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Die Heßsdhe Höhenstrahlung

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Der kürzlich erfolgte Besuch des österreichischen, 1938 nach Amerika emigrierten und seither an der Fordham-Universität in New York wirkenden Physikers und Nobelpreisträgers Professor Dr. Viktor Franz Heß in Innsbruck gibt Veranlassung zu einem kurzen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschungen über die 1912 von diesem Gelehrten entdeckte sogenannte „kosmische Strahlung“.

Wenn von „Strahlen" gesprochen wird, so denkt man zunächst an Lichtstrahlen, an Röntgen- oder Radiumgammastrahlen, also an elektromagnetische Schwingungen, die durch eine bestimmte Wellenlänge und Schwingungszahl charakterisiert sind; es gibt aber noch eine zweite, grundsätzlich andere Art von Strahlen: die Teilchen- oder Korpuskularstrahlen, wie sie etwa beim Zerfall von Radium als Alpha- oder Betastrahlen beobachtet werden. Die Heßsche Höhenstrahlung oder Weltraumstrahlung, wie man sie eine Zeitlang auch nannte, ist sehr komplexer Natur, und man findet in ihr nicht nur geladene Partikeln, sondern auch eine elektromagnetische Strahlung von extrem kurzer Wellenlänge, etwa im Betrage eines- tausendmillionsten Teiles jener des sichtbaren Lichtes. Intensivste Arbeit ist seit jener Zeit geleistet worden, da der 29jährige Physiker Viktor Heß, damals Assistent am Wiener Radiumforschungsinstitut, zum erstenmal einen bis in 5350 Meter Höhe führenden Ballonaufstieg mit einer zur Untersuchung dieser merkwürdigen Strahlung geeigneten Apparatur unternahm und feststellte, daß diese Strahlung wider Erwarten mit zunehmender Höhe immer intensiver wurde. Er zog daraus den Schluß, daß es sich hier nicht um eine von der Erde, sondern aus dem Weltraum herrührende Strahlung handeln könne. Die zunächst — vor allem vom Amerikaner Millikan — angezweifelte Existenz der neuen Strahlung wurde durch Vervollkommnung der apparativen Hilfsmittel, durch Ausdehnung der Untersuchungen bis in die Stratosphäre einerseits als auch in tiefere Erd- und Wasserschichten andererseits sowie durch systematische Forschungen über die geographische Verteilung der kosmischen Strahlung über die Erdoberfläche erhärtet.

So konnte man feststellen, daß die primär von allen Richtungen des Weltraumes her in die Atmosphäre eindringenden Strahlen einen sogenannten „geomagnetischen Breiteneffekt“ zeigen: das heißt es erwies sich die Intensität der Strahlung als abhängig von der geomagnetischen Breite, und zwar derart, daß die Stärke der Strahlung in den Äquatorgegenden ein Minimum hat und nach höheren Breiten, also nach den Polen hin, zunimmt. Man schloß daraus, daß es sich zweifellos um einen vom Magnetfeld der Erde verursachten Effekt handelt. Da nun Wellenstrahlen von Magnetfeldern nicht abgelenkt werden, war das Vorhandensein des Breiteneffekts ein Anzeichen dafür, daß es sich — zumindest bei einem Teil der Höhenstrahlung — um eine Teilchenstrahlung, bestehend aus geladenen Korpuskeln, handeln muß, ein Ergebnis, zu dem auch Kohlhörster auf Grund ganz anderer Überlegungen und Versuche kam. Etwas Ähnliches hat man ja in der Polablenkung der von der Sonne herkommenden Elektronenstrahlen, ein Effekt, der die bekannten Nordlichter verursacht; nur ist die ablenkende Wirkung des Erd feldes bei der ungeheuer energiereichen Ultrastrahlung sehr viel geringer als bei den relativ langsamen Elektronenstrahlen.

Glaubt man zunächst, es mit einer sehr durchdringenden Wellenstrahlung zu tun zu haben — man bezeichnete sie, weil ihre Wellenlänge noch weit jenseits der Radiumgammastrahlen liegt, als „Ultragammastrahlung" —, so erkannte man nun, daß ein komplizierter Wechselwirkungsmechanismus diese elektromagnetischen Schwingungen mit materiellen Emissionen verknüpft und es primär gerade diese Korpuskularstrahlung ist, welche beim Durchgang durch die Atmosphäre neben weiteren körperlichen Teilchen auch elektromagnetische Schwingungen, eben die heute als „sekundäre Höhenstrahlung“ bezeichnete Ultragammastrahlung erzeugt, die ihrerseits wieder geladene Korpuskeln produziert, ein Mechanismus, der sich dann auf diese Weise immerfort wiederholt.

Die Forschungen über die Heßsche Höhenstrahlung gehen Hand in Hand mit denen über den Aufbau der Materie; so kam es, daß man — wahrend die Physiker bis 1932 nur mit zwei Urbausteinen der Stoffe, nämlich dem Proton und dem Elektron, rechneten — seither noch weitere Elementarteilchen kennen lernte: zuerst,. 1932, das positive Analogon zum Elektron, das Positron, welches vom Amerikaner Anderson im Zusammenhang mit Studien über die Energie der Höhenstrahlungsteilchen durch Untersuchungen in der Wilson-Kammer entdeckt wurde, einem Beobachtungsmittel, mit Hilfe dessen bekanntlich die Bahnspuren rasch bewegter atomarer Teilchen durch Nebeltröpfchen sichtbar gemacht werden und das sich nun auch beim Studium der Höhenstrahlung als unschätzbares Hilfsmittel erwies.

Die Entdeckung Andersons und jene von Heß trug den beiden Gelehrten dann 1936 gemeinsam den Nobelpreis für Physik ein. Bereits 1933 war ein weiterer Elementarbaustein, das Neutron, entdeckt worden, das von Chadwick bei Atomzertrümmerungsversuchen als ungeladenes neutrales Teilchen von Protonenmasse festgestellt wurde, und schließlich 1937 das vom Japaner Yukawa aus theoretischen Überlegungen im Zusammenhang mit Erklärungsversuchen bezüglich der die Atomkerne zusammenhaltenden Kräfte vorausgesagte und von Anderson und Nedder- mayer in der kosmischen Strahlung entdeckte Meson — eine Art Elektron, beziehungsweise Positron, aber mit einer etwa zweihundertvierzigmal so großen Masse — mit einer Lebendauer von nur einer millionstel Sekunde, dessen Zerfall in Elektronen und Neutrinos (das sind hypothetische Teilchen ohne Masse und Ladung) unter anderem Professor Steinmaurer in Innsbruck mit eindrucksvollen Wilson- Aufnahmen belegen konnte. Zur weiteren Erforschung dieser rätselhaften Strahlung, von der zwar schon sehr viel bekannt ist — bereits vor dem Kriege betrug die Zahl der einschlägigen Veröffentlichungen etliche tausend! —, dienen Untersuchungen mit Hilfe von unbemannten und selbstregistrierenden, bis in die Stratosphäre aufsteigenden Pilotballonen (so ließ R e g e n e r als erster solche Ballone mit schreibenden Meßgeräten bis in Höhen über 30 Kilometer aufsteigen und fand dabei eine stetige Zunahme der Ultrastrahlung) sowie stabile Apparaturen in eigenen hochgelegenen Observatorien: in Österreich vornehmlich das dem physikalischen Institut der Universität Innsbruck angegliederte „Laboratorium zur Erforschung der kosmischen Strahlung“ auf dem Hafelekar (2300 Meter) sowie das Höhenobservatorium auf dem Hohen Sonnblick (etwa 3000 Meter) und in der Schweiz die in 3400 Meter Höhe liegende „Hochalpine Forschungsstation“ auf dem Jungfrau joch.

Interessant ist es auch, sich einige Zahlen vor Augen zu halten: die Sonnenstrahlung ist ungefähr Vierhundertmillionenmai so intensiv als die Heßsche Strahlung und beliefert an der Atmosphärengrenze eine Fläche von einem Quadratmeter mit mehreren tausend Trillionen Photonen pro Sekunde, während unter den gleichen Bedingungen nur einige hundert Höhenstrahlteilchen beobachtet werden. Die Durchschlagskraft dieser in 18 Kilometer Höhe im Vergleich zum Erdboden vierzigmal so intensiven Strahlung ist enorm: sie dringt, wie Versuche am Bodensee zum Beispiel zeigten, Hunderte von Metern ins Wasser ein, wird in tiefen Bergwerken noch registriert, durchschlägt zehn Meter dicke Bleiplatten und Eisenkörper von 150 Meter Durchmesser. Da sie selbstverständlich alle Organismen durchdringt, liegt die Frage nach einer eventuellen Rückwirkung auf biologische Abläufe nahe: wenn es auch durch breitangelegte und intensive Forschungen erwiesen ist, daß Schädigungen und Beeinflussungen bei niederen Organismen auftreten, so konnte — was den Men sehen betrifft — bei diesem ein direkter Einfluß bisher nicht nachgewiesen werden, obwohl es durchaus denkbar ist, daß die Höhenstrahlung zu Änderungen der Eiweißsubstanz führt oder das Nervensystem beeinflußt.

Gerade der ungeheure, alle anderen Strahlenarten ganz außerordentlich übertreffende Energiereichtum ist es, welcher der Forschung weitere Rätsel auferlegt, vor allem bezüglich der Entstehung und Herkunft, wenn auch verschiedenste Vermutungen geäußert werden: ob es nun elek trische Felder im Weltraum sind, welche als Ursache in Frage kämen, ob Zerstrahlungsvorgänge oder Kernbildungsprozesse — keiner dieser Vorgänge ist jedenfalls imstande, Teilchen von der Energie der Höhenstrahlung zu erzeugen, welche ja jene der genannten Prozesse um das Zehntausend- bis Zehnmillionenfache übertreffen.

So wird noch ein weiter Weg zurückzulegen sein, bis man dieser merkwürdigen, aus den rätselhaften Fernen des Weltraums kommenden Strahlung, deren Erforschung neue Einblicke in den Mechanismus mikroskopischen und makroskopischen Geschehens liefert, auf den Grund gekommen sein wird. Am Anfänge dieses Weges aber steht der Name eines der glänzendsten Vertreter österreichischen Geistes: Viktor Franz Heß.

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