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Die Saiten des Universums

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Das Institute of Advanced Study in Princeton ist ein Olymp der Wissenschaft. Es gibt keine Studenten, keine Doktoranden - wer dorthin berufen wird, soll durch nichts von seinen Forschungen abgelenkt werden. Hier arbeiteten einst Albert Einstein, Kurt Gödel und Robert Oppenheimer. Eines der auserwählten Genies, die gegenwärtig auf dem von der Außenwelt abgeschirmten Gelände der reinen Erkenntnis frönen, ist Edward Witten. Seine früheren Studenten nannten ihn „den Marsianer”, denn er scheint völlig in seiner faszinierenden Gedankenwelt zu leben. Witten, der unlängst vom Time-Magazine zu einem der 25 einflußreichsten Amerikaner gekürt wurde, ist der bekannteste Verfechter der Superstring-Theorie - einer Theorie, die - wenn sie stimmt - die Physik von Grund auf revolutionieren würde.

Die Superstring-Theorie besagt: Die kleinsten Rausteine dieser Welt sind nicht Materieteilchen (Leptonen, Quarks) und Kräfteteilchen (Eichbo-sonen), sondern winzige Fäden oder Saiten (strings). Im Ruhezustand bilden sie das, was der Laie „leeren Raum” nennt. Ähnlich wie die Saiten einer Geige können die Superstrings in verschiedene Schwingungen geraten und dabei die bekannten Elementarteilchen hervorbringen: Materie und Kräfte sind gewissermaßen Töne und Obertöne ein und desselben winzigen Instruments. Superstrings sind unvorstellbar klein, nämlich 10-35 Meter (eins gebrochen durch eine Zahl mit 35 Nullen). Der Größenunterschied zwischen einem Superstring und einem Proton ist derselbe wie der Unterschied zwischen einem Proton und unserem Sonnensystem.

Zur Superstring-Theorie führen mehrere Wege: Ein Problem des Standardmodells (siehe Seite 14) ist dessen Grundannahme, daß die Elementarteilchen über keine räumliche Ausdehnung verfügen; sie sind punkt-

Die kleinsten Bausteine der Welt sind möglicherweise winzige Fäden, deren Schwingungen die bekannten Teilchen hervorbringen: Superstrings förmig. Teilchen mit der Größe null führen bei ßerechnungen jedoch zu Unendlichkeiten. Mathematisch kann das zwar korrigiert werden, doch viele Physiker halten eine solche Notlösung für unschön und unbefriedigend. Die Superstring-Theorie beseitigt diese Ungereimtheit, denn Superstrings sind zwar winzig, aber räumlich ausdehnt.

Die große Idee, die hinter der Superstring-Theorie steht, ist die Vereinigung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie - ein Unterfangen, an dem sich bisher jeder Physiker die Zähne aüsgebissen hat. Die Quantenmechanik beschreibt die Verhältnisse im Mikrokosmos, sie gibt Auskunft über das Verhalten von Quarks, Elektronen oder Atomen. Die Relativitätstheorie hingegen trifft Aussagen über das Universum im Großen - den Makrokosmos - sowie über Gravitation und Zeit. Während es der Quantenphysik gelungen ist, die elekromagnetische, die starke und die schwache Wechselwirkung im Standardmodell auf Kräfteteilchen zurückzuführen, entzieht sich die Gravitation einer teilchenphysikalischen Erklärung. Das Graviton, jenes Kräfteteilchen, das die Gravitationskraft übertragen soll, ist noch rein hypothetisch.

Superstrings hingegen könnten ohne weiteres Gravitonen hervorbringen: Die Eichbosonen, die für Elektromagnetismus, schwache und starke Wechselwirkung verantwortlich sind, entstehen durch Schwingungen offener Superstrings. Das Graviton entsteht bei geschlossenen Strings, wenn sich ein schwingendes Superstring gewissermaßen in den eigenen Schwanz beißt.

Eine Konsequenz der Superstring-Theorie ist, daß unser Universum nicht vier Dimensionen (die drei räumlichen und die Zeit) aufweist, sondern mindestens zehn. Diese zusätzlichen Dimensionen entsprechen jeweils bestimmten Eigenschaften der von den Superstrings hervorgebrachten Teilchen. Glaubt man der Superstring-Theorie, haben sich in unserem Universum nur vier Dimensionen voll entfaltet und spannen die Raum-Zeit auf. Die anderen seien „aufgerollt” geblieben, wie Walter Majerotto, Direktor des Instituts für

Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, diese Annahme ausdrückt.

Eine weitere Folge der Superstring-Theorie ist die Existenz supersymmetrischer Teilchen. Die Supersymme-trie ist eine Theorie, die Kräfteteilchen (Eichbosonen) und Materieteilchen (Fermionen) unter einen Hut zu bringen will. Damit dies gelingt, muß eine Unmenge neuer Teilchen postuliert werden, die sich von den bekannten Teilchen durch ihren Spin, eine Art inneren Drehimpuls (physikalisch: Masse mal Geschwindigkeit) unterscheiden. Jedem Fermion wird ein supersyrrlmetrisches Roson, jedem Bo-son ein supersymmetrisches Fermion zugeordnet. Supersymmetrie ist jedoch keine völlig abgehobene, esoterische Theorie: Viele Experimentalphysiker rechnen damit, daß schon bald die ersten supersymmetrischen Teilchen auftauchen: Wenn es sie gibt, müssen sie im Teilchenbeschleuniger LHC gefunden werden, der voraussichtlich in acht Jahren am internationalen Forschungszentrum CERN in Betrieb gehen wird. Die Entdeckung supersymmetrischer Teilchen wäre ein erster experimenteller Hinweis auf Superstrings.

Die erste Superstring-Theorie wurde in den siebziger Jahren von den theoretischen Physikern John Schwarz und Michael Green entwickelt. Auf anfängliche Begeisterung folgte Katerstimmung unter den Stringtheoretikern: Es stellte sich heraus, daß nicht weniger als 1038 (eine Zahl mit 38 Nullen) verschiedene Su-perstring-Theorien formulierbar sind. Einerseits prophezeien die meisten dieser möglichen Theorien Teilchen, die es mit Sicherheit nicht gibt. Andererseits gab es bald nicht weniger als fünf unterschiedliche, aber mit der Realität übereinstimmende Su-perstring-Theorien. 1995 zeigte sich jedoch, daß diese fünf Theorien als Spezialfälle einer einzigen verstanden werden können. „Seither gibt es so viele Fortschritte in der String-Theo-rie, daß ich gar nicht von allen erzählen kann” schwärmte Edward Witten in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit”. Im Wissenschaftsblatt „Nature” verkündete er eine „zweite Superstring-Revolution”.

Unbestritten ist die Superstring-Theorie jedoch keineswegs. Der Physik-Nobelpreisträger Sheldon L. Glas-how bezeichnete die Superstring-Theorie als „mathematischen Schall und Rauch”, räumte allerdings ein, die Arbeit Wittens im Grunde nicht zu verstehen. Walter Majerottos nüchternes Resümee: „Viele sind davon überzeugt, daß etwas an der Superstring-Theorie dran ist. Aber man muß einfach sagen: Sie ist Spekulation.”

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