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Der Schuß in die Mondfabeln

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Die Schriftleitung der „Furche“ hat mir dankenswerterweise schon zweimal Gelegenheit gegeben, zu den Problemen der Weltraumraketen Stellung zu nehmen: einmal im Frühjahr 1958, als zwei der russischen großen und der eine oder andere kleine der amerikanischen Erdsatelliten gestartet waren, sodann im März dieses Jahres, als der erste Lunik dicht am Monde vorbei ins Planetensystem flog. Seitdem sind zwei weitere gleichartige mit bestem Erfolg lanciert worden. Was haben die drei kosmischen Laboratorien an Erkenntnissen gebracht?

Lunik I war in 5000 km Abstand am Mond vorbeigeflogen. Mißgünstige hatten damals behauptet, die Russen hätten keinen Erfolg gehabt, das Ziel sei der Mond selbst gewesen. Heute sehen wir klar: jeder der Luniks hatte Spezialaufgaben und Instrumente und bekam eine entsprechende Bahn. Lunik I diente gewissermaßen einer ersten Orientierung, hatte keine photographischen Einrichtungen, wohl Strahlungsmeßgeräte aller Art, Magnetometer usw. Er sollte also weder um den Mond, noch auf den Mond fliegen Lunik II wurde bewußt auf die Mitte des Mondes gezielt. Wieder hatte er ein Magnetometer an Bord und ein Echolot, um die Unterlagen für die letzten Phasen der Bahn genau zu erfassen. Zeit und Ort des Aufschlages auf dem Mond konnten optisch und radioastronomisch ermittelt werden. Lunik III hatte als eine Hauptaufgabe die Photographie der Rückseite des Mondes.

Das Ganze heißt aber: die Russen sind heute in der Lage, sowohl nach „links — rechts" wie nach „oben — unten" die Richtung der Raketenbahn auf ein Promille genau einzusteuern. Noch größer ist die relative Genauigkeit der Geschwindigkeitssteuerung, die beim Abschluß der Antriebszeit erreicht wird. Diese, etwa 11,1 km sek„ mußte beim Lunik III auf einige Meter je Sekunde genau die richtige sein, das heißt auf Bruchteile von Promillen. Es war vor zwei Jahren kaum zu erwarten, daß sich diese Präzision würde erreichen lassen. Die Genauigkeit der amerikanischen Raketen beträgt nur 1 bis 3 Prozent. Zudem beträgt ihr Gewicht nur etwa ein Zehntel der russischen Raketen. Man bekommt den Eindruck, daß der Vorsprung der Russen auf diesem Gebiet heute eher größer als kleiner ist als vor zwei Jahren.

Das hat leider auch eine große militärische Bedeutung. Per erste Sputnik hatte bereits be-

wiesen, daß man jeden Punkt der Erde mit Kampfraketen erreichen kann. Heute ist aber die Treffgenauigkeit gewaltig gesteigert. Bei 10.000 km Zielweite sind 3 Prozent 300 km, 1 Promille aber 10 km.

Aus den wenigen bis heute bekannten Angaben läßt sich für die Bahn des Lunik III die Abbildung 1 entwerfen. Beim Start hatte er eine Geschwindigkeit von etwa 11,1 km sek., die sich, den Gesetzen der Mechanik entsprechend, rasch verkleinerte und in Mondnahe nur noch unter 1 km sek. betrug. Lange bevor Lunik III den Mond erreichte, begann schon dessen Schwerkraft die ursprüngliche Bahn zu deformieren, so daß später das kosmische Laboratorium in einer mäßig breiten Elipse mit etwa 15 tägiger Umlaufszeit um die Erde (also nicht um den Mond herum) weiterzog. Als die Rakete um den 20. bis 27. Oktober wieder zweimal die Mondbahn kreuzte, stand dieser auf der anderen Seite der Erde, hatte also nur geringen Ein-

fluß. Das ist anders um den 5. bis 12. November. Dann wird die Bahn von Lunik III wieder stark gestört werden. Um wieviel, werden seine Funksignale ergeben. Nun erst werden unsere russischen Kollegen vorsichtige Schlüsse über sein weiteres Schicksal ziehen können.

Die Konstruktion der technischen Geräte, mit denen die Aufnahmen erfolgten, verdient höchste Anerkennung. Bekanntlich wurden die Aufnahmen an Bord des Laboratoriums entwickelt, und erst viel später über eine Fernsehapparatur zur Erde gefunkt. Durch eine genügend feine Rasterung des Fernsehgerätes war dafür gesorgt, daß von den feinsten Details des Originalfilms (1 30 mm) nicht allzuviel verlorenging. Ob die Russen dabei — ähnlich wie für den Raketenantrieb und die Bahnsteuerung — Verfahren entwickelt haben, die der Westen noch nicht kennt? Die Photomaterialien bekamen ferner einen mehrere Zentimeter starken Bleischutz, damit die Filme unbelichtet von der kosmischen Strahlung im allgemeinen und vor allem von der tödlichen des Van-Allen-Gürtels blieben.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt wurden durch ein Signal von der Erde aus die Aufnahmen in Gang gebracht. Die Wahl dieses Momentes hing von der Brennweite der Kameras (20 und 50 cm), der Größe des belichteten Filmabschnittes (24X24 mm), von der Größe des Mondes und dem Abstand der Rakete von ihm und nicht zuletzt von der Mondphase (siehe Figur 2) ab. Aufnahmen zu machen, als das Laboratorium mit 7500 km dem Mond am nächsten war, hätte vielleicht eine begrenzte Landschaft in einem Teil der Rückseite gegeben, ohne daß es möglich wäre, ihre Lage relativ zur Vorderseite zu bestimmen. Das hätte vielleicht sensationellere Bilder ergeben als die jetzt veröffentlichten, hätte aber wissenschaftlich kaum Wert gehabt. So wartete man einige Stunden, bis die Rakete 60.000 bis 70.000 km vom Mond entfernt war. Dann konnte die Mondscheibe aufgenommen werden. Auf den Originalfilmen war bei dem 20-cm-Objektiv das Bild etwa 11 mm groß. Die Bilder des Mondes mit der 50-cm-Kamera sind mit 29 mm Durchmesser schon größer als der Bildausschnitt, gebtn also nur Teile des Mondes, sind aber für die Vermessung besonders wichtig.

Um die bisher veröffentlichten Photos richtig zu bewerten, müßte man sich zum Vergleich einmal unseren Begleiter zwei bis drei Tage nach Vollmond in einem Prismenglas mit höchstens sechsfacher Vergrößerung ansehen. Dann sind auch kaum Krater oder dergleichen in der Mitte der fast gleichförmig hellen Scheibe zu sehen. Der wahre Mondjiurchmesser ist etwas kleiner als der von Australien; der durch mehrfaches Umkopieren auf den Pressephotos unnatürlich dunkle Fleck des „Mare Moskau" ist etwa so groß wie die Schweiz. Es hat sein Gegenstück in der Wallebene des „Grimaldi"nahe dem Ostrand der Vorderseite. Die Kette der „Apenninen“ und „Alpen“, die der Feldstecher erkennen läßt, entspricht dem „Sowjetgebirge". Der auch bei Vollmond im Doppelglas so markante „Krater Tycho"hat sein Analogon im „Krater Tsielkowsky“ usw.

Da die Meinung der Fachwelt nunmehr bestätigt worden ist, daß die Rückseite des Mondes nicht anders strukturiert ist als die uns schon lange bekannten 59 Prozent, fragt man sich: Welche Aufgaben liegen nun vor? Den Amerikanern würde man es gönnen, wenn sie ähnlich mit einem Labor die Rückseite des Mondfes photographieren könnten, um sich dann auch dort mit einigen Bergnamen zu verewigen, was wissenschaftlich bedeutungslos, aber menschlich verständlich ist. Am interessantesten wären wohl zunächst Aufnahmen von der Art, daß jeweils ein bis zwei Drittel des Bildes Teile der Vorderseite des Mondes erfassen, um so die Vermessungsgrundlagen sowohl für das Neuland als auch für die Randpartien der Vorderseite zu schaffen. Prof. Dr. G. S c h r u t k a von der Wiener Universitätssternwarte hat in den letzten Jahren in gründlichster Detailarbeit die jeweils drei Koordinaten von 150 Punkten der Vorderseite ermittelt. Wir werden hoffentlich bald die von der Lick-Sternwarte in Kalifornien erbetenen Platten für die Erweiterung dieser Arbeit bekommen — die sich, wie jede echte wissenschaftliche Forschung, über Jahre erstrecken wird. Erst wenn solche Grundlagen geschaffen sind, wird sich zusammen mit der Auswertung von Raketenaufnahmen die Frage nach der voraussichtlich äußerst geringen Abweichung der geometrischen Figur des Mondes von einer Kugel klären lassen. Aus der Dynamik der Mondrotation weiß man schon seit 150 Jahren, daß die Längenunterschiede der sogenannten Hauptträgheitsachsen des Mondes unter 100 m liegen, bei der Erde sind es rund 21 km. Für die Fragen der Entstehung des Mondes ist all das natürlich wichtig.

Hierzu hatte aber, gewissermaßen in seiner Todestunde, der Lunik II einen wesentlichen Beitrag gebracht. Nach seinen Messungen hat der Mond keinerlei Magnetismus. Das heißt aber, er muB seiner Struktur nach anders sein als die Erde, zum Beispiel nur sehr wenig Eisen besitzen, vor allem kann er kein Abkömmling der Erde sein. Von der Himmelsmechanik her weiß man das zwar schon seit 80 Jahren. Nichtkenner der Dinge vertreten aber immer noch derart überholte Ansichten. Bei künftigen Mondraketen wären aber weitere physikalische Forschungen — Photometrie, Polarimetrie, Kolorimetrie und anderes — wichtiger als das Erstellen einer genauen Karte der Rückseite des Mondes.

Daneben aber wünscht sich der Astronom vor allem Raketen, deren Meßkörper, für optische Erdbeobachtungen erreichbar, stabil, ihre Bahnen zwischen 10.000 und 100.000 km, die Erde umkreisen. Es würde zu weit führen, zu schildern, was sie alles an wissenschaftlichen Erkenntnissen liefern könnten, Beiträge zur Himmelsmechanik, Sonnenphysik, kosmische Strahlungsquellen aller Art usw. All das müßte dann aber niedergelegt werden in Zahlen. Formeln und Diagrammen, nicht aber als sensationelle Photos für die breite Masse.

Noch in ganz anderer Art sei den russischen Wissenschaftlern Lob gespendet. Der Statt des

Lunik III war der Beginn eines großen, langdauernden Experiments. Vor und während eines solchen redet der Fachmann nicht öffentlich über seine Pläne, das widerspricht seiner ganzen Haltung. Gewiß hat man irgendwo in dem weiten Gebiet der Sowjetunion erst viele Vorversuche gemacht» ja vielleicht auch Fehlstarts erlebt. Darüber öffentlich zu berichten ist ebenso überflüssig wie über mißlungene andere physikalische Versuche. Die amerikanischen Raketentechniker sind nur zu bedauern, daß jede ihrer Pannen an die große Glocke gehängt wird.

Eine erfreuliche Genugtuung haben die Sputniks und Luniks mehrfach dem ernsten Fachmann gebracht: das Zerschlagen so mancher Phantasien, mit denen die Publizistik breiteste Leserschichten benebelt hat. Der erste Sputnik zerstörte die „Hohlwelttheorie", die seinerzeit von einigen nationalsozialistischen Größen sehr gefördert wurde, aber 1957 noch nicht ganz gestorben war. Amerikanische und russische Raketen entdeckten den Gürtel der Van-Alien- Strahlung, womit alle bisherigen Pläne einer mit Menschen besetzten „Außenstation“ erledigt sind. Man weiß schon lange: ein winterlicher Schneesturm in der Antarktis ist einem Mailüfteri vergleichbar, angesichts der Verhältnisse auf der Vorderseite des Mondes. Lunik III hat gezeigt, daß es, wie zu erwarten, auf der Rückseite nicht anders ist.

Oesterreichs Bundespräsident weilte kürzlich vierzehn Tage in Rußland. Bei der Landung in Schwechat nach der Rückkehr betonte er den großen Fortschritt des Landes im Vergleich zu seinem Besuche von 1955. Aehnlich klangen die Berichte zahlreicher Journalisten, die ihn begleitet hatten, insbesondere der Rundfunkkommentar des Bundespressechefs Prof. Vinzenz Ludwig Ostry. All das deckt sich mit meinen Erlebnissen 1958 anläßlich des großen internationalen Astronomenkongresses, bei dem vor allen Dingen die mehr ąls 200 amerikanischen Kollegen die Sowjetunion anders sehen lernten, als ihre Propaganda sie bisher gezeigt hatte.

Nach wie vor wird man das politische System und seine Ideologie unbedingt ablehnen, vor allem seinen materialistischen Antitheismus. Man darf aber nicht die Augen verschließen vor den großartigen Leistungen des Volkes. Mit den Sputniks und Luniks sind sie dem Westen weit voraus; m Atomphysik und Astronomie, im Funkwesen, in Optik und Feinmechanik und im Bau von Kraftwerken sind sie dem Westen ebenbürtig. Dieser bedarf aller Anstrengung, um nicht überholt zu werden. Und wir im kleinen Oesterreich?

Wie in den Redaktionen neben den vorgebildeten Kunstkritikern der Physiker und Techniker zur Auswirkung kommen muß, so müssen unser Parlament und die Parteien endlich ernst machen mit der Pflege der Wissenschaft und so die Bemühung des Bundesministeriums für Unterricht zu einem Erfolg führen. Ein Beispiel mag die Lage kennzeichnen. Bundespräsident Schärf besichtigte auch die große Staatssternwarte in Pulkowo bei Leningrad (wobei, wie ich erfuhr, der Leiter Prof. Michailow sehr lobend unserer Arbeit gedachte). Um 1880 war das Wiener Institut mit einer Gesamtbelegschaft von zwanzig Personen eines der größten der Erde. Pulkowo hatte etwa ebenso viele. Heute haben wir fünfzehn, Pulkowo aber, das im letzten Kriege völlig zerstört worden war, ist glänzend erstanden mit mehr als 400 dort Beschäftigten, darunter mehr als 100 Akademiker, wozu noch zwei Außenstationen mit je 100 Angestellten kommen. Jede der etwa 20 russischen Sternwarten ist heute moderner ausgestattet als die Wiener, geschweige denn die Grazer und Innsbrucker. Gewiß können wir in Oesterreich nicht im entferntesten Aehn- liches verlangen. Aber Oesterreichs Ansehen und auch die Leistung seiner Wirtschaft wird rapid zurückgehen, wenn nicht endlich unsere Laboratorien und Institute ganz anders gefördert werden als seit Jahren.

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