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Wunderbarer Jupiter

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Mit den Augen der amerikanischen Raumsonde Pionier 10, die am 4. Dezember 1973 den Jupiter in 130.000 Kilometer Entfernung passierte, konnte die Menschheit den Riesenplaneten zum erstenmal aus der Nähe betrachten.

Bei Pionier 10 handelt es sich um das erste von der Erde aus gestartete Raumschiff, das in unserem Sonnensystem über die Umlaufbahn des Planeten Mars hinausgestoßen ist. Schon vor ihrer detaillierten Auswertung haben die Ergebnisse dieser bemerkenswerten Reise, die am 2. März 1972 in Florida begann, in wissenschaftlichen Kreisen der USA und anderer Länder großes Aufsehen erregt. Auf Grund der eingelangten Daten rechnet man mit einer Revision von Theorien auf dem Gebiet der Plasma- und Hoch-energiephysik, aber auch bezüglich der Entwicklungsgeschichte von Sternen und Planenten.

Derzeit hat Pionier 10 den Planeten Jupiter schon um Millionen Kilometer hinter sich gelassen und sendet im interplanetaren Raum vorgenommene Messungen zur Erde zurück. Die Umlaufbahn des nächsten Planeten, Saturn, wird die Sonde im Jahr 1977 erreichen und die des sonnenfennsten, Pluto, zehn Jahre später. Daraufhin wird das Raumschiff über den Rand unseres Sonnensystems hinausfliegen, und zwar in Richtung auf das Sternbild des Stiers. Nach 1980, wenn es den Planeten Uranus .ybesucht“ haben wird, dürfte es jedoch'kaum noch in der Lage sein, Radiosignale zur Erde zurückzufunken.

Im gefährlichsten Stadium ihrer Reise befand sich die 258 Kilogramm schwere Raumsonde, als sie die den Jupiter umgebenden Strahlungsgürtel durchqueren mußte. Zur Überraschung vieler Wissenschaftler hielt Pionier 10 diese Belastung aus, obwohl sich die Strahlung als zehn-mdllionenmal stärker als die des Van-Allen-Gürtels erwies, der unsere Erde umgibt. Elektronen und Protonen mit einer Energie bis zu 65 Millionen Volt bombardierten das Raumschiff. Die Dichte der Protonen war geradezu unvorstellbar, denn pro Quadratzentimeter hagelte es vier Millionen Teilchen pro Sekunde, genug, um 2,5 Zentimeter Stahl zu durchdringen.

Sensoren des Pionier 10 gaben auch Informationen über das Magnetfeld, die Wolkenrtemperaturen und die Monde des Jupiter durch. Viele dieser Ergebnisse sind verblüffend. Zwar wußte die Wissenschaft bereits, daß der Jupiter riesig ist: 1300mal größer als die Erde. Pionier 10 bewies jedoch, daß dieser Gigant noch gewichtiger ist als angenommen, nämlich schwerer um die Masse eines oder zweier Erdmonde. Dr. Anderson vom Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien errechnete, daß sich 99 Prozent der Jupitermasse unterhalb einer Zone befinden, die 2300 Kilometer unter der hypothetischen Oberfläche des Planeten beginnt. Hypothetisch deshalb, weil der Jupiter keine feste Oberfläche wie die Erde hat.

Schon von der Erde aus war es Wissenschaftlern gelungen, das Vorkommen von Wasserstoff in der Jupiteratmosphäre festzustellen, aber es konnte kein Helium nachgewiesen werden. Pionier 10 hat jetzt bestätigt, daß die Atmosphäre des Riesenplaneten tatsächlich Helium enthält. Infrarotmessungen von Jupiterwolken ergaben Temperaturen, die zwischen minus 137 und minus 145 Grad Celsius schwanken. An Hand von Messungen konnte Doktor Münch vom California Institute of Technology nachweisen, daß die verschieden gefärbten Ringe, die den Planeten umgürten, auch geringfügige Temperaturunterschiede aufweisen. Derselbe Wissenschaftler stellte ferner fest, daß der Jupiter entlang seines Äquators mehr Wärme als an seinen Polen ausstrahlt. Zur großen Überraschung stellte sioh heraus, daß die Temperaturen auf der sonnenbeschienenen Seite des Planeten nicht höher als die auf seiner Nachtseite sind. Die Jupiterwolken kühlen also nicht ab, wenn für den Planeten die Sonne untergeht. Dies geschieht alle zehn Stunden, da sich der Jupiter in dieser Zeit einmal um seine Achse dreht.

Als richtig hat sich die Annahme erwiesen, daß der Jupiter zweiein-halbmal soviel Wärme ins All abstrahlt, als er von der Sonne erhält. Damit ist die Theorie untermauert, daß er eher einem Stern als einem Planeten gleicht. Die Umgebung des Jupiter stellte sich als ein Miniatur-Sonnensystem heraus; der Riese spielt die Rolle einer Sonne für zwölf Monde, die ihn so umkreisen, swde die neun Planeten unseres Sonnensystems ihre Bahnen um die Sonne ziehen. Hiebei wurde die interessante Entdeckung gemacht, daß Io — der Jupitermond Nr. 2 — eine größere Dichte als die übrigen aufweist und eine, wenn auch sehr dünne Atmosphäre besitzt.

Pionier 10 „berichtete“ ferner, daß sich das Magnetfeld des Jupiter beträchtlich von dem unserer Erde unterscheidet. Sein Magnetfeld erstreckt sich bis in eine Entfernung von 7,2 Millionen Kilometern, wobei aber der Gürtel intensivster Strahlung nur 1,2 Millionen Kilometer über den Wolken liegt. Das Magnetfeld des Jupiter ist ungefähr sieben-einhaibmal stärker als das der Erde. (Erde und Jupiter sind übrigens die beiden einzigen Planeten unseres Sonnensystems, bei denen die Existenz magnetischer Felder erwiesen ist.)

Man weiß jetzt, daß Jupiter ein Riesenball aus wirbelnden Stoffen ist — Wasserstoff, Helium, Methan, Ammoniak und wahrscheinlich auch Wasser. Wie aber wirken all diese Gase aufeinander? Aus welchen Schichten besteht die Atmosphäre? Was geschieht an der hypothetischen Oberfläche des Planeten? Welche Vorgänge rollen in Jupiters Innerem, diesem gigantischen Atomreaktor, ab? Die Wissenschaftler sind zuversichtlich, daß die Auswertung der von Pionier 10 übermittelten Daten helfen wird, Antworten auf diese Fragen zu finden. ,

Pionier 10 hat den Weg für andere amerikanische Raumsonden geebnet, die im Laufe dieses Jahrzehnts folgen sollen. Der Erfolg des Unternehmens bedeutet, daß man diesen Nachfolgern noch kompliziertere Aufgaben zutrauen kann, Umkreisungen des Jupiter, und vermutlich sogar ein Absteigen in seine Atmosphäre. Biologen, die sich mit der Erforschung des Entstehens des Lebens befassen, stellen sich die Frage, ob sich die Stoffe, auf denen das Leben aufbaut, nämlich Aminosäuren und Eiweiß, in der Jupiteratmosphäre finden. Spätere Flüge zum Jupiter werden diese Frage vielleicht beantworten können.

Pionier 11, ein Schwesterschiff von Pionier 10, wird den Jupiter im Dezember 1974 erreichen und den bereits überreichen Schatz an Erkenntnissen vermehren helfen.

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