6631481-1956_40_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Schatz der „Weißen Mönche“

Werbung
Werbung
Werbung

Den Lesern der „Furche“ sind die vielbesprochenen Handschriftenfunde vom Toten Meer aus den Aufsätzen von Prof. K. Schubert wohlbekannt. Aber keiner von ihnen war wohl auf die phantastische Nachricht gefaßt, die Anfang Juni dieses Jahres der Oeffentlichkeit bekanntgegeben wurde.

Am 20. März 1952 fand die wissenschaftliche Expedition, die das Gebirge und die Schotterterrasse am Toten Meer in der Umgebung der bis dahin bekannten Fundstätten systematisch absuchte, unter anderem auch zwei zusammengerollte Streifen aus Kupferblech, deren Außenseite die Spuren einpunzierter Schriftzeichen trug. Die nähere Untersuchung ergab, daß die beiden Stücke einst zusammengehört hatten. Man hatte drei Bleche aneinandergenietet, so daß sie einen langen Streifen bildeten (240 X 30 cm). Diesen hatte man, gleich den Lederstreifen der anderen Handschriften, in Kolumnen abgeteilt und beschrieben. Die Rolle war dann aber zu gewichtig geworden, so daß man eine Nietenreihe wieder entfernte und zwei Rollen herstellte.

Da Kupfer auch m alten Zeiten ein teures Material war und das Einschlagen der Schriftzeichen eine langwierige Arbeit gewesen sein muß, war es von vornherein klar, daß diese Rollen einen wichtigen Text trugen. Die Finder rechneten zunächst mit einer Grundregel oder Hausordnung, von der man annahm, daß sie im Ordenshaus angeschlagen gewesen sei. Leider widerstanden die Rollen allen Versuchen, sie zu öffnen. Das Kupfer war brüchig und spröde wie Glas geworden. Es wäre beim Aufrollen in den Händen zerbröckelt. So kamen die Rollen in eine Glasvitrine des Rockefellermuseums in Jerusalem, ein interessantes Schaustück, aber nicht mehr. Dort sah sie im Herbst 1953 Professor K. G. Kuhn (jetzt Heidelberg). Er begnügte sich nicht damit, sie oberflächlich zu betrachten, sondern kopierte, was er auf der Rückseite der Rollen an Buchstaben erkennen konnte, so daß er etwa den Text einer Kolumne von jeder erhielt. Was er entziffern konnte, stimmte nun gar nicht zu der Annahme, daß hier eine „Regel“ oder ein Gesetzestext vorliege. Er fand viele Zahlen, anscheinend Maße und Wertangaben oder Preise. So vermutete er, daß es sich um ein Verzeichnis von Verstecken mit genauer Angabe der Maße und Oertlichkeiten handle. Man hatte es nach seiner Meinung auf die Kupferrolle geschrieben, um es so besser vor Zerstörung und zufälliger Beschädigung zu schützen. Seine Ausführungen fanden nicht viel Glauben. Erst heuer wurde seine These glänzend gerechtfertigt.

Die ungeöffneten Rollen hatten die Wissenschaft doch nicht ruhen lassen. Man brachte sie schließlich ins Manchester College of Technology. Dort gelang es Prof. H. W. Baker, die Rollen zu öffnen und den gesamten Inhalt lesbar zu machen. Die Stücke wanderten nach Jerusalem zurück. Gespannt wartete die wissenschaftliche Oeffentlichkeit auf die Publikation des Textes. Sie wurde in einer Art und Weise überrascht, die niemand für möglich gehalten hatte. Am 31. Mai 1956 wurde bekanntgegeben, daß die Rollen eine Liste von Schätzen enthalten, die an verschiedenen Stellen in Palästina versteckt sein sollen. Es handelt sich neben wertvollen Hölzern und Weihrauch um nicht weniger als 20O Tonnen Gold und Silber. Der Wert wird mit mindestens 5,320.000 Dollar, höchstens 204,000.000 Dollar angegeben.

Professor Kuhn hat also mit seiner Annahme, daß es sich um eine Liste von Verstecken handle, recht behalten; ob er auch weiter recht behalten wird? Ihm scheint es, daß der Text wahre und richtige Angaben enthält, während andere geneigt sind, ihn als ein Märchen abzu-tun. Man muß freilich auch das verstehen. Die wenigen bisher bekannten Textproben könnten aus 1001 Nacht oder aus einem Seeräuberroman stammen, so abenteuerlich klingen sie. „In der Zisterne, die unter der Rampe liegt, an der Ostseite, in einer Felsenhöhlung: 100 Barren Silber“, „... Nicht weit davon, unter der Südecke der Vorhalle von Sadoqs Grab, und unter den Pilastern in 1er Exedra, ein Gefäß Weihrauch in Pinienholz und ein Gefäß Weihrauch in Kassiaholz ...“, „... In der Grube nahe dabei, nördlich, nahe den Gräbern, in einem Loch, das sich nach Norden öffnet, liegt eine Kopie dieser Rolle mit Erklärungen, Maßen und allen Einzelheiten“.

Mehr ist bisher nicht bekannt und wird wohl auch auf längere Zeit nicht veröffentlicht werden, um nicht alle Beduinen Palästinas und noch Hunderte anderer Schatzgräber auf die Suche zu schicken. Es geht dabei weniger um die Gold- und Silberbarren, als um die Unruhe in dem geteilten Land und um den Schaden an wissenschaftlich wichtigen Funden, den solche Schatzgräber anrichten. Ist es doch jetzt schon ein Schmerz der Forscher, daß immer noch Handschriftenteile aus den Toten-Meer-Funden in den Händen der Beduinen sind und ihnen mit immensen Summen abgekauft werden müssen.

Die angegebenen Verstecke liegen verstreut in einem Raum, der etwa durch Hebron im Süden und den Berg Garizim im Norden abgesteckt ist; das ist immerhin eine Entfernung von etwa 80 Kilometer. Der Raum ist durchschnitten von der israelisch-jordanischen Grenze. Wenn es hier auch weniger Zwischenfälle gibt als am See Genezareth oder im Raum von Gaza, so könnten sie doch gerade durch solch eine Schatzsuche hervorgerufen werden. Gold und Silber, das in Beduinenhände fiele, käme auch niemals mehr zu Tage. Sie brauchten es selbst viel zu sehr. Man wird aber auch darauf verzichten müssen, von wissenschaftlicher Seite Grabungen durchzuführen. Wer soll nach 2000 Jahren die Stellen identifizieren? Wer soll die Mittel für ein so vages Unternehmen aufbringen? Gold und Silber in Barren würde ja nur den Appetit der beiden Staatsbanken reizen, ohne irgend welche wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln.

Bei allen Zweifeln wird man sich doch vor Augen halten müssen, daß die Leute von Qumrän nicht Mühe und Kosten für die Beschreibung solch einer Kupferrolle aufgewendet hätten, hätten sie nicht für wahr gehalten, was sie aufschrieben. Man fragt danach, wo die erheblichen Werte hergekommen sein sollen. Darauf lassen sich mehrere Antworten geben. Die eine weist darauf hin, daß die als ehrlich und zuverlässig bekannten Essener Gelder von anderen in Depot genommen haben könnten. Diese Antwort hat den einen Fehler, daß die Identität der Qumrän-Gemeinde mit den Essenern nicht über alle Zweifel erhaben ist, wenn sie auch einige Wahrscheinlichkeit hat.

Aber die Gemeinde selbst dürfte eine mindestens zweihundertjährige Geschichte gehabt haben. Wie aus den Texten bekannt ist, mußte jeder Eintretende sein Vermögen der Gemeinschaft übergeben. Manche mögen arm gekommen sein, aber doch nicht alle. Jeder Kenner der sozialen Verhältnisse im Altertum weiß, daß es neben einer großen Masse Armer einzelne mit sehr erheblichem Vermögen gab. Es ist kaum anzunehmen, daß von diesen abgelieferten Summen viel verbraucht wurde. Die Erträgnisse der Landwirtschaft und der eigenen Werkstätten sowie das Arbeitseinkommen derer, die nicht im Ordenshaus lebten, genügten wohl für die einfache und strenge Lebensweise ' der Ordensglieder. So mußte das Ordensvermögen in den 200 Jahren sich stetig vermehren. Auch der Bau des Ordenshauses braucht keine großen Kosten verursacht zu haben, da man das Baumaterial an Ort und Stelle und alle Facharbeiter in der eigenen Gemeinschaft hatte. Noch eine andere, wenn auch unbeweisbare Möglichkeit besteht. Die Ordensleute traten politisch für die Herrschaft der „Sadeqiden“, jener alten hohenpriesterlichen Familie ein, die mit dem Zweig der Oniaden bis um 170 v. Chr. das Hohepriesteramt innehatte. Nur durch einen Gewaltstreich des Seleukidenkönigs Antiochus IV. und seiner Jerusalemer Kollaborateure verlor sie es an ihre innenpolitischen Gegner, die Tobiaden, die wieder im Befreiungskrieg durch die Hasmonäer, eine Familie aus dem niederen Priesteradel, verdrängt wurden. Auf mancherlei Beziehungen zwischen dem Orden und den Oniaden wird immer wieder hingewiesen. Obwohl keine unserer Quellen davon berichtet, wäre es nicht unmöglich, daß in der Zeit der Wirren Teile des sehr erheblichen Tempelschatzes versteckt wurden und den Grund für das Vermögen des Ordens legten?

Diese Ausführungen beruhen auf Material, das mir durch die Freundlichkeit der Professoren K. G. Kuhn in Heidelberg und H.H. Rowley in Manchester zugekommen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung