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Neue Wissenschaft

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Die sogenannte exakte Naturwissenschaft ist vor fast vierhundert Jahren unter Führung eines Newton, eines Descartes („ich denke - also bin ich“) und eines Galilei („messen, was meßbar ist und meßbar machen, was nicht meßbar ist“) aufgebrochen, die „Wirklichkeit“ auf den Bereich des Meßbaren „wertfrei“ zu „objektivieren“, zu ver-sach-lichen. Die Welt sollte von unabhängigen Beobachtern in ihrem Ablauf wie eine Maschine nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung verstanden werden können.

Die daraus folgende Ratio-nali- sierung der Welt brachte uns bis

zur Gegenwart eine eindrucksvolle, sieghafte Entwicklung der Technik. Wir erkennen heute die Grenzen dieses einschränkenden Ansatzes und die Illusion der „Wertfreiheit“.

Wer als Wirklichkeit nur das gelten läßt, was meßbar ist, für den gibt es das Nicht-Meßbare eben gar nicht. Es ergeht ihm wie dem Fischer, der mit einem weitmaschigen Netz die kleinsten Fische fangen will. Er wird immer ein leeres Netz aus dem Wasser ziehen und damit leicht behaupten können, daß es in diesem See keine Fische gäbe.

Während wir uns in unseren technischen Systemen bis heute nach dem gewohnten Naturgesetz von Ursache und Wirkung bewegen, hat die Physik schon seit Beginn unseres Jahrhunderts (Plancksches Wirkungsquantum) in der späteren Quantenmechanik einen kaum allgemein erfaßten Gedankensprung gemacht.

Demnach sind im Bereich der Atome und im subatomaren Bereich keine Einzelaussagen, sondern nur statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich.

Wie die Versicherungsmathematik mit verläßlichen Mittelwerten über die Lebenserwartung von Millionen Menschen rechnet, aber überhaupt keine Aussage über den Tod eines einzelnen Menschen zuläßt, so kann die Quantenmechanik bei formal richtiger Statistik keine Aussage über ein einzelnes Teilchen oder einen einzelnen Vorgang machen. Diese Tatsache ist ein Naturgesetz (Kopenhagener Deutung).

Um winzige Teilchen eines Atoms „sichtbar“ zu machen, braucht man besonders kurzwelliges „Licht“ oder besonders feine „Körnchen“, mit denen die „Kon

turen“ des untersuchten Teilchens „scharf abgebildet“ werden können. Je kurzwelliger eine Strahlung, je „feinkörniger“ ein Partikel, umso höher ist die enthaltene Energie.

Wenn die Physiker also sehr kleine Teilchen „anschauen“ wollen, brauchen sie „Licht“ mit so hoher Energie, daß ein untersuchtes Teilchen durch den Beobachtungsstrahl von dem Ort weggeschossen wird, an dem sie es „sehen“ wollten. Sie sind also nicht mehr neutrale Beobachter - und können es aus physikalischen Gründen auch gar nicht sein —, sondern Veränderer (Heisen- bergsche Unschärferelation).

Bei noch größeren Energien schließlich werden die Elementarteilchen durch den Beobachtungsstrahl zertrümmert, und es entstehen neue Teilchen, die es ohne „Beobachtung“ gar nicht gegeben hätte (Energieäquivalent und Erhaltungssätze). Die „Wirklichkeit“ besteht also nicht an sich, sondern sie hängt vom Beobachter selbst ab!

Elementarteilchenforscher sind vergleichbar mit Kindern, die eine Uhr zerschlagen. Sie finden aber paradoxerweise nicht einen Trümmerhaufen von Zahnrä-

dem, Federn und Zeigern vor, sondern zusätzlich zu einer ganzen Uhr noch weitere ganze Uhren. Es gibt Zusammenhänge zwischen kleinsten Teilchen, die naturgesetzlich nicht erklärbar sind (Bellsches Theorem).

Wenn der bisherige Weg der Physik richtig war — und alles weist widerspruchsfrei darauf hin -, dann hat die Physik in den Siebzigerjahren mit den ihr eigenen Methoden schlüssig und unwiderlegbar bewiesen, daß das Wesen und die Seinsweise der Wirklichkeit physikalisch nicht erfaßbar sind! Wir ahnen noch nicht, welche Sprengkraft diese paradoxen Erkenntnisse für unsere wissenschaftlich-technokratische Männerwelt enthalten.

C. F. Chew, Vorsitzender der physikalischen Abteilung in Berkeley in Kalifornien, sagt dazu: „Unser gegenwärtiger Kampf (in der modernen Elementarteilchenphysik) ist vielleicht nur ein Vorgeschmack auf eine völlig neue Form menschlichen Bemühens, das nicht nur außerhalb der Physik liegt, sondern nicht einmal

als wissenschaftlich beschrieben werden kann.“

Das hat dramatische Folgen! Die Trennung in Subjekt und Objekt, in unbeteiligten Beobachter und beobachtetes Ding, ist unhaltbar. Das Universum ist ein zusammenhängendes Ganzes, einschließlich unseres Bewußtseins. Wir sind nicht nur anonymen „Naturgesetzen“ oder „Sachzwängen“ ausgeliefert, sondern wir verändern die Wirklichkeit auch durch unseren Geist.

„Naturgesetze“ sind Spiegelungen unseres Bewußtseins. „Physikalische Begriffe sind freie Schöpfungen des Geistes“, bemerkte Albert Einstein im Jahr

1938, „und ergeben sich nicht etwa, wie man sehr leicht zu glauben geneigt ist, zwangsläufig aus den Verhältnissen der Außenwelt.“

Rationalismus ist nicht der einzige Weg zum Erfassen der Wirklichkeit. Religion ist nicht nur wieder annehmbar, sondern als notwendig erkannt worden. Manche Naturwissenschafter finden einen Zugang zu neuer Mystik.

Damit ist nicht gemeint, daß die Welt nur irrational erfaßt werden soll. Aus diesem Mißverständnis zeichnen sich neue bedrohliche Entwicklungen schwerwiegender geistiger Verirrungen ab, gegen die sich Inquisition oder Hexenverbrennungen wie naive Kinderspiele ausnehmen.

Aus der zwingenden Einsicht in die Begrenztheit des rationalen Weltverständnisses und in die Gefahr irrationaler Anarchie wird vielmehr eine Tür auf gestoßen in eine neue, ganzheitliche Wahrnehmung der Wirklichkeit, die uns in unserem Menschsein mit Kopf, Herz und Hand erfaßt. Die großen Weltreligionen haben sich dieser Ganzheit aus unterschiedlicher Sicht immer schon genähert - wenn auch unvollkommen wie alles Menschliche.

Jesus, der Gesalbte und Menschensohn, hat die Ganzheit vollkommen gelebt und lebt sie heute in uns — nicht von dieser Welt, doch in dieser Welt. Er wird seit Anbeginn hier und heute das Wort, die Antwort auf Fragen, die uns eine reife Physik dieses ausklingenden Jahrtausends naturgesetzlich als imbeantwortbar bewiesen hat.

Der Autor ist Vorstand der TGM-KUNST- STOFFTECHNIK, Institut zum Ausbilden, Prüfen und Forschen, Wien-Brigittenau

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