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Nur Spiele im Weltraum?

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Nach der ersten Mondlandung schien es, daß damit der Weltraum-Wettlauf der Supermächte für die Amerikaner entschieden war. Aber schon die nächste „schaffnerlose” Roboterlandung der Sowjets auf dem Erdtrabanten stahl dem Sieger die Show. Und jetzt sind wieder die Russen am Zug. Werden sie es sein, die die erste Raumstation bauen? Und werden sich die Amerikaner mit der Rolle des Beglückwünschens zufriedengeben? Kaum. Ein Countdown ist fällig auf Kap Kennedy. Um die TV-Schirme der Welt knistert es von Hochspannung: Millionen warten auf die Fortsetzung des Wettkampfes.

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Nach der ersten Mondlandung schien es, daß damit der Weltraum-Wettlauf der Supermächte für die Amerikaner entschieden war. Aber schon die nächste „schaffnerlose” Roboterlandung der Sowjets auf dem Erdtrabanten stahl dem Sieger die Show. Und jetzt sind wieder die Russen am Zug. Werden sie es sein, die die erste Raumstation bauen? Und werden sich die Amerikaner mit der Rolle des Beglückwünschens zufriedengeben? Kaum. Ein Countdown ist fällig auf Kap Kennedy. Um die TV-Schirme der Welt knistert es von Hochspannung: Millionen warten auf die Fortsetzung des Wettkampfes.

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Glanz und Elend der Kosmonauten: Da kommt uns zur rechten Zeit ein Buch ins Haus, dessen Titel „Der Blick vom Mond” höchste Aktualität verspricht, während gleichzeitig der Name des Autors für Qualität bürgt. Günther Anders ist durch seine zahlreichen philosophischen Schriften, insbesondere durch sein vielbeachtetes Hiroshima-Tagebuch („Der Mann auf der Brücke”) sowie durch ein tiefsinniges, die Seele unserer Zeit analysierendes Werk („Die Antiquiertheit des Menschen”), weiten Kreisen bekannt. Man wird diesem Denker und Sprachkünstler nicht Aktualitätshascherei vorwerfen können. Sein neues Werk ist, bei aller Zeitnähe, gerade gegen alles allzu Zeitgemäße unserer Zeit geschrieben. Zum Beispiel — um es vorwegzunehmen — gegen die Mondfahrt. Seine wohl als einsam zu bezeichnende Gegnerschaft läßt ihn jedoch nicht abseits stehen. Nach dem Motto: Du mußt die Sprache deiner Feinde kennen! veranlaßte sie ihn vielmehr, an allen auf Astronautik hinzielenden Unternehmungen via Television, Zeitung und Zeitschrift mit brennendem Interesse teilzunehmen.

Einen Niederschlag dieser Teilnahme, die seit dem ersten Raketenstart nicht mehr abgerissen ist, bilden die 65 Essays dieses Buches. Es ist, wenn man will, die philosophische Ausbeute aus einem Leben als Antiraketenfan. Ihre Gedanken keimten insbesondere aus zwei Ereignissen: Aus dem ersten Flug in „Rendezvous-Technik” der Sowjets im August 1962, und aus den amerikanischen Raumflügen von 1969 und 1970. Die Widmung für Ernst Bloch könnte als Warnung an jene Leser gemeint sein, die eine leichte Lektüre erwarten.

Ein montierter Monteur

Wie ein Roman fängt das Buch an: „Morgens im Garten. Wo die Zwei jetzt nur kreisen mögen. Da oben. Oder da unten. Absconditi. Der Himmel arglos, auch der Birnbaum hat nichts von ihnen gehört. Das macht sie unwirklich. Sehen möchtest du sie? Dann mußt du schon ins Haus zurück. Das wirkliche Draußen gibt’s nur noch drinnen. Entweder phantomisiert auf dem Schirm deines Hausaltars oder nirgendwo. Tertium non datur.”

Wunderbar diese Fingerübungen, die nur zum Einspielen da sind. Solche neutral-harmlose Reflexionen sind selten, schon in diesem ersten Teil, der in seinem Titel: „Helden und Ignoranten” das Schlußurteil über die Astronauten vorwegnimmt: „Weltraumhelden” heißen sie m der Presse. Helden? Sind sie das wirklich?”

Nein, sagt Anders und macht mittels einem dialektischen Kabinettstück im Umfang von 20 Zeilen aus den angeblichen Helden „einmontierte Monteure”, Apparatestücke, Menschen, deren von anderen lange vorauskalkulierte Größe darin besteht, sich wie ein Geschoßteil verwenden zu lassen. Was sind denn das für Helden, die, wie (laut Prawda) der soeben dadroben rotierende „Halbgott Nikolajew gierig auf den Ausgang eines Sportmatehs in seinem von dort oben aus unsichtbar (nein, glatt ungültig) gewordenen Heimatdorfe” sind? Oder, wie der Raumpilot Glenn, nichts dagegen einzuwenden haben, nach der Landung „in den vielbeneideten Rang eines Wasserskibegleiters der Präsi- dentensgattin aufzurücken und mit dieser triefend und smiling vor der bildgierigen Welt zu posieren... ?” Ja, wenn sie nicht zurückkehren würden, wenn ihnen die „Landungsbeschämung” erspart bliebe, durch die sie ihre mythische Qualität wieder einbüßen, dann, ja dann blieben die Supermen Supermen.

Von der gleichen Art, von der Art solcher Pseudohelden, werden einst die Herostraten sein, die auf den Auslöseknopf drücken, „um Bevölkerungen auf der anderen Globusseite zu zerstrahlen oder zu ,zer- saften’ — ,to juice’ (rückübersetzt der Autor in einer seiner für ihn typischen Anmerkungen, die es in sich haben)” — technischer Ausdruck für diejenige heutige Kriegshandlung, die organische Stoffe, also auch Menschenfleisch, aufkocht und liquidiert, tote Produkte dagegen intakt läßt. „Du sollst nur Tötbares töten”, müßte heute das erste Atomkriegsgebot lauten, „Totes dagegen niemals. Denn dieses könntest du noch verwenden.”

Nein, auch die Knopfdrücker der Zukunft werden keine Helden sein. „Weil die Grundbedingung des Heldentums nicht erfüllt sein wird. Zum Helden gehört es nämlich, daß er identisch mit seiner Tat sei;

... die Mindestbedingung für Identität besteht darin, daß der Täter seine Tat will; daß er in actu weiß, was er tut; und daß er, liegt die Tat hinter ihm, zu dieser steht. Von dieser Minimum-Bedingung für Identität wird unser Herostrat nun aber ausgeschlossen bleiben: Wollen wird er überhaupt nichts; die Bewandtnis seines Handgriffs in actu zu verstehen, wird ihm nicht erlaubt sein; und zu begreifen, was er getan hat, ebensowenig.”

Um Mensch zu bleiben, werden auch die Astronauten der Zukunft das sein müssen, was die heutigen sind und was sie stets waren — wie die Bombenwerfer von Hiroshima bewiesen —: Ideale Ignoranten und ideale Vergesser; denn bis dahin ist „das ySie wissen nicht was sie tun’ des Evangeliums… systematisch in ein ,ihr braucht nicht zu wissen, was ihr tut’ umgemünzt worden, nein sogar in das Gebot: ,Ihr dürft nicht wissen was ihr tut’.” Wie Jaspers in seinem großen Werk über die Atombombe geht auch dieser Philanthrop aufs Ganze. Das ganze Buch ist eine Fortsetzung Jaspers mit anderen Mitteln. Anders hat wie keiner begriffen, „daß es heute wirklich, nämlich im Vulgärsinne der Redensart, ,ums Ganze’ geht: nämlich um das Sein oder Nichtsein, um den Weiterbestand der Welt.. Wenn es heute einen Sinn hat, die Welt ,eine ganze’ zu nennen, so nicht aus dem positiven Grunde, weil alle ihre Teile zusammen einen erfreulich geordneten und schmucken ,Kosmos’ darstellen, sondern… weil sie von uns im ganzen zerstört werden kann und weil sie als ganze durch den Untergang jeder ihrer Teile untergehen kann.”

Liebevoll möchte man die Art nen nen, mit der Günther Anders im zweiten, „amerikanischen” Teil sein Zerstörungswerk an der populären Vorstellung von Astronautengröße fortsetzt. Satirisch stellt man sich die Wirkung des Buches gerade auf jene Leser vor, die es nie erreichen wird. Auf Präsident Nixon etwa, der „die jämmerlichste Fahne aller Zeiten” auf dem Monde zu hissen befahl, und so persönlich für „den Höhepunkt der Albernheit” dort oben sorgte. Jämmerlich, da sie „aus starrer synthetischer Folie hatte erzeugt werden müssen, weil sie sonst welk und lustlos zu Boden gehangen und vermutlich die Lunarier unfasziniert gelassen hätte”, jämmerlich auch, weil sie eine amerikanische, keine Menschheitsfahne war. Warum hatten wir nicht diese Augen, die sofort sahen, was wir nun, da man uns aufmerksam gemacht hat, doch nur einsehen? Wie konnten die glanzbewußten Kosmonauten unser so viele und so gründlich blenden, daß wir nichts von ihrem Elend sahen, das unübersehbar, und unüberschaubar gewesen sein muß, wenn wir unserer Lektüre glauben können. Dürfen wir ihr glauben? Zumindest, solange wir lesen, lächeln wir mit über den jeweils „größten historischen” Augenblick dieser Flüge, weil er in Wahrheit nur das große Vergessen des je vorangegangenen Fluges war.

Lächeln auch, nein, werden ernst vor dem Bilde der „epochalen” Landung, die doch nur das Ende alles Epoche- machens der „irrelevanten Kugel” Erde im Ozean des Raumes bedeutete, was nicht, wie es dem „thrilled” Publikum der 500 Millionen TV-Seher schien, der Triumph des menschlichen Fortschritts war, sondern vielmehr der gigantischste Reklamerummel für das größte Geschäft mit dem idealen, weil deffektivsten, nur ein einziges Mal verwendbaren, Industrieprodukt der Rakete: Ein Tanz um das goldene Kalb. 500 Millionen Zuschauer- Augenpaare sahen, ohne es zu wissen, mit ihrem „Blick vom Mond” ihr eigenes großes Ecce homo. Nicht eingeschlossen die Kosmonauten, die „Philister des Universums”, die nach vollbrachter Tat „schlafend dem Erdball entgegenstürzten” und nichts oder kaum etwas erlebten. „Denn .erleben’ ist immer der Luxus der Ndchtbeteiligten.”

Wieviele waren es, die, wie Anders,

beim Anblick der gelungenen Erdlandung, statt zu bejubeln, schauderten?

„Wer dieses Gelingen heute beglückt bejubelt, der bejubelt damit ahnungslos die morgige Aufführung des letzten Unglücks, für das die gestrige Mondlandung als Generalprobe funktioniert hat.”

Beschäftigungstherapie

Wie dem Reiter über dem Bodensee fährt einem die „Warnung vor der Präzision”, so sehr man sie bewundert hat, jetzt rückblickend ins Mark. Wozu diese leidigen, immens teuren Flüge? Ja, warum? Warum die Warumfrage so selten gestellt wird?

„Deshalb, weil das Projekt so enorm ist. Es gibt nämlich die folgende sozialpsychologische Regel: Je größer Produkte oder Einrichtungen, desto selbstverständlicher und legitimer wirkt ihre Existenz; als desto überflüssiger lassen sie es erscheinen, desto weniger führen sie uns in Versuchung, desto unfähiger machen sie uns, nach ihrem Sinn zu fragen. Denn: Größe als solche erweckt den Eindruck der Justifikation.”

Anders freilich kennt die Antwort auf die Frage nach dem Sinn der Mondfahrt:

„Was ich meine, ist... daß Kennedy, und zwar noch bevor er sich zum Mondprojekt entschloß, ausdrücklich beschlossen hatte, sein Land in einen „Verein für die Durchführung von Mondlandungen” zu verwandeln, seinen Mitbürgern nämlich ein Ziel zu verschaffen, ein Ideal, das sie von dem frustrierenden Gefühl, ein ,meaningless Life’, ein ,sinnloses Leben’ zu führen, befreien könnte.” Beschäftigungstherapie also ist der Sinn der Mondfahrt nach Meinung dieses Autors, und Himmelssport die große Idee des Unternehmens: „Weltraumspieler USA gegen Weltraumspieler UdSSR!”

Eine Reportage wie diese wird einem solchen von extremen Ansichten, aufgeworfenen Fragen und von Anklagen überquellenden Werke nicht gerecht. Der ausgezeichnete Schriftsteller braucht nicht vorgestellt zu werden. Sein Anliegen, das in mancher seiner zugespitzten Formulierungen Widerspruch erregen mag, ist zutiefst moralisch. Niemals, selbst im Spott, ist die Menschenstimme zu überhören, die den Menschen zum Menschsein aufruft.

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