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Trinken + fahren = töten

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Mehr als dreitausend Jahre liegt die Gesetzgebung auf dem Berg Sinai zurück. Die Worte sind klar, unmißverständlich, und bei dem vielleicht ältesten Naturgesetz, dem Fünften Gebot, wird kein Unterschied gemacht zwischen einem vonbedachten Mord, einer fahrlässigen Tötung, einem Totschlag im Affekt u. a. Es hat der Mensch kein Recht, seinen Mitmenschen zu töten, und es ist erschütternd genug, daß in all den Jahrtausenden menschlicher Geschichte gerade dieses Gebot immer wieder mißachtet wurde und in manchen Zeitepochen überhaupt keine Gültigkeit zu haben schien. Nebefl den alltäglichen Kriminalfällen, in denen aus den verschiedensten Gründen und Anlässen gemordet und gemeuchelt wird, hat in unseren Tagen ein ganz bestimmtes Morden begonnen, das man wie ein unentrinnbares Naturereignis hinzunehmen bereit ist: den Tod auf der Straße.

Zu Tausenden werden junge Menschen, Männer und Frauen, in der Blüte ihres Lebens aus verantwortungsvoller Umgebung herausgerissen und finden, grauenhaft verstümmelt, irgendwo, zwischen verbogenem Blech und Stahl, ein schreckliches Ende. Daneben rekrutieren sich täglich Heere von Krüppeln aller Art, die neben all den körperlichen Verunstaltungen auch eine meist schwere Schädigung des Gehirnes davontrugen, mit all den sich daraus ergebenden geistigen Störungen. Allein in der benachbarten Deutschen Bundesrepublik erleidet alljährlich mehr als eine Viertelmillion Menschen eine so schwere Gehirnerschütterung, daß sie zeitlebens für die Umgebung erkennbare geistige Folgen davonträgt. Furchtbar aber sind die Lücken, die durch die Motorisierung überall endgültig und irreversibel durch den Tod gerissen werden.

Sucht man nun für das sich immer mehr ausbreitende Unheil auf den Straßen die Gründe, dann wäre es natürlich sehr einfach, der sogenannten Verkehrsdichte, dem verschiedenen technischen und unausweichlichen menschlichen Versagen die Schuld zu geben. Es trifft, dies auch zu einem kleinen Teil zu, der überwiegende Teil aller schweren und tödlichen

Verkehrsunfälle aber ereignet sich durch eine klar erkennbare Ursache, die man keineswegs in ihrer schrecklichen Konsequenz wahrhaben will. Es klingt hart, sehr hart sogar, aber eine erschreckende Anzahl von Verkehrsunfällen wird hervorgerufen, weil eine der beteiligten Personen infolge Alkoholgenusses versagte.

Läßt man ein Kaninchen aus einer Höhe von einem Meter mit dem Rücken abwärts auf eine weiche Unterlage fallen, dann dreht sich das Tier noch während des Sturzes blitzartig um und landet wohlbehalten auf den Beinen. Bekommt es aber vorher eine ganz geringe Alkoholdosis verabreicht, dann erfolgt 'diese Drehung um den Bruchteil einer Sekunde zu spät, hilflos plumpst es auf den Rücken.

Tausendfach hat man dergleichen Versuche angestellt und in allen Fällen diese allgemein bekannte, typische Alkoholwirkung feststellen können: die Verzögerung verschiedener, notwendiger Reflexbewegungen. Dies gilt natürlich ebenso für den Menschen, auch bei ihm erfolgen verschiedene Handlungen nach Alkoholeinwirkung etwas später. Wer nun beispielsweise in einem Kraftfahrzeug mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern dahinfährt, tritt nach ein oder zwei Gläschen Kognak bereits um eine Zehntelsekunde zu spät auf die Bremse oder kommt mit der Drehung des Lenkrades um einen Bruchteil einer Sekunde zu spät, das sind, umgerechnet, fast eineinhalb Meter Fahrweg! Es leuchtet durchaus ein, daß dies allein schon die Ursache schwerster Unfälle sein kann. Und dabei handelt es sich hier um eine Alkoholwirkung, bei der man noch lange nicht von einem erhöhten Blutalkoholspiegel sprechen kann!

Dazu kommt ein noch viel zuwenig beachteter Umstand: Besonders bei jungen Menschen, die noch keine richtige Umwelteinstellung gewonnen haben und zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Großmannssucht schwanken, kommt es zu der bekannten Transformierung: der Fuß am Gashebel erzeugt den Rausch von

Kraft, das Aufheulen des Motors wird wie ein eigener Kraftzuschuß empfunden. Auch bei allen Neurotikern des modernen Lebens wirkt dieser unheimliche Mechanismus, denn sie kompensieren mit einem Auto mit möglichst vielen Pferdestärken das eigene Minderwertigkeitsgefühl. Kleinste Alkoholmengen wirken hier ungeahnt enthemmend und spülen die letzten Schranken der Vernunft beiseite.

Vollends gefährlich aber wirkt der Alkohol in der Dunkelheit. Die Versuche darüber geben eindeutige Resultate: Schon nach geringer Alkoholaufnahme ist das Flächensehen weitgehend gestört, bewegliche Lichtquellen werden hinsichtlich ihrer räumlichen Distanz unrichtig eingeordnet, vor allem aber seitliche Hindernisse, wie kreuzende Passanten und parkende Fahrzeuge, werden wesentlich später zur Kenntnis genommen. Der völlig Nüchterne sieht in der Dunkelheit ein parkendes Fahrzeug am Straßenrand bereits dreiundsiebzig Meter vorher, der unter ganz leichter Alkoholeinwirkung stehende Kraftfahrer aber erst auf vierzig Meter Distanz. Rechnet man dann noch die verlängerte Reaktionszeit dazu, dann werden die grauenhaften Unglücksfälle, die sich jede Nacht ereignen, durchaus verständlich ...

Die Motorisierung nimmt ständig zu. Aber auch der Alkoholkonsum; allein in den letzten zehn Jahren wurden in Österreich dreihunderttausend Hektoliter Wein mehr getrunken, hat sich der Bierkonsum verdoppelt und der Schnapskonsum vervierfacht. Zu Tausenden stehen vor den alkoholausschenkenden Lokalen die Kraftfahrzeuge, und tagtäglich, jeden Abend und jede Nacht, setzen sich Zehntausende an das Lenkrad, zumindest in „guter Stimmung“, und erzeugen durch einen kleinen Tritt auf den

Gashebel aus Masse (mindestens eine Tonne) isailuov mal Geschwindigkeit (mindestens vierzig Stundenkilometer) die lebensbedrohende Wucht. Es 'sef'in'ffie'se'm üsammlnnang gar nicht von den lausenden Passanten gesprochen, die mehr oder minder alkoholisiert auf den Straßen umhertorkeln. (Es waren in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres 1148 Ausfahrten der Wiener Rettung notwendig, um total Betrunkene von den Verkehrsflächen aufzulesen.)

Es ist vom rein medizinischen und menschlich-verantwortungsbewußten Standpunkt aus völlig sinnlos, von einer zulässigen Höchstgrenze des Blutalkoholspiegels zu sprechen. Die vielen, breitest ausgewalzten öffentlichen Diskussionen darüber erwecken den Anschein, als könnte man bis zu einer gewissen Grenze schadlos trinken, und erst dann, nach Überschreiten derselben, könnte etwas passieren. In Wirklichkeit handelt es sich bei der gesuchten gesetzlichen Definierung um den Begriff der Volltrunkenheit, die ja leider oft ganz entsetzliche Unfälle bewirkt, die Mehrzahl aller Zusammenstöße aber wird nach dem Genuß weit geringerer Alkoholmengen hervorgerufen. Jener Spruch, der überall in den Verkehrsämtern zu lesen ist, hat seine absolute Gültigkeit, über seine Richtigkeit kann es keinen Zweifel geben: „Trink keinen Alkohol, wenn du fährst, wenn du aber trinkst, dann fahre nicht.'“ Das gilt für das Stamperl Schnaps genau so wie für die Flasche Bier!

Doch halt! Hier werden sofort die Zusammenhänge klar: der Konsum alkoholischer Getränke bringt dem Staat jährliche hunderte Millionen. In jedem Lande sind die alkoholerzeugenden Industrien die finanzkräftigsten Unternehmen. Es wäre reine Geschäftsstörung, wollte man hier logische und vernünftige Beschränkungen durchsetzen. Was spielen denn schon die paar tausend Toten jährlich auf den Straßen für eine Rolle? Das Geschäft muß blühen. Wer sollte sich finden, der verantwortungsbewußt zu härten Maßnahmen aufriefe?

Wer alkoholisiert die Hand an das Steuerrad eines Kraftfahrzeuges legt, kann zum Mörder werden. Doch es hat den Anschein, als gäbe es für diese Art des Tötens eine Sonder Justiz. Wie sollte man sonst die kleinen Arreststrafen verstehen, mit denen mehrfache Mörder am Volant abgestraft werden? Es steht geschrieben: Du sollst nicht töten! Für den alkoholisierten Lenker eines Kraftfahrzeuges gilt dies anscheinend nicht. Noch nicht. Denn eines Tages wird die Gesetzeslage hierin wohl „nachziehen“ müssen.

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