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Ein vollig neues Prinzip

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Dieser Energieverlust durch Ab-strahlung hätte eine Verringerung der Zentrifugalkraft zur Folge, was zu einer Spiralbewegung des Elektrons in den Kern führte. Das Problem des stabilen Atoms bildete in diesen Jahren den Kernpunkt der physikalischen Forschung, und namhafte Physiker stellten die phantasievollsten Hypothesen über die Stabilität des Atoms auf. Gerade hier kommt Bohrs überlegene Genialität entscheidend zum Ausdruck, denn er kommt zu der Erkenntnis, daß alle diese Hypothesen ungeeignet sind und vielmehr ein völlig neues, der klassischen Physik fremdes Prinzip eingeführt werden muß. Sein klar denkender Geist stößt direkt auf den Kernpunkt des Problems; er ist sich der Unmöglichkeit einer klassischen Erklärung bewußt und stellt mit größter intellektueller Kühnheit die grundlegenden Sätze auf, die das physikalische Weltbild wesentlich verändern.

Bohr systematische Arbeitsweise zeigt sich darin, daß er, sobald er die Hauptfrage des Problems erkannt hat, sich nicht durch irgendwelche Spekulationen über die Wechselwirkung zwischen Kern und Elektronen ablenken läßt, sondern einfach das längst bekannte elektrostatische Gesetz verwendet, um mit einem einfachen, leicht durchschaubaren Modell sein Problem zu lösen. Schließlich stellte sich auch das elektrostatische Gesetz für die Kern-Elektronenwechselwirkung als ganz unerläßlich heraus. Bohrs Prinzipien stützten sich auf die Planck-sche Entdeckung über die Quantennatur des Lichts, wonach die Energie des Lichts aus Quanten, das heißt aus kleinsten Energieportionen, besteht. Da nun die Elektronen in einem Atom Licht ausstrahlen können, dies aber nur in bestimmten Energiequanten (Vielfache des Planckschen Wirkungsquantums) möglich ist, folgerte Bohr, daß die Elektronen nur in bestimmten Enereieniveaus existieren können. Strahlt nun ein Elektron Energie ab, so muß es wegen Energieerhaltung des Systems von einem höheren auf ein niederes Niveau fallen. Unter diesen Voraussetzungen gelang es Bohr, im Jahre 1913 die Elektronenbahnen für das einfachste Atom, das Wasserstoffatom, herzuleiten und sein Spektrum zu erklären. In den darauffolgenden Jahren beschäftigte er sich vor allem mit dem Aufbau komplizierter Atome (mit mehreren Elektronen) und untersuchte auch die Einschränkungen, die das Kausalitätsprinzip infolge der Quantentheorie erfährt.

1916 verließ Bohr Manchester und wurde in Kopenhagen zum Professor für theoretische Physik ernannt. Um ihn bei seinen Arbeiten zu unterstützen, wurde das „physikalische Institut der Universität“ gegründet, an welchem er 1920 zum Direktor ernannt wurde. Dieses Institut wurde bald zu einer der bedeutendsten physikalischen Forschungsstätten Europas und hatte regen wissenschaftlichen Austausch mit Instituten der ganzen Welt. Häufige Vortragsreisen und Kongresse benutzte Bohr immer wieder, um die Einheit der Wissenschaft zu festigen und den quantentheoretischeh Methoden in der damaligen Physik zum Durchbruch zu verhelfen.

In einer seiner ersten Arbeiten konnte Bohr zeigen, daß die quantentheoretischen Voraussagen unter bestimmten Bedingungen den Erwartungen der klassischen Theorie sehr nahe kamen, obwohl diese beiden Theorien auf völlig verschiedenen Prinzipien basieren. Die Untersuchungen über die Gültigkeit der annähernd gleichen Aussagen faßte Bohr in seinem Korrespondenzprinzip zusammen, welches nur für sehr große Quantenzahlen gültig ist. Nach 1920 befaßte sich Bohr hauptsächlich mit der Natur der Röntgenspektren und der Absorption beziehungsweise der Emission des Lichts durch Atome. Die eigentliche Bedeutung dieser Ereignisse kam erst 1925 zur Geltung, als de Broglie, Schrödinger und Heisenberg die neuere Quantentheorie aufstellten.

Durch die Formulierung der Unbestimmtheitsrelation erkannte Bohr die grundsätzliche Begrenzung unserer Auffassung, wonach die Erscheinungen in der Natur unabhängig von den zu ihrer Beobachtung notwendigen Mittel bestehen. So kam Bohr 1928 zur Aufstellung des Komplementaritätsprinzips. Dies bedeutet, daß verschiedene anschauliche Bilder eines und desselben atomaren Systems zwar für bestimmte Experimente geeignet sind, sich aber doch gegenseitig ausschließen. So kann man sich zum Beispiel das Bohrsche Atommodell einmal als ein mikroskopisches Planetensystem vorstellen, wobei man die Elektronen und den Kern als materielle Teilchen betrachtet. Für andere Phänomene aber wird das Bild eines den Atomkern umgebenden Systems stehender Wellen, deren Frequenz charakteristisch für die ausgesandte Strahlung ist, geeigneter sein (Teilchen- und Wellenbild). Um Kernreaktionen instabiler Kerne zu erklären, stellte Bohr das Tröpfchenmodell im Jahre 1933 auf. Nach den Entdeckungen Hahns und Straßmanns wandte er diese Theorie zur Erklärung der Kernspaltung an, als er zu Besuch in Princeton weilte. Kurz nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen brach der Krieg aus. Nur durch eine rasche Flucht in die Vereinigten Staaten konnte er einer Verhaftung durch die Deutschen entgehen. Bis zum Kriegsende blieb er in Los Ala-mos, wo er in einem Forschungslaboratorium tätig war.

Für seine „Forschungsarbeit über die Atomstruktur und die von den Atomen ausgesandte Strahlung“ wurde Bohr im Jahre 1922 der Nobelpreis verliehen. Als erstem Bürgerlichen wurde ihm 1948 die höchste dänische Auszeichnung, der Elefantenorden, zuteil, und schließlich berief man ihn 1955 in die Friedensklasse des deutschen Ordens Pour le Merite.

Trotz seinen grundlegenden Forschungen, mit denen er maßgeblich an der Einleitung des Atomzeitalters beteiligt war, wandte er sich von vornherein gegen Jede kriegerische Auswertung der Forschungsergebnisse über den Aufbau der Atome. 1957 wurde er mit dem Preis „Atoms for peace“ ausgezeichnet, nachdem er 1950 an die Vereinigten Staaten den Appell gerichtet hatte, die Atomkraft nur für friedliche Zwecke zu verwenden.

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