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ANEINANDER VORBEI...

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Zweimal in diesem Jahrhundert hatten die einen die Bestätigung kosmologischer Theorien in der Hand, nach der andere suchten, ohne daß einer vom anderen wußte.

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Zweimal in diesem Jahrhundert hatten die einen die Bestätigung kosmologischer Theorien in der Hand, nach der andere suchten, ohne daß einer vom anderen wußte.

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(hb)-Die Relativität war mit einem stabilen Kosmos nicht vereinbar. Aber Einstein fiel auf die Astronomen herein, die versicherten, von Ausdehnung könne keine Rede sein. Unterdessen maßen US-Astronomen Rotverschiebungen in den Spektren von immer mehr Galaxien, ohne sich einen Reim darauf machen zu können. Die einen lasen nicht die Veröffentlichungen der anderen. Bis 1930 Hub-ble einen Aufsatz des Europäers Georges Lamaitre zu Gesicht bekam, der meinte, man solle doch nach einer Rotverschiebung in den Galaxien-Spektren suchen, um Einstein zu bestätigen.

1936 maß Hubble mit Humason, der sich zu einem führenden Spek-troskopiker entwickelt hatte („Vom Maultiertreiber zum Astronomen", Seite 9) die Fluchtgeschwindigkeit eines 260 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxienhaufens (damit war die damalige Leistungsgrenze erreicht): 42.000 Kilometer pro Sekunde oder 14 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Noch 1937 bezeichnete er die Vorstellung von der Ausdehnung des Kosmos als „ziemlich verblüffend". Einstein war überhaupt nicht verblüfft.

Jahrzehnte später. 1961 köderte die Telephongesellschaft Bell den jungen Radioastronomen Arno Penzias für die Aufgabe, ihre Spezialantenne zum Empfang von Signalen des Echo-Satelliten mit dem Ziel höchster Rauscharmut zu verbessern: Keine der großen Parabolschüsseln, sondern eine Hornantenne, einen massiven Trichter von Lastwagengröße zum Empfang von Mikrowellen. Die Firma versprach Penzias, daß er das Horn später für eigene Forschungen verwenden durfte.

Penzias und sein Kollege Robert W. Wilson erreichten die für die Satellitenkommunikation geforderte Rauscharmut - aber ein schwaches Rauschen bei der Wellenlänge von 7,35 Zentimetern war nicht wegzubekommen. Es war Tag und Nacht da, unabhängig davon, wohin das Horn zielte, und es gab ein langes Hin und Her über die Gründe.

Penzias und Wilson zerlegten die Anlage und fanden ein Taubenpaar, das sich im Gehäuse eingenistet und den Reflektor, so Penzias, „mit einem weißen dielektrischen Material beschichtet" hatte. Als echte Tierfreunde schickten sie das Pärchen per Boten ins Exil und reinigten den Reflektor. Das Rauschen war, kaum abgeschwächt, noch da.

Als sie schließlich wußten, woher es rührte, bekamen sie es leicht weg: Sie brachten die Antenne in einen völlig abgeschirmten Raum, schalteten sie ein und das Rauschen war vorbei.

Vorher erzählte Wilson auf dem Heimflug von einer astronomischen Tagung einem Kollegen von dem lästigen Zischen und bekam wenige Tage später den Rat, sich den Vorabdruck eines Aufsatzes zu beschaffen, in dem der Kosmologe Philipp James Peebles die Entdeckung einer von der Entstehung des Weltalls herrührenden Mikrowellenstrahlung von etwa zehn Grad Kelvin prophezeite. (Tatsächlich beträgt sie rund 3,5 Grad Kelvin.)

Sensation in Briefen

Da alle Beteiligten vermeiden wollten, andere zu übergehen, erschien eine der wichtigsten Entdeckungen des Zwanzigsten Jahrhunderts in Form zweier in der gleichen Nummer des „Astrophysical Journal" abgedruckter, aufeinander verweisender - Leserbriefe.

Der Astrophysiker Edward Purcell sagte, als er die Briefe las: „Das könnte das Wichtigste gewesen sein, was irgend jemand je gesehen hat". Penzias und Wilson selbst wurde das volle Ausmaß ihrer Bedeutung erst klar, als sie kurze Zeit später auf der ersten Seite der „New York Times" lasen: „Wissenschaftler der Bell Telephone Obervatories haben registriert, was Kollegen an der Princeton-Universi-tät für Überreste einer Explosion halten, durch die das Universum entstanden ist."

Aber Peebles hatte in seinem Artikel bloß wiederholt, was der 1933 aus Odessa emigrierte russische Physiker George Gamow bereits 1948, ausgerechnet am 1. April, gemeinsam mit seinem Kollegen Ralph Alpher in einem Aufsatz postuliert hatte: Das Universum sei in einem riesigen Knall entstanden, die Restenergie müsse noch vorhanden sein und als schwache Hintergrundstrahlung aus allen Richtungen kommen.

Gamow starb 1968. In seinen letzten Lebenswochen träumte er öfters von Gesprächen mit Newton und Einstein. Über seinen übergangenen Beitrag zu unserem Bild vom Kosmos sagte er: „Wenn ich eine Zehncentmünze verliere und jemand findet eine, kann ich nicht beweisen, daß es meine war. Aber ich habe eine verloren, wo dann eine gefunden wurde."

Wie Gamow war auch Alpher verbittert darüber, daß ihr Aufsatz nicht einmal erwähnt wurde, als man die Entdeckung der vom Urknall herrührenden kosmischen Hintergrundstrahlung verkündete. Sie waren einfach zu früh dran gewesen.

Wie der prähistorische Jäger

Seit der Elementarteilchenphysiker und Kosmologe Steven Weinberg Mitte der siebziger Jahre sein klassisches Buch „Die ersten drei Minuten" schrieb, gemeint waren die ersten drei Minuten nach dem Urknall, haben sich die Physiker immer näher an den mathematisch nicht mehr faßbaren, eigentlichen Beginn des Alls herangerechnet, den Moment, in dem, nach heutiger Anschauung, die gesamte kosmische Materie in einem praktisch ausdehnungslosen Punkt konzentriert war.

Der angenommene Zeitpunkt des Urknalls rückte mit der Erhöhung der Hubble-Konstante, die Allan Sanda-ge kaum mehr abwehren kann, näher an die Gegenwart heran. Demnach wäre das Weltall etwa 15 Milliarden Jahre alt.

Viele Menschen stoßen sich an der Konkretheit solcher Aussagen. Dazu der Physiker Hubert Reeves: Die „philosophischen Schwierigkeiten verschwinden von selbst, wenn man anerkennt, daß das einzige wirkliche .Problem' das der Existenz des Universums selbst ist. .Weshalb gibt es überhaupt Etwas und nicht eher Nichts?' Wissenschaftlich sind wir nicht in der Lage, darauf zu antworten. Nach mehreren Jahrtausenden stehen wir hier immer noch am selben Punkt wie der x-beliebige erste prähistorische Jäger: am absoluten Nullpunkt." Man könnte auch sagen: An dem Punkt, an dem die Kompetenz der Naturwissenschaft endet.

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