Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ewige Baustelle
Umweltverschmutzung, Wetter und poröser Kalksandstein machen gotische Kathedralen zu Dauerbaustellen.
Umweltverschmutzung, Wetter und poröser Kalksandstein machen gotische Kathedralen zu Dauerbaustellen.
Schon dreimal in seiner mehr als 850jährigen Geschichte wurde der Dom von St. Stephan in Wien weitgehend zerstört und wieder aufgebaut: 1258 vernichtete ein Brand das als romanische Pfarrkirche errichtete Wiener Wahrzeichen, 1809 trafen Artilleriegeschoße von Napoleons Armee den unter Rudolf IV., dem „Stifter“, gotisierten Bau und 1945 ging der später durch eine Stahlkonstruktion ersetzte Dachstuhl - ein Meisterwerk gotischer Zimmermannskunst - im Endkampf um Wien in Flammen auf. Die aus dem Erz erbeuteter türkischer Kanonen gegossene, 1.980 Kilo schwere Glocke namens Pummerin stürzte durch das Dach in die Tiefe und zerbarst.
Aber auch nach dem letzten Wiederaufbau blieb die 1496 über Betreiben der Landesherren um ein eigenes Bistum zum Dom erhobene Stephanskirche eine ewige Baustelle, für deren Ausbesserungsarbeiten ein Steinbruch im burgenländischen St. Margarethen den mit Muscheln und Korallen durchsetzten Kalksandstein aus dem Tertiär liefert. Denn gotische Kathedralen sind schon allein durch ihren mächtig emporsteigenden Bau und den reichen Skulpturenschmuck stärker als andere Bauten durch Wind, Wetter und Umweltverschmutzung gefährdet.
Die Kosten für die Instandhaltung dieses architektonischen Juwels machen alljährlich rund dreißig bis vierzig Millionen Schilling aus, wovon 500.000 Schilling vom Bund, 500.000 Schilling von der Stadt Wien, das meiste aber aus Spenden kommt. Auch das Bundesdenkmalamt springt immer wieder hilfreich ein. So hat es kürzlich Figuren vom sogenannten Wiener Neustädter Altar restauriert und wird - wie schon vor einigen Jahren — eines der Glas- fenster vom Hochaltar sanieren. Die Erzdiözese gab heuer eine Million Schilling.
ZIEGEL MIT WASSER GESÄTTIGT
Die kontinuierliche Wartung von St. Stephan liegt seit dem 15. Jahrhundert in den Händen einer eigenen Dombauhütte. Ihr gehören neben dem Dombaumeister Wolfgang Ze- hetner neun Steinmetze, zwei Helfer, ein Elektriker, ein Tischler und ein Schlosser an. Unter Zehetners Ägide wurde der zuletzt vor 30 Jah ren reparierte südliche Heidenturm gründlich untersucht und vermessen. Die Diagnose: Die Steinplatten des Turmes reißen und drohen herabzufallen, weil die darunter liegenden Ziegel zu neunzig Prozent mit Wasser gesättigt sind und Druck auf den Stein ausüben.
Verursacht wurde der Schaden vor 500 Jahren, als man im Zug der Go- tisierung des Domes die gelb-grün glasierten Ziegel der beiden Heidentürme südlich und nördlich vom Riesentor (Haupteingang) mit Stein- Platten überdeckte. Leider ohne linterlüftung. In der Folge sickerte das Regenwasser durch den relativ weichen Kalksandstein, und die Ziegel saugten sich mehr und mehr mit Wasser voll.
Nun wurde die Sandsteinschicht zum Teil durch neue Platten ersetzt, auf jeden Fall jedoch durch eine unsichtbare Imprägnierung wasserabweisend gemacht. Außerdem verschloß man 800 Laufmeter Fugen mit einem speziell entwickelten elastischen Mörtel, sodaß von außen kein Wasser mehr eindringen kann. Schließlich wird in diesen. Wochen von innen trockene Luft angeblasen, die Feuchtigkeit dadurch entzogen und über Dachrinnen abgeleitet.
Parallel dazu wird beim 1433 vollendeten, 136 Meter steil vom Boden aufsteigenden Südturm („Steffl“) ein sechzig Meter langer senkrechter Riß ausgebessert upd die versinter- ten Steine - sofern sie nicht durch neue ersetzt werden — gereinigt. Kleinere Ausbesserungen werden auch am Nord- oder Adlerturm durchgeführt, dessen Aufbau 1467 begonnen und 1511 auf halber Höhe eingestellt worden ist.
Äuf dem weiteren Programm des Dombaumeisters steht die Restaurierung des rundbogigen Riesento res, durch- das 1278 Rudolf von Habsburg nach dem Sieg am Marchfeld feierlich einzog. Ehe damit begonnen wird, muß allerdings dieses Großwerk der Spätromanik erst analysiert werden. Ein diesbezügliches Forschungsprojekt wurde in der Hoffnung auf Förderung bei der Nationalbank eingereicht.
Ein weiteres Anliegen Zehetners wäre die entsprechend würdige Präsentation des von einer Vorhalle geschützten Bischofstores an der Nordfassade. Dort hat sich vor Jahren angesichts kunstvoller gotischer Plastiken ein vom Kircheninneren erreichbarer Souvenirladen einquartiert, während das Portal auf der Straßenseite überhaupt von Schaufensterkästen verdeckt wird.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!