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Die Taufsteinkrone von St. Stephan

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Im Frühjahr 1946 fand ich in dem Schalldeckel der Berühmten Pilgram-Kanzel unseres Domes die Krone des Taufsteins in der Katharinen Kapelle wieder und rekonstruierte sie in den Grundzügen. Während der folgenden zwei Jahre hat dann Alois Sch imann die echten . spätgotischen Teile aus den neugotischen und barocken Hinzufügungen des Schalldeckels befreit, an allen Teilen unter mehrfachem Anstrich die Reste der alten Fassung sorgfältig freigelegt und endlich die Krone wieder zusammengefügt. So konnte nach 300jähriger Trennung im Sommer dieses Jahres Stein und Deckel wieder vereinigt stehen und das schönste gotische Tauf werk Europas dem Stephansdom als kleiner , aber ebenbürtiger Ersatz für das verbrannte Chorgestühl wiedergegeben werden.

Im kommenden Jahr wird ein Buchwerk dieses neue Hauptdenkmal unserer mittelalterlichen Skulptur in die Kunstgeschichte einführen und über Entstehung, Schicksal und Restaurierung ausführlich berichten. Da aber seit der ersten Nachricht von dem Fund da und dort Zweifel ausgesprochen wurden, die auch in dem Katalog der Ausstellung St. Stephan im österreichischen Museum nicht ganz überwunden sind, ergreife ich diese Gelegenheit, die Gründe darzutun, die zu der Einsicht von der Zusammengehörigkeit von Stein und Krone geführt haben.

Die Krone gehört stilistisch, als typisches Werk von zirka 1470 bis 1480, sehr wohl mit dem 1476 bestellten, 1481 vollendeten Taufstein zusammen, nicht aber mit der um 1515, also um volle-40 Jahre späteren Kanzel Anton Pilgrams, wie das bisher angenommen worden war. Diese Erkenntnis ist nunmehr, nach der Freilegung der Reliefs und Plastiken auf die alte Fassung, für jeden Kundigen evident. Als auch dem Laien leicht erkennbar sei nur die typische Tracht der Schongauer-Zeit etwa bei der Darstellung des Ehesakraments hervorgehoben.

Die Schnitzereien in der Deckelkrone weisen ferner auf Grund ihres Stils eindeutig weder auf einen Wiener noch, wie angenommen wurde, auf einen schwäbischen Schnitzer hin, sondern sind salzburgisch, wie an anderer Stelle genauer zu zeigen sein wird. Der Taufstein aber ist urkundlich bei einem Salzburger Meister, Ulrich Auer, bestellt.

Die Größen von Stein und Deckelkrone stimmen auf das genaueste überein. Beide stoßen am oberen Beckenrand mit einem Vierzehneck von gleich konkavgebogenen Seiten von der gleichen Länge 32 Zentimeter zusammen. Die seltene Form des Vierzehnecks, erst recht aber die gleiche Seitenkrümmung und die exakt übereinstimmende Seitenlänge schließen jeden Zufall aus.

Die Maßgröße mit dem Fußmaß von genau 32 Zentimeter Länge bestimmt sowohl die Größe des Steins als des Deckels. Zusammen sind sie genau 16 Fuß hoch.

Die Proportionen des Risses sind teils aus dem goffienen Schnitt, teils aus der Quadratur abgeleitet. Auch das Verhältnis von Becken und Krone sowie der einzelnen Teile beider wurde auf gleiche Weise festgelegt.

Da ikonographische Programm von Stein und Deckelkrone bildet eine unlösbare Einheit, die wir auch von anderen Taufbecken kennen. Auf dem Fundament der Evangelisten stehen in der Hauptzone des Steinbeckens Christus mit den zwölf Aposteln und der heilige Stephanus. Die Inschrift des Randes enthält die Einsetzung der Taufe nach dem Markus-Evangelium. Darüber, auf der unteren Zone der Deckelkrone, sind, ähnlich wie auf mehreren erhaltenen Taufsteinen — etwa dem in Reutlingen —=, die sieben Sakramente wiedergegeben. Auf der Spitze der Deckelkrone ist endlich die Taufe Christi als Prototyp dargestellt — die normale Bekrönung so vieler Tauf deckel.

Die Holzteile der Deckelkrone zeigen über der alten Kreidegrundierung, die zumeist noch erhalten ist, an vielen Stellen am deutlichsten in der Wappenzone unter der Kreuzblume Reste der alten farbigen Fassung, und zwar einer Marmorierung, die sich dem Adneter Marmor des Steines angepaßt hat: eine ganz außergewöhnliche und nur aus der Zusammenstimmung des Beckens erklärliche Farbigkeit.

Der Stein des Beckens ist urkundlich 1476 datiert, der Deckel aber inschriftlich ebenso 1476. Von der Bestellung des Werkes im Frühjahr des Jahres 1476 geben uns die Kirchenmeisterrechnungen von Uhlirz publiziert, von mir im Original überprüft folgende Nachricht: „Ausgeben auf den Taufstain, so mein herren burgermaister richtet und ettlich herren des rats an maister Ulreichen Auer zu Salczpurg umb 400 Rheinisch gülden ausgedingt haben.“ Die Arbeiten am Steinbecken haben fünf Jahre gedauert. Der Schluß seiner Randinschrift lautet: „completum est lapidis opus 1481“: Die Arbeit am Stein wurde 1481 vollendet. Der Deckel aber zeigt an dem vierzehneckigen, mit Reliefs gezierten Sockelring unter dem sechsten und siebenten Sakrament breite Schriftbänder, deren eines die Inschrift „anno dni“, das letzte aber die Reste der Jahreszahl 1476 erkennen läßt: und zwar die letzte Ziffer 6 vollständig deutlich, die vorletzte Ziffer 7 verblaßt, doch noch gänzlich lesbar und die erste Ziffer 1 in Resten. Ehe Stelle, an welcher die 4 stand, ist seit langem ausgebrochen; dieses Stückchen des Schriftbandes ist um 1880 bei der Erlerschen Restaurierung recht steif ergänzt Worden. Da eine Deutung auf 1376 oder 1576 sich aber stilistisch von vornherein ausschließt, ist die gleiche Datierung 1476 für die Stiftung von Stein und Deckel ein weiterer Beweis für ihre Zusammengehörigkeit. Ich nehme der Gewohnheit jener Zeit entsprechend an, daß es sich bei dem Datum um das Stiftungsjahr handelt und nicht um das Jahr der Vollendung des Deckels, doch wäre es immerhin möglich, daß der Deckel schneller fertig geworden ist als der Marmorstein, dessen Bearbeitung fünf Jahre in Anspruch nahm. Da die Bestellung im Frühjahr erfolgte, könnte die Schnitzerei der Krone im Jahre 1476 immerhin fertig geworden sein. Übrigens: Da in dem Katalog der Ausstellung Sankt Stephan sich die Angabe findet, die Datie- rungsinschrift 1476 sei während der Restaurierung noch leserlich gewesen, jetzt aber nicht mehr lesbar, demnach offenbar durch die weitere Restaurierung verdorben worden, erkläre ich ausdrücklich, daß ich bei der Abdeckung dieser wichtigen Stelle im Frühjahr 1946 mit mehreren anderen Zeugen, so Richard Eybner und Hans Olden, Augenzeuge gewesen bin und daß damals von der Datierungsschrift genau so viel zutage kam, als heute noch jedermann sehen und lesen kann.

Der Deckel zeigt eine alte Aufziehvorrichtung: nämlich die durch die ganze 3,75 Meter hohe Turmachse gehende Lochführung für eine Tragstange, welche an einer Aufziehkette befestigt war und wieder so eingerichtet wird. Eine Aufziehvorrichtung dieser Art ist für Taufdeckel selbstverständlich, für einen Schalldeckel aber sinnlos, da dieser nicht axial von oben, sondern seitlich von einem Pfeiler gehalten wird.

Als letztes Argument ist aber endlich die mir erst während der Arbeit gewordene Einsicht anzuführen, daß es gotische Schalldeckel überhaupt nicht gibt. Auf allen spätgotischen Kanzeln ist jahrhundertelang ohne irgendwelche Bekrönung gepredigt worden. Im nachhinein ist das auch geistig und religiös zu begründen.

Ich glaube, daß diese inneren und äußeren Gründe hinreichen dürften, um auch den kunsthistorisch Nichtgeschulten von der Einheit des wiederhergestellten Werkes zu überzeugen. Es wird solcher ausführlicher Argumente nicht mehr bedürfen, wenn das Denkmal an seiner alten Stelle im Dom für jedermann sichtbar sein wird, denn der Augenschein überzeugt an sich.

So sei nur noch kurz das Schicksal des Wiener Taufwerkes aufgezeichnet. Von den Herren von Wien 1476 auf Grund einer von Nürnberg eingeholten Visierung bei Meister Ulrich Auer in Salzburg bestellt, ist es 1481 vermutlich auch mit dem Deckel vollendet gewesen und unweit des Lettners aufgestellt worden. 1639 wurde der. Taufstein in die Katharinen-Kapelle versetzt; bei dieser Gelegenheit wurde die Krone von ihm getrennt. Sie war 1652, mit einem unteren Schalldach versehen, bereits als Schalldeckel in Verwendung, wovon bis gegen 1880 eine Wappenkartusche mit dem Namen Kaiser Ferdinands II und jener Jahreszahl Kenntnis gab. Damals also wurde dem neuaufkommenden Brauch, Kanzelbekrönungen zu schaffen, nachgebend, die Taufkrone umgebaut und versetzt wofür sich übrigens in England ein ganz analoges Beispiel erhalten hat. Während der Stein nach einer Aufenthaltszeit in der Eligius- Kapelle in die Katharinen-Kapelle unter den hohen Turm zurückgekehrt ist, hatte der Deckel vermutlich am Ende des 18. Jahrhunderts schon, dann aber besonders 1880, unter Schmidt und Erler, eine Restaurierung zu überstehen. In der Meinung, den alten echten Zustand des gotischen Schalldeckels wiederherzustellen und barocke Zutaten zu entfernen, wurde damals in Wirklichkeit ein richtig neugotisches, akademisch kaltes Gebilde geschaffen — glücklicherweise unter Wiederverwendung der erhaltenen gotischen Fragmente. Die Schwebefiguren über den Reliefs wurden teils bäuchlings am Schalldeckel hängend, teils an einem-euen Zwischensotkel oben an den Kanten befestigt. Der Sockelring der Krone mit seinen köstlichen Miniaturschnitzereien wurde nach unten an den Schalldeckel montiert, wie es schon die Barockzeit gemacht hatte, und schließlich hat Erler eine Reihe von Statuetten hinzugefügt. In diesem Zustand, das Ganze unter argem Ölanstrich, ist das Werk bis zum letzten Krieg geblieben und in der Literatur als Schöpfung der Zeit Pilgrams um 1515 bis 1520 angesehen worden.

Anlaß unserer Wiederentdeckung wurde der Versuch, die zum Teil beschädigten Stücke des Deckels wieder zum bisherigen Zweck zusammenzufügen. Es würde zu weit führen, davon zu erzählen, wie ich schrittweise zu der Entdeckung kam und welch interessante Nebenresultate sich zum Teil dabei ergaben: etwa die Wiederfindung der ersten Domkanzel aus dem Jahre 1450 in der sogenannten Kapistrankanzel oder die Erkenntnis des bisher für spätgotisch gehaltenen Lettnerkreuzes als Hauptwerk unseres Frühbarocks: denselben Zeit, die dank ihrer gegenreformatorischen Liebe zur Gotik uns auch die Taufbecken kröne erhalten hat, statt ein eigenes neues Werk zu schaffen. Jener geniale Kruzifixus, von dem der Brand 1945 nur Kopf und Hände überließ, ist Zeugnis einer Anlehnung an die Gotik schon dadurch, daß er die Forschung bis heute zu täuschen vermochte.

Wenn damit ein nach seinem künstlerischen Wert und nach seinem Typus gleich einzigartiges Denkmal unserem Dom und unserer Heimat wiedergeschenkt wurde — denn keine zweite Taufkrone überhaupt ist auf dem Kontinent aus jener Zeit erhalten und die englischen Beispiele reichen nach dem Rang der Plastik nicht entfernt heran —, wenn zugleich ein unschätzbares Zeugnis von dem hohen Sinn der Wiener Bürgerschaft uns wieder vor Augen steht, so ist dafür besonders dem Herrn Domkuraten und Geistlichen Rat Alois Pennal zu danken, der meine Arbeit in jeder Weise gefördert und den Auftrag an Alois Schi ma n n zur faktischen Wiederherstellung des Ganzen veranlaßt hat: endlich aber diesem selbst, der die reiche Erfahrung eines Restauratorenlebens, die Vorsicht eines alten Praktikers und die Liebe und Begeisterung eines Jungen in diese zweijährige mühevolle und verantwortungsvolle Arbeit gewendet hat. Die schöne Kapelle unter dem hohen Turm wird dank des Juwels, das sie nunmehr umschließt, ein Anziehungspunkt des Domes für jeden Kunstfreund sein.

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