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Leben und Tod in Gottes Hand

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Welchen Gegensatz zu den geschilderten Schreckensbildern bot das Verhalten des Abtes! Der wollte, begleitet vom Prior und vom P. Emanuel, dem Abtransport der Schwestern beiwohnen. Beim Beginn des Angriffes sanken die drei geistlidien Herren in die Knie. Mitten auf der Straße, im dunklen Benediktiner-habit, entblößten, gesenkten Hauptes, mit gefalteten Händen, erwarteten sie ruhig, gelassen und demütig Gottes Ratschluß: sei es Leben, sei es Tod. Man kann sich kaum ein ergreifenderes Bild denken als diese vollendete Gottergebenheit.

Nach Beendigung des Angriffs mußte ich erst die Straße wieder fahrbar machen, ehe ich die Beladung fortsetzte. An drei Stellen waren Bombentrichter zuzuschütten, außerdem war die Seilbahn getroffen worden, und das Seil hing an mehreren Stellen zerrissen über den Serpentinen und versperrte sie. Es mußte erst überbrückt und an einer Stelle mit einer eigens erfundenen Konstruktion gehoben werden. —

Weiter rollten die Wagen Tag für Tag nach Rom, hoch und kostbar geladen, über unserem Tun waltete sichtbar Segen: nicht ein einziger Wagen wurde vernichtet, von den Kunstschätzen nichts zerstört, nichts auch nur nennenswert beschädigt. Alles, was wertvoll und transportabel war, wurde in Sicherheit gebracht, also in erster Linie die Menschen, Mönche und Schwestern samt ihrer Habe; das Rettungswerk an der Bibliothek habe ich bereits geschildert. Dazu kam eine Unzahl Bilder, darunter drei Tizian, zwei Raphael, Originale von Tintoretto, Ghirlandajo, Pieter Brueghel usw.: es war alles da, was in der bildenden Kunst Rang und Namen hat; von Lionardo da Vinci gibt es kaum ein Dutzend Gemälde auf der ganzen Welt. Eines davon haben wir gerettet; uralte goldene Meßgeräte, kostbar gestickte Meßgewänder, Reliquienschreine, uralte Kruzifixe, Holzskulpturen, alte Möbel, Antiquitäten, Vasen und Skulpturen aus Pompeji, alles das konnten wir dem Kunstschatz der Welt erhalten.“—

Eines Tages beehrte mich der Abt mit besonderem Vertrauen: er bat mich, auch seinen weitaus größten Schatz, der gleichzeitig zu den höchsten Heiligtümern der katholischen Kirche überhaupt zählt, zu retten: die Gebeine des hl. Benedikt. Ich wußte die mir erwiesene Ehre zu würdigen und bot alle Sorgfalt auf, die Reliquien eines der höchsten Heiligen der gläubigen Welt zu erhalten. Rührend war der Abschied, den der Abt von den Uberresten des großen Ordensgründers nahm, rührend, wie er sie, solange esging, mit seinen Händen Oberdeckte, feierlich der Segen, den er ihnen spendete, und erschütternd der Wandel in seinem gütigen Greisengesicht, als sie fortgebracht wurden. Fassungslos irrten seine Augen dem ausfahrenden Wagen nach, tasteten dann in der Richtung, in der er verschwunden war, und umflorten 6ich. Ein Zittern ging durch seinen Körper. Mehr als 40 Jahre war er Erzabt von Monte Cassino, dem Stammkloster aller Benediktiner der Welt, das seit Totilas Zeiten besteht. So wie die Päpste dem Apostel Petrus, war er dem heiligen Benedikt nach eineinhalb Jahrtausenden als sein Vertreter nachgefolgt. Nun hatte ihn sein Vater verlassen, nun wußte er, daß auch sein Haus verloren war.

Wir sprachen nicht darüber, ich entweihte seinen Schmerz nicht mit gutgemeinten, aber ohnmächtigen Trostesworten. Erst als ich ihm, der bang die Nacht durchwacht und durchbetet hatte, am nächsten Tag die ersehnte Nachricht brachte, daß die Reliquien in Rom und in guter Hut seien, verlor sich die Spannung in seinen Zügen, und feierlich sagte er zu mir: „Sie haben sich ein unsterbliches Verdienst erworben!“, und der gute P. Emanuel sekundierte: .Sie waren das

Werkzeug Gottes!* Ich wehrte ab und meinte, der liebe Gott hätte leicht ein würdigeres Werkzeug gefunden. Doch der Abt ließ nicht nach, mir zu danken, und bat mich, ihm zu sagen, wie er diesen Dank abstatten könnte. Da meinte ich endlich, wenn seine Exzellenz mir Dank zu schulden glaube und mir eine Bitte freistelle, so wolle ich eine solche vorbringen: „Ich bitte nach Abschluß des ganzen Rettungswerkes für mich und meine Soldaten in der Klosterkirche eine hl. Messe zu lesen.“ Der Abt nickte freundliche Gewährung, und gehobenen Sinnes ging ich wieder ans Werk. — (Fortsetzung und Schluß folgt.)

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