6548632-1947_29_12.jpg
Digital In Arbeit

Der alteste Kirchenbau Österreichs

Werbung
Werbung
Werbung

Für den Einheimischen ist der Anblick des Martinskirchleins auf dem Römerberg in Linz in den letzten Jahren keine Freude gewesen. Auch an diesem alten Gotteshaus* hatte der Krieg seine Spuren hinterlassen. Das durch Bomben schadhaft gewordene Dach ließ Regen und Schnee ihr Zerstörungswerk auch im Kirchcninnern fortsetzen. Infolge der Sprengung, im Luftschutzstollen des Römerberges klafften im gotischen Rückengewölbe des Chores breite Risse. Vom Ausheben der Luftschutzbunker her lag an den Außenwänden viel Erdreich; so daß die Mauern immer ärger durdifeuchtet wurden.

Der Anblick war besonders schmerzlich, weil das Kirchlein auf historisch denkwürdigem Boden steht. Schon zur Zeit Kaiser Marc Aurels (161—180) bestand hier das Römerkastell Lentia. Da bereits im vierten Jahrhundert bei der römischen Lagerbesatzung und in der Bevölkerung des Landes das Christentum stark verbreitet war, darf man annehmen, daß hier Christen lebten und eine Kultstätte besaßen. Aus der Zeit der Völkerwanderung ist über Lentia nichts überliefert. Erst im Codex antiquissimus des Hochstift Passauschen Archivs, einem Kopial-buch aus dem 10. Jahrhundert, wird uns eine (im Original leider nicht erhaltene) Urkunde überliefert. Aus ihr geht hervor: Der Bischof Waldarich von Passau und Graf Kerold, Schwager Karls des Großen und Verweser Bayerns, kamen anläßlich einer nach der Besiegung der Awaren für das wieder zu christianisierende Gebiet östlich Passaus in Traisen bei St. Pölten abgehaltener Diözesansynode am 20. Juni 799 überein, daß Kraf Kerold die Martinskirche als Benefizium bekomme. „Hoc est in pago Trungouue in loco, cui vocabulum est Linzae, super magnum flumen Danubium id est ecclesia, que construeta est in honore saneti ac beatissimi Martini...“ — „im Traungau an einem Ort, der Linz heißt, über dem großen Donaustrome jene Kirche, die erbaut ist zu Ehren des heiligen und seligsten

Marianus, Bischofs und Märtyrers Christi.“ Im Larfe der Jahrhunderte ist natürlich an diesem Gotteshaus vieM umgebaut worden. Wie sich die Kirche noch vor wenigen Monaten dem Besucher zeigte, galt als ihr ältester Teil der spätgotische Chor. Alles andere, der 5.70 Meter breite und rund dreimal so lange Kirchenbau, schien etwa aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts zu stammen. Von einem karolingischen oder gar noch älteren Bau schien keine Spur mehr vorhanden.

Schon als Gotteshaus verdiente das Bauwerk wieder instand gesetzt zu werden, zumal an der gleichen Stelle einstmals eine Kirche als Zentrum der beginnenden Christianisierung . (Mondsee gegründet 746, Kremsmünster 777, Bischof Arno in Salzburg 798 zum Erz-bischof erhoben) gestanden war. Darum machte sich ein Kreis von Bewohnern der Pfarre St. Matthias, zu der die Martinskirche gehört, daran, dem drohenden Verfall Einhalt zu tun.

Kurz vor Ostern 1947 begannen die ersten Restaurierungsarbeiten. Am Karfreitag, 4. April, kam an der linken Seite des Triumphbogens unter einer mehrfadien Kalkschidit eine gotische Wandmalerei zum Vorschein, eine Madonna in faltenreichem Gewand, von einem Strahlenkranz umgeben, auf der Mondsichel stehend. An der Nordwand fanden sich Reste von Märtyrerdarstellungen, darunter die Marterung der hl. Katharina, an der Südwand Bruchstücke eines mehrteiligen Passionsgemälde. Die Entdecker dieser alten Kunstwerke, Glasmaler Josef R a u k a m p und Professor Alfred Stifter, verständigten den Landeskonservator Dr. Juraschek. Und nun begann die lange Reihe der Funde. Der Archäologe des Landesmuseums, Doktor Jenny, und der Prähistoriker Dr. Stroh stellten Untersuchungen an den Außenmauern und Fundamenten an. Am 19. April legte Architekt Reichhart Reste einer Nische frei; diese war durch den Ausbruch eines gotischen Fensters zerstört und von gotischer Malerei überdeckt — also vor-gotisch? Am 29. April sah man in einem Mauerloch ein Geigerlein hervorlugen. Eine Woche später war die Darstellung der hl. Kümmernis, zu der das bärtige Geigerlein gehörte, freigelegt (siehe Abbildung).

Das Kümmernisbild in der Martinskirche, das jetzt am 6. Mai 1947 freigelegt worden ist, wurde bereits wenige Jahrzehnte nach dem Entstehen der Legende von der damals viel verehrten Kümmernis, Ende des 14. Jahrhunderts, gemalt. An Funden aus der Zeit der Gotik kamen. weiter zutage: zwei Spitzbogenfenster, zwei vierpaß-gezierte Rundfenster, zwei Tore, 30 Zentimeter unter dem heutigen das gotische Ziegelpflaster. Wieder 10 Zentimeter tiefer fand man einen wahrscheinlich kafolingi-schen Stampfesstrioh, am 8. Mai zwei quadratische, 86 Zentimeter starke Pfeiler mit Kapitalen aus römischen Quadern, ohne Verbindung mit den anschließenden Wänden gemauert — also noch älter als der v o r g 6 t i s c h e Nischenbestand. Eine zeichnerische Zusammenfassung aller bisherigen vorgotischen Funde ließ ein planvolles Bausystem erkennen, dessen Grundmaße ein Pfeilerviereck angeben mußte. Die Hypothese bewährte sich in der Praxis: weitere Pfeiler und Nischen fanden sich genau dort, wo sie nach der zeichnerischen Rekonstruktion liegen mußten. Man hatte also den zwar durch spätere Umbauten, stark beschädigten, im wesentlichen aber erhaltenen Bau vor sich, wie er i m 8. Jahrhundert errichtet worden war: drei aneinandergereihte, ungefähr gleich große Würfel, gegliedert durch die jeweils 5.70 Meter überspannenden, auf den massiven Pfeilern ruhenden Bogen, zwischen je zwei Pfeilern drei Nischen.

Man fand weiter Scherben aus der Römerzeit, Pferdeknochen aus der napoleonischen Zeit, eine karolingische Scherbe, eine Kammstrichscherbe aus der La-Tene-Zeit (letztes Jahrhundert vor Christus), zwei römische Grabsteine (drei wurden schon 1842 gefunden), in aller jüngster Zeit sogar Fundamente eines Baues der RSmerfestung, darin einen Ziegel mit dem Zeichen der damals in Lentia stationierten römischen Legion „ALA“ und Tei!e von Hohlziegeln (Spuren einer alten romischen „Zentralheizung“, die in den Fußboden eingebaut war).

Aus den bisherigen Funden läßt sich in groben Zügen folgende Baugeschichte der Martinskirche rekonstruieren: Der Bau, so wie er jetzt steht, entstand in seinen Anfängen im 8. Jahrhundert, höchstwahrscheinlich schon unter den Agilolfingcrn. Damals wurden die Pfeiler aus römischen Quadern gemauert und die Bogen darübergespannt, 'in der Karolingerzeit wurden dann die Öffnungen zwischen den Säulen mit Bruchsteinmauerwerk - ausgefüllt, , dabei je zwei kleine und eine große Nische in halber Wandstärke ausgespart. Die bedeutendsten Umbauten setzten dann in der Gotik ein. Es entstanden die Darstellung der hl. Kümmernis, die Passionsbilder und die Märtyrerfresken. Wann die karolingischen Nischen zugemauert wurden, läßt sich im einzelnen nicht genau feststellen. Die meisten wohl in der Hochgotik, als dafür —: unter starker Beschädigung der agilolfingischen, beziehungsweise karolingischen Bauelemente — neue Tore, Fenster und Nischen ausgebrochen wurden. In der Spätgotik wurden wieder Fenster vermauert, die Ostwand abgerissen und unter Anfügung eines Chores neu aufgerichtet, die Wände mit den zum Teil jetzt noch erhaltenen Malereien geschmückt (darunter die Strahlenkranzmadonna). Bei den flachen gotischen Nischen läßt sich der Zeitpunkt der Vermauerung genauer feststellen: in der einen fand man eine Inschrift mit der Jahreszahl 1492; in der anderen ist zu lesen: „August Traun-müller 1842 hat fünf Liter Most gebraucht.“

Hatten schon die bisherigen Umbauten stark zerstörend in das ursprüngliche Bauwerk eingegriffen, so* ist es nur der staunenswert festen Mauertechnik des frühen Mittelalters zu danken, daß die Kirche auch die schwer schädigenden Eingriffe in die Obermauer übei dauert hat, als nämlich in der „Stall-Periode“ überlichten ausgebrochen wurden. Auch die gotischen Wandmalereien kamen dabei sehr zu Schaden. Wie aus der Bezeichnung „Stall-Periode“ bereits hervorgeht, diente die Martinskirche nach der Aufhebung durch Kaiser Josef II. ungefähr 60 Jahre lang als Stall. Daher auch die Funde von Pferdeknochen. Man hatte offenbar die Kadaver gleich neben der Kirche verscharrt. Um 1842 wurde der Bau wieder als Kirche instand gesetzt (es muß, nach der Most-Insdirift zu sdiließen, ein heißer Sommer gewesen sein) und konsekriert. Bis 1916 fand dort unter anderem jeden Sonntag ein Gottesdienst für die in Linz wohnenden Tschechen statt. 1938 sollte die Kirche renoviert werden. Es kam nicht mehr dazu.

Seit Ostern 1947 sind fleißige und fachkundige Hände am Werk, dieses altehrwürdige Kulturbauwerk zu erhalten. Sie haben die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe, die Kirche so wiederherzustellen, daß möglichst viel von den noch erhaltenen agilolfingischen, beziehungsweise karolingischen und gotischen Bauteilen .sichtbar wird, gleichzeitig aber der Charakter als Gotteshaus gewahrt bleibt.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung