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Von der Endlichkeit des Weltalls

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Wenn wir die Größe und Herrlichkeit der Erde erleben, auf dem Gipfel eines Berges oder am Strand des Meeres, dann überkommt uns unwillkürlich ein Gefühl der Unendlichkeit. Erst recht erfaßt uns dieses Gefühl unter dem gestirnten Himmel, unter den unzählig vielen Sternen, die so geheimnisvoll au« der Tiefe der Nacht leuchten. Unmittelbarer, tiefer als sonst vermitteln uns solche Erlebnisse ein Wissen um die Macht und-Gnade Gottes.

Diese Unendlichkeit steht außer Zweifel. Die Welt in den Händen Gottes trägt einen Schimmer seiner Unendlichkeit. In seltener Reinheit dürfen wir diesen Schimmer in den Bergen erleben, obwohl wir wissen, daß unsere Erde gar nicht so arg groß ist. Ja in letzter Zeit ist sie recht klein geworden. In 14 Stunden kann man von Wien nach New York fliegen und damit Entfernungen überwältigen, die viele hunderte Male größer sind als jene, die man selbst am klarsten Tag vom höchsten Gipfel aus übersehen kann.

Diese Feststellung bat aber nichts mehr mit dem erhabenen Gefühl zu tun, das uns auf einem Berggipfel erfaßt. Es ist eine ganz nüchterne, kalte Feststellung, die schon eine Folge der Absage an das Gefühl ist. Aber wie ist das mit den Sternen? Sind die nicht unendlich weit? Und gibt es hinter dem fernsten nicht immer wieder neue, die wir gar nicht sehen können? Oder hört das Weltall einmal auf? Und was ist hinter dieser „Wand der Welt“?

Wer sich ernstlich mit solchen Fragen befassen will, der muß zunächst versuchen, auch unter den leuchtenden Sternen jenes unwillkürliche Gefühl der Unendlichkeit zurückzudrängen. Es braucht nicht und kann auch gar nicht völlig unterdrückt werden, aber es darf nicht weit im Vordergründe stehen. Ein wenig Gewalt wird man sich dabei wohl antun müssen, wie es ja auch nicht leicht fällt, sich mitten in der Gipfelfreude zu vergegenwärtigen, daß das, was man sieht, nur ein sehr kleiner Teil der Erdoberfläche ist. Zudem muß man sich bewußt zu werden versuchen, was „unendlich“, das wirkliche, absolute Unendlich, genau genommen bedeutet. Da ist kein Ende, alles, auch die größten und gewaltigsten Entfernungen sind ohne Bedeutung. Es ist für dieses Unendliche zuletzt gleichgültig, ob der Mensch bloß einige Kilometer rund um seine Hütte kennt oder ob er mit den Teleskopen Räume überblicken kann, die zu durchmessen das Licht Tausende, ja Millionen von Jahren benötigt (und das Licht hat eine Geschwindigkeit von 300.000 Kilometer pro Sekunde).

Es mutet sonderbar an, ist aber wohl von Bedeutung, daß es die Mystiker waren, die im Abendland das Wort „unendlich“ zuerst auf Räume anwendeten. Sie suchten ein Symbol für Gott, den Unfaßbaren und doch Allgegenwärtigen, und benützten das Bild einer Kugel, deren Radius unendlich groß ist. Eine solche Kugel hat überall ihren Mittelpunkt — so wie Gott überall ist, obwohl wir ihn nicht fassen können. Dieses mystische Bild und das inzwischen mächtig gewordene Wollen der Menschen, diese ihre Welt kennenzulernen und zu erforschen, was dort jenseits des großen Luftmeeres rund um die Erde ist, harmonisierten im Weltbild des Kopernikus und Kepler. Aber es war nur eine vorläufige Harmonie. Das Gravitationsgesetz Newtons erklärt die Bahnen der Planeten um die Sonne. Doch dieses Gesetz gilt für alle Körper, auch für die Sterne, die man in den Fernrohren der Astronomen sehen kann, die aber deutlich nicht zum Sonnensystem gehören. Was hält sie an ihren Plätzen, in ihren Bahnen? Sind sie Planeten oder Sonnen? Diese Fragen drängten dazu, den Himmel immer öfter und genauer zu untersuchen; und da fand man kein Ende. Jedes neue Fernrohr, mit dem wieder größere Räume überblickt werden konnten, zeigte neue Sterne, unwahrscheinlich viele und unglaublich fern. Unsere Sonne, um die die Erde und die anderen Planeten kreisen, ist nur ein mittelgroßer Körper in einem Haufen von Sternen, die einander verhältnismäßig nahe sind wie die Häuser in einer Gartenstadt. Die ferneren Glieder der „Sternstadt" bilden auf unserem nächtlichen Himmel die Milchstraße. Der Durchmesser des „galaktischen Systems" (so heißt die Sternenstadt, in der die Sonne mit ihren Planeten nur ein «ehr kleiner Garten mit

Wohnhaus und Nebengebäuden ist) ist ungefähr 200.000 Lichtjahre. Aber es gibt viele solche Sternstädte und die nächsten sind etwa 900.000 Lichtjahre vom galaktischen System .entfernt. Mit den größten Fernrohren der Erde können rund zwei Millionen „außergalaktische Nebel“ überblickt werden, doch sind infolge der ungeheuren Entfernungen nicht einzelne Sterne zu sehen, sondern nur ein schwacher Schimmer, der durchleuchteten Nebeln ähnlich ist. Die meisten dieser Nebel sind rund zwei Millionen Lichtjahre von uns weg. (Ehe Ungeheuerlichkeit solcher Entfernungen wird einem ein wenig bewußt, wenn man bedenkt, daß das Licht, um von der Sonne zur Erde zu kommen, bloß acht Minuten braucht!) Der Raum aber ist nur recht dünn mit Nebeln besetzt, er ist fast leer; Mußte da nicht die Überzeugung entstehen, daß der Raum unendlich ist?

Und doch ist es nicht so. Die durchaus logische Vermutung, daß das System der Nebel im Raum wieder ein Glied eines höheren Systems sei, stimmt nicht. Sie wurde nicht von Astronomen, sondern von der theoretischen Physik bestritten. Nach der Relativitätstheorie kann der Raum nicht in alle Ewigkeit weitergehen, sondern muß in sich zurückkehren. So wie die Erdoberfläche (gleich der Oberfläche einer jeden Kugel) im Raum geschlossen ist, so schließt sich der Raum in einer höheren Ordnung, die der Mensch nur begrifflich, aber nie anschaulich erfassen kann. Die Physik spricht von der vierdimensionalen Welt, von der Raum-Zeit-Einheit. Denn die Zeit ist nicht unabhängig vom Raum. Auch dieser ist nicht frei, er hängt ''Ion der Verteilung der Materie, der Sterne in ihm ab. Nur weil die Sternstädte so selten im Raum zu treffen sind, ist dessen „Krümmung“ so schwach. Diese Krümmung wirkt jedoch wieder auf das Licht zurück. Die Lichtstrahlen sind dann nicht mehr absolut gerade, sondern nur im Raum gerade. Auch das Licht kann eben nicht aus dem Raum heraus — dies um so weniger, als es eine noch recht geheimnisvolle, jedoch erwiesene Verwandtschaft zur Materie hat. Was sagt der Astronom hiezu? Lächelt er darüber oder kämpft er ernst dagegen? Ist es ihm Legende oder Irrtum? Weder das eine noch das andere. Die Astronomie betrachtet diese kosmischen Folgen der neuen theoretischen Physik als durchaus möglich. Manche Schwierigkeiten und Unklarheiten würden durch sie von selbst geklärt werden; ja es sind gerade einige der überdimensionalen Erfahrungen und Beobachtungen der modernen Sternkunde, die zur Aufstellung der Relativitätstheorie mit beigetragen haben und an denen sie sich zu bestätigen sucht.

Wenn der Raum endlich ist, sich krümmt und in sich schließt, so müßte man doch um ihn herum sehen können, beziehungsweise man müßte mit einem Fernrohr einen außergalaktischen Nebel auch sehen, wenn man das Fernrohr in die entgegengesetzte Richtung dreht — eben von der anderen Seite, so wie man ja auch etwa nach Paris auf zwei Wegen kommen kann: direkt über Straßburg und auf dem langen Weg über Asien, den Pazifik, über Amerika und den Atlantik. Ein solcher direkter astronomischer Beweis, daß die Welt endlich ist, ist aber nicht möglich, derm der Raum ist viel zu groß, als daß ein Herumsehen um ihn auch nur annähernd in Frage käme. Dazu kommt noch, daß das Weltall der Relativitätstheorie nicht in Ruhe bleiben kann, sondern sich ausdehnt. Sonderbare und bisher völlig unverständliche astronomische Beobachtungen wären erklärt, wenn sich die Nebel voneinander entfernen würden. Die unter dieser Annahme der Ausdehnung aus den Beobachtungen errechneten Geschwindigkeiten der Flucht der Sterne sind allerdings so groß, daß sich wieder neue gewaltige Schwierigkeiten ergeben. Vor allem stimmt es dann mit dem Alter des Weltalls nicht. Hier gibt es noch viele dunkle Punkte.

Doch sei dem wie immer, die Endlichkeit des Weltalls ist heute eine wohlbegründete Auffassung. Der Raum ist als Ganzes in eine höhere Ordnung gebettet, von der nichts ausgesagt werden kann, weil sie jenseits alles menschlichen Anschauungs- und Auffassungsvermögens liegt. Und mit dem Raum sind auch der Zeit Grenzen gesetzt, es gibt sowohl einen Anfang wie ein Ende der Zeit. Was vorher war und nachher sein wird, kann nicht mit Uhren gemessen werden, es ist überhaupt nicht als „Zeit“ erfaßbar.

Wieder sind wir zu einem Ende gekommen. Und wie auf dem Gipfel oder am Ufer können wir nun staunen. Nach der Wanderung durch die Riesenräume der Sterne, für die selbst das Licht Millionen und Milliarden von Jahren braucht, hat der Gedanke an die Endlichkeit den Stachel der gewaltsamen Ernüchterung nicht mehr. Im Gegenteil: je gewaltiger das endliche Universum ist, um so majestätischer und geheimnisvoller muß die Unendlichkeit dessen sein, der es in «einen Händen hält.

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