäherung der zweiten Sonde an ihn im August 1981 stattfinden wird.
Wenn nichts dazwischen kommt, wird es sogar möglich sein, daß Voyager 2 in einer „Grand Tour“ bis zum Uranus (1986) und Neptun vordringt und so Nachrichten von den äußersten Regionen aus dem Reich der Großplaneten übermittelt.
An Bord der kompliziert gebauten Raumkapseln befinden sich elf wissenschaftliche Meßanordnungen, die unter anderem folgenden Zwecken dienen: Photographische Aufnahmen durch verschiedene Färb- und Polarisationsfilter, Strahlungsmessungen vom Ultraviolett bis zum Infrarot, Untersuchung der Zahl und Zusammensetzung geladener Teilchen, der Radiostrahlung und des Magnetfeldes.
Was hat nun Voyager 1 bei seiner Begegnung mit Saturn am 12. November 1980 wirklich Neues entdeckt? Allenfalls mehr als man seit dem ersten Fernrohrblick durch Galilei im Jahre 1610 in den vergangenen Jahrhunderten erforschen konnte. Damals war ein seltsamer Planet gesichtet worden, der Henkel oder Ohren zu haben schien, die sich bald danach als freischwebender Ring entpuppten.
Dieser Ring war es, der dem Saturn den Namen „Wunder des Himmels“ eintrug und der zu den faszinierendsten Erscheinungen der Astronomie des Sonnensystems gehört. Auf den großen Bergsternwarten des Pic du Midi und im Westen der USA entstanden in den vergangenen Jahrzehnten jene Arbeiten, die ein dreifaches Ringsystem des Saturn zeigten, für neun Trabanten gesicherte Bahnen lieferten und die die Bewegung der Atmosphäre und ihre Zusammensetzung aus Methan und Ammoniak sicherstellten. Auch über die Theorie des inneren Aufbaues des Saturn gab es einigermaßen fundierte Annahmen.
Und nun ka,men die Überraschungen: Nicht nur die drei bisher bekannten Ringe konnten verifiziert werden, drei weitere wurden entdeckt. Zur großen Verwunderung zeigten sich die breiten Ringe in wohl über 1000 schmale Ringe oder Bänder aufgelöst.
Nicht weniger als drei neue Monde wurden entdeckt, sodaß die Gesamtzahl (mit den kurz vorher gefundenen) derzeit 15 beträgt. Auch die Teilungen
zwischen den Ringen sind nicht leer, sondern von dünn verteilter Materie erfüllt. Einige der jetzt gefundenen Monde scheinen die großen Ringe voneinander separiert zu halten, anderseits zeigt sich der F-Ring in mehreren verflochtenen Streifen, die Knoten oder Schleifen bilden.
Manche Wissenschaftler haben gleich geschlossen, daß hier die Keplergesetze nicht gelten, aber da zusätzliche elektrische und magnetische Kräfte wirksam sind, werden sich diese nichtgravitationsbedingten Störungen wohl klären lassen.
Die dunklen fingerartigen „Speichen“, die sich vom Zentrum her radial über den mittleren Ring hinaus ausdehnen, gehören zu den rätselhaftesten Erscheinungsformen der Saturnwelt; vermutlich sind aber auch sie Zeichen des magnetischen Kraftlinienverlaufes. Mit nur ganz, wenigen Kilometern Dicke ist das Ringsystem unvorstellbar dünn im Vergleich zu seinem Durchmesser von fast einer Million Kilometern. Die Ringe bestehen aus Eistrümmern von Zentimeter- und Dezimeterdicke bei einer Temperatur von — 200 Grad C.
Die Monde selbst sind bizarre Wunderwelten, meist mit Eis bedeckt. Auch auf Titan, dem größten Trabanten des ganzen Sonnensystems, herrscht enorme Kälte, und unentwegt schneit es Kohlenwasserstoffe aus der Dunstglocke der Atmosphäre herab. Auch Stickstofftropfen bilden sich aus. Ein Leben ist also hier unmöglich. Außerhalb der inneren Ringe sind Strahlungsgürtel geladener Teilchen, die durch das Magnetfeld eingefangen worden sind.
Die Masse des Hauptkörpers und der Trabanten wurde genau ermittelt, die bisherigen Theorien des Aufbaues verbessert, aber im wesentlichen bestätigt. Die rasche Rotation von 10 Stunden 39,5 Minuten Dauer wurde gesichert und eine zusätzliche Geschwindigkeit der Winde über dem Äquator von 1400 Stundenkilometern gefunden. Der Saturn strahlt mehr Wärme ab, als er von der Sonne empfängt; er verfügt also über eigene Energieerzeugung.
Man darf annehmen, daß das Saturnsystem ohne wesentliche Störungen seit rund 4,6 Milliarden Jahren in der gegenwärtigen Form besteht. Aber auch viele andere Aufschlüsse über die Entstehung des gesamten Sonnensystems werden aus den Daten noch gezogen werden können.
Zwar hat die NASA gegenwärtig alle weiteren wissenschaftlichen Erkundungsflüge gestoppt. Auf die Frage aber, ob wir uns solche überhaupt noch leisten können, hat der amerikanische Wissenschaftspublizist Kaufmann festgestellt, daß für eine Milliarde Dollar Kaugummi gekauft wird; eine Milliarde Dollar sind ein Bruchteil des Zigarettenkonsums oder gar nur ein Zehntel des jährlichen Aikoholverbrauches in den USA. Also wenn wir wollen, haben wir noch Mittel, um weiter in das Weltall vorzustoßen. Und für andere Dinge zur Verbesserung des Lebens auf der Welt bliebe auch noch etwas übrig. - Hoffentlich.
Univ.-Prof. Dr. Hermann Haupt ist Vorstand des Institutes für Astronomie der Universität Graz
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