6545011-1947_09_12.jpg
Digital In Arbeit

Der Michelson-Versuch

Werbung
Werbung
Werbung

Der Versuch, den Michelson vor gerade 65 Jahren zum erstenmal vornahm, war der Höhepunkt der Äthertheorie und ihr Ende zugleidi. Von der Bedeutung dieses Versuches können wir uns heute kaum mehr eine rechte Vorstellung madien. Wie der Atombombenversuch ein Weltereignis wurde, so war es ^damals der Michelson-Versudi. Die Entwicklung der Physik, die er auslöste, war eine, ungeheure. Der Michelson-Versudt wurde zum Anlaß und zur Grundlage der gesamten Relativitätstheorie, dieses imposanten Gebäudes menschlidien Geistes, die nicht nur einen großen Teil der heutigen Physik beherrscht, sondern auch von größter Bedeutung für die Naturwissenschaften und für die Philosophie unserer Zeit insbesondere geworden ist.

1 Der Zweck des Michelson-Versuches war es, die Bewegung der Erde im Weltäther festzustellen. Nachdem Huygens erkannt hatte, daß das Licht eine Wellenbewegung sei, schien es notwendig, um diese Wellen und Schwingungen zu erklären, einen Träger dieser Bewegung anzunehmen, den Licht äther. Doch dieser Äther war schon von allem An-v fang an ein Sorgenkind dtr Physiker. Das Licht mit seinen versdiwindend kleinen Wellenlängen und dementsprechend hohen Sdiwingungszahlen verlangte einen Sdiwin-gungsträger von geradezu vollkommener Elastizität. Aber die Erfahrung hatte gezeigt, daß die Elastizität eines Materials um so besser wird, je fester, kompakter der Stoff ist. Andererseits sollte der Weltäther jedoch schwerelos sein, den leeren Weltraum erfüllen, die härtesten Körper, wie Quarz und Glas, durchdringen und auch noch im Vakuum Träger der Lichtfortpflanzung sein

Durch seinen Versuch wollte Michelson di# Frage lösen, wie der Äther sich bewegt oder ob er ruht. Man wollte damit auch zugleich ein „absolut ruhendes“ Bezugssystem finden und dementsprechend eine „absolute“, nicht nur „relative“ Bewegung. Um den Versuch zu verstehen, sei vereinfacht sein Prinzip erklärt. . ,

Denken wir uns drei Schiffe bei Windstille, vor Anker liegen, in gerader Linie eines hinter dem anderen, und zwischen den

Sdiiffen einen Abstand von je 330 Meter. Nun gebe das mittlere Schiff ein Pfeifsignal, und gerade eine Sekunde später wird sowohl auf dem vorderen wie auf dem hinteren Schiff, auf beiden zugleidi, das Signal gehört. Dies sei der erste Versuch.

Beim zweiten Versuch fahren alle drei Sdiiffe in Kiellinie hintereinander, immer in gerader Richtung, Wieder mit dem gleichen Abstand von je 330 Meter, mit einer Geschwindigkeit von 30 Meter in der Sekunde, das sind zirka 110 Kilometer in der Stunde. Wieder gebe das mittlere Schiff ein Pfeifsignal. Was wird nun geschehen? Der Schall braucht zur Zurücklegung des Abstandes von 330 Meter zwischen dem zweiten und dem ersten Schiff •gerade eine Sekunde. Während dieser Sekunde, die der Schall unterwegs ist, ist aber das erste Schiff um 30 Meter weitergefahren. Der Schall muß also auch noch diese 30 Meter zurücklegen und kommt daher etwas später an als bei Versuch 1, nämlich um eine Zehntelsekunde. Genau umgekehrt verhält es sich beim dritten Schiff. Das Schiff kommt dem Schall in der einen Sekunde 30 Meter entgegen, der Schall hat dadurch nur einen kürzeren Weg zurückzulegen und wird etwa um eine Zehntelsekunde früher ankommen. Das Ergebnis ist also, daß das Signal auf den beiden Sdiiffen nicht gleichzeitig gehört wird, sondern auf dem dritten Schiff um zwei Zehntelsekunden früher als auf dem ersten.

Beim dritten Versuch seien die Schiffe wieder fest verankert, es wehe aber ein Sturm, den Schiffen entgegen', in der Richtung vom ersten Sdiiff zum zweiten und dritten, wieder gerade mit einer Ge-sdiwindigkeit von 30 Meter in der Sekunde. Das Ergebnis dieses Versuches wird völlig analog zu Versuch 2 sein. Der Schall, der von Schiff zwei zu Schiff eins unterwegs ist, legt in einer Sekunde 330 Meter zurück, er wird aber in derselben Zeit vom Sturm um 30 Meter in der entgegengesetzten Richtung zurückgetragen. Er wird also wieder mit einer Zehntelsekunde Verspätung bei Schiff eins ankommen. Umgekehrt wird der Sdiall vom Sturm dem Schiff drei entgegengetragen, nach einer Sekunde ist er also bereits um 30 Meter über das Schiff drei hinaus. ,

Als vierten Versuch denken wir uns noch den Fall, daß die drei Sdiiffe sich wieder in gleichförmiger Bewegung befinden und daß gleichzeitig ein Sturm mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der die Sdiiffe fahren, in der Richtung der Fahrt der

Schiffe wehe. Das Ergebnis entspricht, dem Versuch 1, das Signal wird auf den beiden äußeren Sdiiffen gleidizeitig eintreffen.

Damit haben wir .das Grundsdiema des Michelson-Versuches entwickelt. Auf dem mittleren Schiff wird nicht ein Schallsignal, sondern ein Lichtsignal abgegeben, das dann auf den beiden anderen Schiffen gleichzeitig^ oder zu verschiedenen Zeiten empfangen wird. An die Stelle der Schallwellen treten die elektromagnetischen Lichtwellen) an die Stelle der ruhenden und der bewegten Luft der Weltäther. Natürlich ist die Geschwindigkeit, wie sie etwa Fahrzeuge auf der Erde erreidien können, keineswegs hinreichend, um in ein vergleichbares Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit zu treten. Selbst das schnellste Flugzeug ist noch unendlich langsam im Vergleich zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes. Hingegen ist die Bewegung der Erde um die Sonne mit einer Gesdiwindigkeit von 30 Kilometer in der Sekunde schon eine gut vergleidibare Größe. Ebenso läßt sich bei der ungeheuren Geschwindigkeit des Lidites eine Zeitdifferenz nicht wie beim Schall mit einer Uhr feststellen; an die Stelle dessen trat die von Michelson entwickelte Interferenzmethode, die auch ganz geringe Untersdiiede in der Lichtgesdiwindtgkeit. deutlidi sichtbar macht. Die experimentellen Voraussetzungen für einen derartigen Versuch waren also schon damals durdiaus gegeben. Die Grundidee des Versudies stammt bereits von dem großen Theoretiker Maxwell. Ausgeführt wurde er dann von

Michelson und M o r 1 e y und später noch von versdiiedenen anderen wiederholt.

Der Michelson-Versuch war eine Frage an die Natur, auf die es nach dem damaligen Stand der Theorie nur eine Antwort geben konnte — und gerade diese , einzig mögliche Antwort blieb aus. Der t Versuch ergab ein negatives Ergebnis, es ließ sich keinerlei Abhängigkeit des Lichtes von der Art der Bewegung des Versuchssystems im Äther beobachten. Der Versuch bewies völlig eindeutig: die Erde ruht relativ zum Äther oder umgekehrt: der Äther ruht relativ zur Erde. Mit den Vorstellungen des Kopernikanischen Weltsystems ist dies Ergebnis aber unvereinbar. Ebenso undenkbar ist es, daß der Äther die ganze komplizierte Bewegung der Erde mitmacht, die tägliche um ihre eigene Achse, die jährliche um die Sonne, dann die Bewegung des ganzen Sonnensystems usw. Andererseits ließ sich das Ergebnis des Versudies nicht widerlegen. Aber die Theoretiker gaben sich nicht geschlagen: Erde und Äther bewegen sich doch gegeneinander, daß sie ruhen, ist nur Schein. Es besteht vielmehr prinzipiell die Unmöglichkeit, eine derartige relative Bewegung physikalisch festzustellen. Die Lösung des Problems, eine mathematisdie Lösung vor allem, wie trotz Bewegung der Erde im Äther der Michelson-Versuch negativ ausfallen konnte und mußte, brachte zuerst L o r e n t z und dann allgemeiner E i n-stein in seiner speziellen Relativitätstheorie.

Auch wir wollen diesem Problem an unserem „Dreischiffeversuch“ nachgehen. Unter welchen Bedingungen kommt der Schall von Sdiiff zwei gleichzeitig auf Schiff eins und drei an? Zwei Möglichkeiten haben wir bereits festgestellt, einmal im Versuch 1, wo alle drei Schiffe ruhen und auch die Luft als Überträger des Schalles. Zweitens im Versuch.4, wo sich die Sdiiffe bewegen und mit ihnen in gleicher Weise die “Luft als Sturm, was beim Midielson-Versuch einer Bewegung des Äthers mit der Erde entsprechen würde. Beide Erklärungs-möglichkeiten haben wir aber oben bereits ausgeschlossen. Wir haben es also mit dem Versuch 2, beziehungsweise^mit dem analogen Fall 3 zu tun. Betrachten wir den Fall 2: die Schiffe bewegen sich, die Luft ruht. Der Schall kommt von Schiff zwei auf Schiff eins mit einer Verspätung von einer Zehntelsekunde an. Stellen wir uns nun vor, es gäbe irgendeine Möglichkeit, daß der Schall trotz der Bewegung der

Schiffe und trotz der ruhenden Luft nur eine Sekunde für seinen Weg braucht. Nein, .vorstellen können wir uns das nicht, aber ' wir können es berechnen. Die Geschwindigkeit des Sdialles soll stets unverändert bleiben, die Zeit vom Abgang des Signals bis zu seinem Eintreffen soll auch unverändert bleiben, gerade eine Sekunde. Also muß die dritte Größe sich ändern, der Weg muß kürzer werden, und zwar gerade um ein Zehntel. Es soll aber nicht nur- der Abstand der Sdiiffe kürzer werden, sondern überhaupt jeder materielle Körper, so daß wir die Verkürzung eben durch Anlegen eines Maßstabes, wie wir ja Längen messen, nicht feststellen können. Damit haben wir die „L o r e n t z - K o n t r a k t i o n“ allerdings etwas schematisiert. Denn durch diese einfache Kontraktion ist noch nicht das Ausbleiben eines Effekts erklärt, wenn sich das Licht gegen die Bewegungsrichtung des Systems bewegt.

Zweitens können wir annehmen, daß die Schallgeschwindigkeit und der Abstand der Schiffe“ unverändert bleiben. Der Sdiall braucht von Sdiiff zwei zu Schiff eins eine ganze und eine Zehntelsekunde, die Uhr müßte also etwa um ein Zehntel langsamer gehen, dann würde sie uns als Übertragungs-•zeit ebenfalls nur eine Sekunde, nicht mehr, angeben. Natürlich müssen wieder alle Uhren an dem gleichen Ort langsamer g*hen, der gesamte Zeitablauf muß sich gewissermaßen dehnen. Damit haben wir d i e relativistische Zeitdilation. In der Relativitätstheorie wird beides, sowohl die Länge wie auch der Zeii:ablauf, variabel. Der Vollständigkeit halber sei noch d.e dritte Möglichkeit zur Erklärung des negativen Ergebnisses des Michelson-Versucnes angeführt, nämlich, daß sich die Lichtgeschwindigkeit, in unserem Versuch die Schallgeschwindigkeit, ändei,tj je nach Größe und Richtung der Bewegung. Diese Möglichkeit wurde jedoch in keiner Theorie ausgebaut, im Gegenteil, für die Relativitätstheorie bildet die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit eines ihrer beiden Grundaxiome.

Dies war der Stand der Theorie noch Jange nach dem Michelson-VerSuch. Inzwischen hat'sich aber die Tatsache ergeben, daß die Äthertheorie völlig fallen gelassen wurde. Der Äther als gewichts- und trägheitslos 2 Materie ist mit physikalischen Mitteln auf keine Weise feststellbar und verliert damit jede physikalische Realität.- Das negativ; Ergebnis des Michelson-Versuches ist uns heute ein letzter Beweis dafür, daß es überhaupt keinen Äther gibt. Daraus folgt der merkwürdigt Schluß, daß der Michelson-Versuch

'einerseits den Beweis liefert, daß kein Äther existiert, andererseits der Beweis, daß sich zwar die Erde dem ruhenden Äther gegenüber bewegt, diese Bewegung' aber physikalisch nicht feststellbar bleibt: und damit der Anlaß wird .zum Verlassen der klassischen Mechanik, zur Aufstellung der Lorentz-Transformation und weiterhin die Grundlage für die ganze Relativitätstheorie liefert.

Aber es muß doch vielmehr so sein, daß etwas, das gar nicht existiert, weder sich bewegen noch ruhen kann. Somit ist es auch unmöglich, daß es zwar ruht, sich aber zu bewegen scheint, wie es die relativistische Erklärung des negativen Ergebnisses des Michelson-Versuches verlangt. Ja, wir können gar nicht sagen, daß der Michelson-Ver-such negativ ausgefallen ist, da doch die eine Voraussetzung für ein positives Ergebnis, der ruhende Weltäther, überhaupt nicht vorhanden ist. Drum' sei es uns zumindest gestattet, im Zeitalter des “Relativismus,“ da alles Absolute bezweifelt wird, auch die absolute Richtigkeit des Relativismus anzuzweifeln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung