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Die Stimmen von St. Stephan

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Die alte Stephanskirche verfügte über zwei mächtige Stimmen: die Stimme der Pummerin und die Stimme der Riesenorgel. Mit der einen sprach sie zur Stadt, mit der anderen erbaute sie die Gläubigen in der Kirche. Mit der einen „rief sie die Lebenden, beklagte sie die Toten und brach sie die Gewitter“, mit der anderen riß sie die versammelte Gemeinde hin zu Lob und Anbetung, zu Buße und Reue, zu Dank und Bitte. Beide Stimmen verstummten, als die Herrlichkeit des alten Domes im Schicksalsjahr 1945 zerbrach.

Die Stimme der Pummerin ertönte im Jahre 1952 zum ersten Male wieder, als die neue Glocke im Triumph in St. Stephan ihren Einzug hielt. Die Stimme der neuen Riesenorgel soll, so Gott will, am Weihnachtstag 1959 wieder erklingen.

Die alte Pummerin war ein Stück Geschichte Wiens. Sie wurde von Johann Achamer aus dem tri erbeuteter türkischer Kanonen gegossen. Nach den Angaben, die der Festprediger bei der Glockenweihe machte, wog die alte Pummerin samt Helm und Schwengel über 402 Zentner, das sind etwa 20.000 Kilogramm. Ihr Durchmesser betrug 3,16 Meter. Ein Teil des Riesentores mußte ausgebrochen werden, bevor man die Glocke in den Dom schaffte, um sie von innen in den Turm hochzuziehen. Ueber zweihundert Jahre teilte sie Freud und Leid mit der Stadt. Bei großen Ereignissen erhob sie ihre dröhnende Stimme: zu Weihnachten, Ostern, Fronleichnam, beim Einzug des Kaisers, bei der Inthronisation und beim Tod des Papstes oder des Erzbischofs. Die Pummerin war aus dem Leben der Stadt nicjit mehr wegzudenken, sie war zum Herzen Wiens und Oesterreichs geworden. Im Sturmjahr 1945 stürzte sie, geborsten durch des Brandes Glut, aus dem verwüsteten Turm zu Boden. Aus ihren Trümmern wurde die neue Pummerin gegossen. Landeshauptmann Dr Heinrich Gleißner und der verewigte Glockengießer Ing. Karl Geiß erwarben sich unvergängliche Verdienste um sie. In feierlichem Zug nach Wien geleitet, wurde sie am 26. April 1952 von Kardinal Innitzer zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis geweiht, „damit durch ihre mächtige Fürbitte Friede sei in Freiheit“.

Nach der Weihe wurde die 22 Tonnen schwere Glocke im Bauhof der Dombauhütte zunächst auf einem Holzgerüst montiert und am Sonntag, dem 27. April 1952, nach dem Evangelium zum ersten Male feierlich angeschlagen. In der Silvesternacht 1952/53 hätte es um ein Haar ein Unglück gegeben. Männer der Dombauhütte wollten durch zwölf Glockenschläge das Ende des alten Jahres anzeigen, da brach beim zehnten Schlag der von d,er alten Pummerin stammende 600 Kilogramm schwere Klöppel. Wie durch ein Wunder blieben die •Männer, die unter der Glocke standen, unverletzt. Auf Ersuchen Dr. Gleißners stellte die VOeESt. in Linz einen neuen Klöppel her.

1953 wurde der provisorische hölzerne Glockenstuhl durch einen von der Firma Waagner & Biro aus^ Stahl gebauten Glockenstuhl ersetzt. Das elektrische Läutewerk stammt von der Firma Bockelmann & Kuhlo in Herford. Dieser Glockenstuhl und dieses Läutewerk werden auch bei der endgültigen Aufhängung der Glocke im Nordturm im Herbst 1957 ihre Verwendung finden.

Auf der erhabenen Warte des unausgebauten Turmes wird sie in Zukunft ihre mächtige Stimme über die Stadt ertönen lassen. Die Schönheit ihres Klanges wird freilich erst dann ganz zur Geltung kommen, wenn auch die kleineren Glocken neu gegossen sind. Der alte Dom hatte nicht weniger als vierzehn Glocken. Von diesen sind nur noch sieben vorhanden. Erst wenn ihre frühere Zahl erreicht ist, wird es wieder ein harmonisches Geläute geben.

Die alte Riesenorgel war 1886 von der Firma Walcker in Ludwigsburg, Württemberg, erbaut worden. 1945 wurde sie ein Raub der Flammen. Das neue Werk soll 125 klingende Register, verteilt auf vier Manuale und Pedal, mit 10.000 Pfeifen besitzen. Der Prospekt wird aus Zinn ausgeführt werden und einen Prinzipalbaß (zweiunddreißig Fuß) in natürlicher Länge zeigen. Die Tiefe-C-Pfeife wird eine Länge von 11,40 Meter und einen Durchmesser von 40 Zentimeter haben. Das Gewicht der Pfeife schätzt man auf 300 Kilogramm. Die Material-und Herstellungskosten der größten Pfeife belaufen sich auf etwa 20.000 Schilling, während die kleinste Pfeife etwa 50 Schilling kosten wird. Im linken Seitenschiff des Domes ist eine Darstellung der zukünftigen Orgel im Modell (1:10) festgehalten.

Möge auch die neue Orgel, die zweite Stimme des Domes, bald mit voller Kraft erklingen, auf daß sich die Worte Gertruds von Le Fort auch in St. Stephan erfüllen: „Deine Gebete sind wie tausendjährige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere.“

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