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Nach Wiener Art...

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An der Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik wurde in den letzten Jahren eine Reihe von wissenschaftlichen Bearbeitungen durchgeführt, deren Ergebnis sowohl eine Verbesserung der kurzfristigen Wettervorhersage als auch eine Erweiterung des Vorhersagezeitraumes auf einen mittelfristigen Bereich bis zu vier Tagen ist. Die neue Methode, durch die langjährige meteorologische Erfahrungen in ein mathematisches System gefaßt werden, hat sich in der Praxis gut bewährt und fand auch eine besondere Anerkennung — i m Ausland. Anläßlich eines Wettbewerbes der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft für Arbeiten zur Verbesserung der Wettervorhersage wurden von den ausgesetzten drei Preisen zwei an Wiener Meteorologen verliehen.

Im folgenden soll nun das neue System erklärt werden.

Bei den herkömmlichen Vorhersagemethoden wird als Ausgangsmaterial eine Wetterkarte verwendet, in die für einen bestimmten Termin, zum Beispiel für 06.00 Uhr GMT (Greenwich Mean Time), sehr viele Wettermeldungen von Beobachtungsstationen, die sich an der Erdoberfläche befinden, eingetragen sind. Bei dem neuen Wiener Verfahren werden nicht Luftdruckwerte der Erdoberfläche zugrunde gelegt, sondern Topographiender85 0 - mb-Fläche. Diese Druckfläche nimmt eine Höhenlage von durchschnittlich 1500 Meter ein. In diesem Niveau machen sich Einflüsse und Störungen, die unmittelbar von der Erdoberfläche ausgehen, nicht mehr wesentlich bemerkbar. Das 8 50-mb-Niveau liegt aber immerhin genügend tief, um den Zustand der tieferen Schichten des Luftmeeres naturgetreu widerzuspiegeln. Das Wetter steht bekanntlich in enger Beziehung zur Luftdruckverteilung. Tiefdruckgebiete sind im allgemeinen Schlechtwetterzonen, in Hochdruckgebieten herrscht zumeist Schönwetter. Diese Beziehung besteht am schärfsten i m 8 5 0 - m b - N i v e a u. In dieser Höhenkarte' sind Tiefdruckgebiete wirklich Schlechtwitterbereiche, Hochdruckgebiete Schönwetterzonen. Unter einem Hoch im 700-mb-Niveau (3000 m) oder 500-mb-Niveau (5 500 m), das sind Karten, die ebenfalls im täglichen meteorologischen Dienst verwendet werden, ist dagegen durchaus nicht immer schönes Wetter vorhanden. Die Vorhersage der 700-mb- beziehungsweise 500-mb-Karte kann also gut getroffen serh, die Vorhersage des Wetters in diesem Gebiet, die sich auf die vorhergesagte Konfiguration der Topographie der genannten Flächen verläßt, wird nicht immer richtig sein. Diesen Erfahrungen wird insoferne Rechnung getragen, als die Höhenkarten aus höherem Niveau vorwiegend als Hilfsmittel für die sogenannte „Steuerung“ verwendet werden. *

Bei der konventionellen Methode werden als Grundlage für die Wetterprognose Karten für einen bestimmten Termin zugrunde gelegt. Die Prognose wird aber keineswegs für einen Zeitpunkt, sondern für ein mehr oder weniger großes Zeitintervall erstellt. Es erschien daher zweckmäßiger, als Ausgangslage Karten zu verwenden, die nicht auf einen „Termin“, sondern auf ein „Intervall“ bezogen sind. Die neue Methode basiert auf Mittelwertskarten, die in folgender Weise hergestellt werden. Von 150 Meßpunkten der Nordhemisphäre werden täglich zum 00.00-Uhr-GMT- und 12.00-Uhr-GMT-Termin die Werte der absoluten Topographie der 850-mb-Fläche bestimmt. Mit anderen Worten, es wird die Höhenlage der 850-mb-Fläche über dem Meeresspiegel für jeden dieser Punkte angegeben und in Tabellen aufgespeichert. Nach fünf Tagen erhält man für jeden Punkt zehn Meßwerte, von denen das arithmetische Mittel berechnet wird. Man erhält dadurch für die nördliche Hemisphäre Mittelkarten, die täglich, ineinander übergreifend, hergestellt werden. Diese Mittelkarten haben die Eigenschaft, daß kleinräumige Druckgebilde, also Erscheinungen, die den „meteorologischen Alltag“ bestimmen, zurücktreten und großräumigere und stationäre Druckgebiete, die einen bestimmten Zirkulationstyp charakterisieren, schärfer hervortreten. Mit einer Folge solcher Mittelkarten kann also recht gut die Frage beantwortet werden, wie sich der Großwetterzustand verändert, das heißt, wie eine bestimmte Großwetterlage in eine andere übergeht.

Wir postulieren dabei, daß zwischen zwei um ein gewisses Zeitintervall auseinanderliegenden Druckverteilungen eine Beziehung (Korrelation) besteht, die durch gewisse Prinzipien zustande kommt. Die Frage in unserem Fall ist vornehmlich diese, welche Prinzipien für die Umwandlung einer Druckverteilung in eine andere zeitlich darauffolgende maßgebend sind. Ohne behaupten zu wollen, daß damit eine vollständige Erfassung der im einzelnen äußerst komplizierten Prozesse möglich ist, können folgende Prinzipien an die Spitze gestellt werden:

1. die Erhaltungstendenz von Druckanomalien,

2. das Prinzip des Ausgleichs von bestehenden räumlichen Druckgegensätzen,

3. das Kompensationsprinzip.

Unter der Erhaltung von Druckanomalien soll die für einige Zeit bestehenbleibende Abweichung eines Druckwertes gegenüber dem langjährigen Durchschnittswert (Normalwert) verstanden werden.

Das Ausgleichsprinzip beruht auf der Erfahrung, daß sich vorhandene räumliche Druck-unterschiede auszugleichen versuchen. Aus einem Hochdruckgebiet strömt die Luft heraus,dadurch wird es schwächer, in ein Tief hinein, wodurch es aufgefüllt wird. Zu diesem Ausgleichseffekt tragen die Bodenreibung sowie überhaupt alle energieverbrauchenden Prozesse entscheidend bei. Natürlich werden die im Wettergeschehen so überaus wichtigen Entwicklungsvorgänge, wie Entstehung und Vertiefung von Tiefdruckgebieten beziehungsweise Aufbau und Verstärkung von Hochdruckgebieten, nicht durch einen Ausgleichsprozeß, sondern durch geradezu konträre Effekte zustande kommen. Zur Erfassung dieser wichtigen Entwicklungseffekte muß daher ein weiteres Prinzip, das Kompensationsprinzip, eingeführt werden.

Das Kompensationsprinzip besagt zum Beispiel, daß bei starken Druckschwankungen der stärkste Druckanstieg nach einer gewissen Zeit an derjenigen Stelle zu suchen ist, an der zum Ausgangstermin der stärkste Druckfall auftrat. Es ist aber auch möglich, daß ein „niedriges“ Drucksteiggebiet (Sitz des Druckanstieges in den unteren atmosphärischen Schichten) durch ein „hohes“ Druckfallgebiet (Sitz der Druckänderung in der hoben Troposphäre oder in der Stratosphäre) überkompensiert wird, wodurch es zu Zyklogenese (Tiefdruckbildung) kommen kann.

Für die praktische Verwertung der erwähnten Prinzipien ist es notwendig, Beziehungen (Korrelationen) abzuleiten, die eine zahlenmäßige Erfassung dieser Prinzipien gestatten. Angenommen, der Ausgangswert über einem Punkt des Prognosengebietes sei die Zahl Hi, die nach einer gewissen Zeit in die Zahl Ha übergeht. Es muß nun eine Rechenoperation gefunden werden, die den Wert Hi in Ha überführt. Durch umfangreiche statistische Untersuchungen konnte gefunden werden, daß sich die Abweichung der Summe der auf einen Termin folgenden fünf Werte vom fünffachen Normal-wert (hi + I12 -f- hs + h + hs — 5 N) aus der Abweichnung des letzten bekannten Wertes vom einfachen Normalwert (ho — N) berechnen läßt, Dabei sind hi, h2, ha, h und hs unbekannt, alle anderen Werte jedoch bekannte Meßwerte. Bezeichnet man die Summe der unbekannten Größen mit S, dann läßt sich folgende Beziehung aufstellen:

S - 5 N = k (ho - N). Statistische Untersuchungen an einer großen Anzahl vergangener Wetterlagen ergaben für den Faktor k den Wert 3. Damit hatte man nun die Möglichkeit, die Unbekannte S zu berechnen:

S = 3 ho + 2 N

Die Summe S der auf den letzten Meßwert ho folgenden fünf Werte erhält man also, wenn man den doppelten Normalwert zum dreifachen letzten Meßwert hinzuzählt. In dem dreifachen Gewicht des letzten Meßwertes kommt das Erhaltungsprinzip deutlich zum Ausdruck. Durch diese Beziehung gelingt es zwar nicht, die Werte hi, hs, In, hi, hs einzeln zu bestimmen, ihre Summe kann jedoch berechnet werden.

Eine Methode, die allein auf dem Erhaltungsprinzip beruht, kann natürlich nicht befriedigen, da die Mehrzahl der die Veränderungen des Druckfeldes bedingenden Faktoren unberücksichtigt bleibt, vor allem aber diejenigen, die aus dem Ausgleichs- und Kompensationsprinzip bedingt sind. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß der Wetterablauf über einem Ort in hervorragender Weise unter anderem auch vom Wetter der Umgebung abhängt. Der Einfluß der Umgebung auf Änderungen an Ort und Stelle wird aber durch die allein aus dem Erhaltungsprinzip abgeleiteten mathematischen Beziehungen in keiner Weise in Rechnung gestellt. Bei Verwendung des Ausgleichsprinzips kann nun der Einfluß der Umgebung ebenfalls rechnerisch verarbeitet werden.

Um die gestellte Aufgabe zu lösen, wurde überlegt, bei welchen Naturvorgängen dem Ausgleichsprinzip am besten Genüge getan wird. Dabei stieß man auf die Theorie der Wärmeleitung, die ein klassisches Beispiel für einen Ausgleichsvorgang bietet. Sie besagt, daß die Temperaturänderung an einer bestimmten Stelle proportional ist der Abweichung des Temperaturwertes an dieser Stelle vom räumlichen Mittelwert der Umgebung. Bei der Theorie der Wärmeleitung wird also der Temperatureinfluß der Umgebung auf Temperaturänderungen an Ort und Stelle berücksichtigt. Es liegt nahe, dieses die Vorgänge der Wärmeleitung regulierende Prinzip auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Es muß also versucht werden, eine Beziehung zwischen einem zeitlichen Mittelwert an einer bestimmten Stelle und einem räumlichen Mittelwert herzustellen. An Hand eines umfangreichen Materials — es wurde ein Kollektiv von insgesamt 1620 Fällen verwendet — konnte statistisch nachgewiesen werden, daß eine ganz außerordentlich enge Beziehung zwischen den zeitlichen und räumlichen Mittelwerten besteht. Die Beziehung ist so eng, daß praktisch das zeitliche Mittel gleich dem räumlichen gesetzt werden kann. Aus dem Druckfeld der Umgebung einer bestimmten Stelle kann daher eine Vorhersage über das mittlere Druckfeld in einem zukünftigen Zeitintervall angestellt werden. In der Praxis wird die räumliche Mittelung so durchgeführt, daß auf die analysierte Karte der 850-mb-Fläche eine durchsichtige Auflage gelegt wird, auf welcher für den Bezugspunkt die Werte derjenigen vier Punkte abgelesen werden können, die um die Distanz d in nördlicher, östlicher, südlicher und westlicher Richtung vom Bezugspunkt entfernt sind. Als günstigste Distanz wurde d = 666 km gefunden. Die abgelesenen und gemittelten Werte werden nun in eine Prognosenformel eingesetzt, die sich aus der Beziehung zeitliches

-=- räumliches Mittel verhältnismäßig leicht ableiten läßt.

Mit Hilfe der erwähnten Beziehungen gelingt es nun, den bekannten Ausgangswert Hi in den vorherzusagenden Wert Hs überzuleiten. Durch Anwendung des Ausgleichs- und Kompensa-tionsprinzipes erhält man schließlich noch eine sogenannte, bereits bis zum dritten Folgetag reichende „erweiterte“ Vorhersage H3 und schließlich noch eine „mittelfristige“ Tendenz T, die sich bis zum vierten Folgetag spannt. Zur Erstellung einer mittelfristigen Wettervorhersage mit einem Prognosenzeitraum über vier Tage werden also Berechnungen durchgeführt, die für jeden Punkt des Prognosengebietes eine Serie von folgenden vier Werten liefern: (Hi, H2, H3, T)

Für den Prognosenzeitraum 16. bis 21. April 1958 ergab zum Beispiel die Berechnung für den „Gitterpunkt Wien“ nachstehende Wertefolge: (135, 140, 142, 3)

Diese mathematisch, also vollkommen objektiv gefundene Zahlenreihe bedeutet:

Im Zeitintervall vom 16. April, 00.00 Uhr bis 17. April, 00.00 Uhr, lag die 850-mb-Fläche über Wien 1350 m über dem Meeresspiegel. (Die Null wird in der Praxis weggelassen, das heißt, es wird mit Dekametern gerechnet.)

In der Zeit vom 17. April, 13 Uhr, bis 18. April, 13 Uhr, war eine Hebung der 8 50-mb-Fläche bis 1400 m und vom 17. April, 13 Uhr, bis 20. April, 13 Uhr, bis 1420 m zu erwarten. Der Wert 3 bedeutet, daß auch die bis 21. April, 13.00 Uhr, reichende mittelfristige Tendenz ein weiteres Anheben der 850-mb-Fläche über Wien um durchschnittlich weitere 30 m erwarten ließ.

Wien lag am 16. April im Zentrum eines Tiefdruckgebietes, das Wetter war schlecht, regnerisch und sehr kalt. Nach der Berechnung war Auffüllung des Tiefs, also Wetterbesserung und Erwärmung zu erwarten, zumal auch die übrigen Gitterpunkte im Tiefbereich ein ähnliches Rechenergebnis hatten., In der Prognose fand sich daher unter anderem folgende Formulierung: „Im allgemeinen aber wesentlich freundlicheres Wetter als in den letzten Tagen. Temperaturzunahme in allen Höhen.“

Zur Überprüfung dieser Prognose sei der eingetroffene Wetterzustand und die Tageshöchsttemperatur vom 17. bis 21. April 1958 in Wien in nachfolgender Tabelle angegeben:Wetterzustand T p'It'

1-71 April . regnerisch 6,2 Grad

18. April stark bewölkt 9,2 Grad

19. April wechselnd bewölkt 12,7 Grad

20. April wechselnd bewölkt 16,0 Grad

21. April zeitweise sonnig 18,0 Grad Das Wetter in Wien wurde also im Vorhersagezeitraum wirklich freundlicher, und die Temperatur stieg beträchtlich an. Die nach Vorliegen der Messungen im nachhinein berechnete Wertefolge war:

(135, 145, 148, 6)

Der Vergleich zwischen berechneten und wirklichen Werten ergibt, daß die fortschreitende Hebung der 8 50-mb-Fläche über Wien richtig erkannt, die Entwicklungsrichtung also gut erfaßt worden war. Die Intensität des Vorganges war aber in Wirklichkeit noch stärker, als die Vorausberechnung erkennen ließ.

Natürlich kann man auf einen einzigen Punkt allein keine Prognose aufbauen. Es wurden daher für Europa und dem Nordatlantik 86 Punkte ausgewählt und für jeden dieser Punkte werden die Wertefolgen

(Hi, H2, H3, T) berechnet. Man erhält dann vier Karten, die folgende Bezeichnung erhielten:

Karte Hi: Ausgangslage

Karte H2: Vorhersage

Karte H3: Erweiterte Vorhersage

Karte T: Weitere mittlere Änderung.

In allen Karten werden Isolinien (Linien gleicher Höhe der 850-mb-Fläche) eingezeichnet. Diese geben an, ähnlich wie die Schichtenlinien in der Landkarte, an welcher Stelle sich die 850-mb-Fläche aufwölbt (Hoch) und wo sie sich senkt (Tief). Man erhält also eine Folge von vier Karten, mit deren Hilfe man die Entwicklungsrichtung der Großwetterlage bestimmen kann.

Der große Vorteil der beschriebenen und praktisch nun schon durch vier Jahre erprobten Methode liegt in der weitgehenden Objektivierung des Arbeitsvorganges. Es ist gelungen, langjährige meteorologische Erfahrungen in ein mathematisches System zu fassen. Die berechneten Karten, auf die sich die Vorhersage begründet, sind nicht das Ergebnis spekulativer Überlegungen, sondern ein Rechenergebnis. Persönlich-subjektive Störungsfaktoren sind bei der Herstellung der Vorhersagekarten weitgehend ausgeschaltet.

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