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Die Zukunft des Alls

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Deute wie Steven Weinberg sind selten. Er ist als Wissenschaftsvermittler ebenso brillant wie als Wissenschaftler. Als Wissenschaftsvermittler schrieb er ein Buch über die Entstehung des Kosmos, in dem er den Leser bis genau zu jenem Punkt führt, an dem auch die Forscher selbst im wahrsten Sinn des Wortes vor dem Nichts stehen. Als Wissenschaftler ist er einer der drei Nobelpreisträger für Physik dieses Jahres.

Den Nobelpreis bekam er für einen Vorstoß auf jenem Weg, auf dem Einstein in den letzten Jahren seines Lebens steckenblieb: bei der Vereinfachung des naturwissenschaftlichen Weltbildes. Die Rückführung aller Naturkräfte auf eine einzige Formel, bei der Einstein scheiterte, ist freilich auch den neuen Nobelpreisträgern Sheldon Lee Glashow, Steven Weinberg und Abdus Salam nicht gelungen. Aber immerhin haben sie zwei physikalische Kräfte, nämlich den Elektromagnetismus und die sogenannte schwache Wechselwirkung, die in der Kernphysik eine starke Rolle spielt, auf eine einzige Kraft zurückgeführt.

In seinem Buch „Die ersten drei Minuten“ breitet Weinberg vor dem Leser alles aus, was man heute über die Entstehung des Weltalls sagen kann. Es ist ein Buch von höchster Bedeutung für jeden, der sich für die viel zu schwache Wechselwirkung zwischen Naturwissenschaften, Religion und Philosophie, für Entstehung und Ende des Weltalls interessiert.

Die Physik zieht heute zwei mögliche Schicksale des Weltalls in Betracht. Die eine der beiden Möglichkeiten gleicht auf verblüffende Weise religiösen Vorstellungen vom Werden und Vergehen allen Seins.

Aber ehe Weinberg darauf zu sprechen kommt, verrammelt er jedem ernsthaft Mitdenkenderi alle Möglichkeiten, sich seitwärts in die Büsche zu schlagen, indem man sich, beispielsweise, sagt: Die Physiker erzählen uns, daß sich das Weltall unentwegt ausdehnt. Aber niemand kann mich zwingen, dies für eine unumstößliche Tatsache zu halten. Der Mensch hat schon so oft erkannt, daß etwas falsch war, was er für wahr gehalten hat, daß es sich mit der Ausdehnung des Weltalls ebenso verhalten kann!…

Das Einbahnschild, das diesen Ausweg versperrt, besteht in der genauen Darstellung aller Beobachtungen und aller aus diesen Beobachtungen denknotwendig abzuleitenden Schlußfolgerungen, die nichts anderes zulassen als eben die Erkenntnis, daß sich das Weltall ausdehnt.

Ebenso konsequent wird der Leser mit der Erkenntnis konfrontiert, daß diese Ausdehnung offenbar seit der Entstehung des Kosmos stattfmdet, und daran gehindert, sich einen kleinen Rest von Zweifel an diesem Sachverhalt zu retten.

Den Anstoß zur Entwicklung einer Theorie des frühen Universums, welche die Astronomen heute kurz als „Standardmodell“ bezeichnen, gab die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung. Als 1964 die Radio-Astronomen Penzias und Wilson die von der Milchstraße zu uns gelangenden Radiowellen messen wollten und ihre Antennen und Verstärker vorbereiteten, stießen sie auf ein sehr schwaches, offenbar allgegenwärtiges Mikrowellen-Rauschen. Sie ahnten nicht, daß zu gleicher Zeit der Physiker Peebles mit Berechnungen beschäftigt war, aus denen hervorging, daß ein solches Rauschen existieren mußte, wenn die Theorie vom „Urknall“ stimmen sollte.

Die tatsächliche Entdeckung dieser Strahlung hat das naturwissenschaftliche Weltbild revolutioniert. Denn Beobachtimgen und Messungen verschiedener Art widerlegen einander nicht, sondern führen alle zum gleichen Schluß.

Sie deuten darauf hin, daß das Weltall vor 10 bis 20 Milliarden Jahren entstand. Es war „nicht eine Explosion, wie wir sie auf der Erde kennen, die von einem bestimmten Zentrum ausgeht und sich zunehmend in die umgebende Luft ausbreitet, sondern eine Explosion, die sich gleichzeitig überall vollzog, die von Anfang an den gesamten Raum ausfüllte und bei der jedes Materieteilchen von allen übrigen Teilchen fortflog“.

Heute ist die Mehrheit der Astrophysiker davon überzeugt, daß bei dieser Explosion Bedingungen geherrscht haben müssen, auf welche die seit langem bekannten mathematischen Formeln der statistischen Mechanik angewendet werden können. Diese aber würden eine verblüffend genaue Rekonstruktion der frü hen Phasen der Weltentstehung ermöglichen - beginnend etwa eine Hundertstelsekunde nach dem „Urknall“, über dessen Ursache kein Mensch eine Aussage machen kann.

Zu diesem Zeitpunkt hätte eine Temperatur von etwa hundert Milliarden Grad Celsius geherrscht, bei der weder Moleküle noch Atome oder Atomkerne existieren können, sondern nur sogenannte Elementarteilchen, mit denen sich heute die Hochenergie-Kernphysik beschäftigt.

Nach etwa einer Zehntelsekunde hätte sich das Universum auf 30 Milliarden, nach einer Sekunde auf 10 Milliarden, nach 14 Sekunden auf 3 Milliarden Grad abgekühlt, aber erst Hunderttausende Jahre später so weit, daß sich Elektronen und Kerne zu Wasserstoff- und Heliumatomen zusammenschließen konnten und' die Verdichtung zu Galaxien und Sternen ihren Anfang nahm.

Auch Weinberg selbst empfindet „einen Anflug von Unwirklichkeit …, wenn ich über die ersten drei Minuten in einer Weise schreibe, als wüßten wir wirklich, wovon wir sprechen“, aber: „Sollte das Standardmodell eines Tages durch eine bessere Theorie ersetzt werden, dann wahrscheinlich auf Grund von Beobachtungen oder Berechnungen, die vom Standardmodell ausgegangen sind.“

Das Ende der Welt bleibt vorläufig offen. Erste Möglichkeit: Ausdehnung bis in alle Ewigkeit, Abkühlung und Tod. Zweite Möglichkeit: Stillstand der Ausdehnung etwa 60 Milliarden Jahre nach dem Urknall, Zusammenziehung und Erwärmung - vielleicht zu einem neuen „Urknall“ nach weiteren 60 Milliarden Jahren. Die zweite Möglichkeit, eine sich immer wieder zerstörende und neu erschaffende Welt, ist zumindest dem Hinduismus nicht fremd.

Niemand weiß, ob in 80 bis 100 Milliarden Jahren, wenn, falls die zweite Möglichkeit eintritt, das Weltall seine heutige Größe wieder erreicht hätte, überhaupt noch intelligentes Leben existieren kann. Es gibt Wissenschaftler, die meinen, daß der Artentod nicht nur durch Süßere Faktoren, sondern auch durch einen inneren Verbrauchsprozeß der Erbmasse eintreten kann.

Niemand weiß, ob wenigstens tote Materie übrigbliebe, wenn die zweite Möglichkeit eintritt. Es wird nämlich auch die Möglichkeit erörtert, daß in langen Zeiträumen selbst die Protonen,. die Bauteile des Atomkerns, spontan zerfallen.

Steven Weinberg tritt für ein Experiment ein, das die in Stockholm nobelpreisgekrönte Theorie beweisen und die Kernphysik einen Schritt in dieser Richtung weiterbringen soll. Der dazu nötige neue Teilchenbeschleuniger wird gegen zehn Milliarden Schilling kosten.

DIE ERSTEN DREI MINUTEN. Der Urspung des Universums. Von Steven Weinberg. Piper Verlag, München, 270 Seiten, Abbildungen und Tabellen, öS 232,50.

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