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Salzburg 1946

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Leise fällt in dichten Flocken der Schnee vom Himmel, umhüllt mit seiner weißen Haube die zahllosen Türme und Kuppeln der Stadt und legt sich sanft auf die vielen klaffenden Wunden, die der Krieg mit schmerzender Dissonanz in die architektonische Melodie gerissen. Wandert der Blick von der Festung Hohensalzburg über die Dächer hin, so gelingt es, einige Sekunden lang Zerstörung und Verwüstung zu vergessen und man blickt in das heitere Antlitz der geliebten Stadt, wie es aus Tausenden von Bildern der Welt bekannt ist — wie von einem plötzlichen Aufschrei aber wird das Auge von der schmerzlichsten Wunde, die der Krieg geschlagen, angezogen: der zerstörten Domkuppel.

Ungehindert wirbeln die Flocken in das gähnende Kirchenschiff, doch vermag der Schnee die emsige Arbeit der Bauleute nicht zu hindern. Viel ist für den Wiederaufbau des Domes seit Kriegsende schon geschehen, manche Hindernisse mußten bewältigt werden, aber gewaltige Aufgaben stehen noch bevor. Inzwischen ist die Holzwand, die das Querschiff und das Langhaus provisorisch trennt, fast vollendet und bald wird das Langhaus wieder dem Gottesdienst offenstehen. Der beschädigte Dachstuhl wurde ergänzt und mit Dachpappe eingedeckt. Besonders schwer hat das Gewölbe des rechten Querschiffes gelitten, doch werden auch hier Vorbereitungen für den Gewölbebau getroffen. Gerade in der Woche der Sammlung für den Wiederaufbau des Domes ersteht der 60 Meter hohe Aufzugsturm für den Kuppelbau. Ein hoffnungsvolles Symbol, daß Kuppel und Kreuz wieder in den Lüften thronen werden.

Verhältnismäßig günstiger scheint die Instandsetzung des Mirabellschlosses, das glücklicherweise keine schweren Bombenschäden erlitten und seine alte Gestalt behalten wird. Am empfindlichsten wurde leider die berühmte Barocktreppe beschädigt; mehrere der Putten, die das von Hildebrand geschaffene Steinbandwerk wie auf 'Wogenkämmen emporträgt, sind verstümmelt. Da das wertvolle Kupferdach weggeführt wurde, haben die Stukkaturen stark gelitten.

Total zerstört wurde das weit über die Landesgrenze hinaus beirühmte Stadtmuseum. Der größte Teil der Kunstschätze war jedoch geborgen und konnte gerettet werden. Als neues Heim ist das ehemalige Paris-London-Palais vorgesehen, doch ist dort mit einer baldigen Aufstellung der Objekte nicht zu rechnen. Es ist deshalb geplant, in kleineren Ausstellungen die schönsten Museumsstücke den Einheimischen Und Gasten zugänglich zu machen. Das Museuni in Mozarts Geburtshaus blieb von Schäden verschont und hat seine Scha'iräume der Besichtigung wieder geöffnet. Bis Mai werden die vorläufig noch durch Kopien ersetzten geborgenen Originale ausgerauscht werden und auch die wertvollen persönlichen Erinnerungsstücke werden an ihre alten Plätze zurüAl;“'iren. Salzburgs kostbarster Kunstschatz, die Pacher-Madonna, kam schon im September an seinen alten Platz zurück und umstrahlt von der go'denen Glorie des Altares thront sie wieder im Hellten Hallenchor der Franziskanerkirche.

Der Pflege guter lebendiger Kunst hat die Kunsthandlung Christian M. Nebchay ihre Rä'ime geöffnet, in welchen in den letzten Monaten verschiedene Ausstellungen veranstaltet wurden. Zur Zeit ist eine kleine Auswahl an Aquarellen von Oskar Laske zu sehen, durchwegs Salzburger Landschaften, die noch einige seiner bekannten Graphiken bereichern. Besondere Beachtung findet der Entwurf eines Theatervorhanges, der mit seinen Gestalten aus Mozarts „Zauberflöte“ für das Festspielhaus wie geschaffen scheint.

Durch Kriegsschäden ist Salzburg besonders arm an Kinos geworden. Derzeit spielen bloß drei Kinos und ein Filmbesuch muß mit stundenlangem Anstellen erkauft werden. Im Festspielhaus ist für die alliierten Soldaten ein Kino eingerichtet. Groß und klein, Einheimische und Gäste erfreut und entzückt das berühmte Marionettentheater Prof. Aichers mit seinen Zaubermärchen und kleineren reizenden Mozartopern. Den M i t-telpunkt des kulturellenLebens bildet das Landestheater, das trotz vielen Schwierigkeiten um den Wiederaufbau der Kultur und um das Ansehen Salzburgs als zweites Kulturzentrum Österreichs bemüht ist. Neben der modernen Komödie und Klassikeraufführungen stehen auch Operette und Oper auf dem Spielplan. Das Haus ist täglich ausverkauft. Meist gastieren auswärtige Künstler und es gelingen durchaus beachtenswerte Aufführungen, die ein sogenanntes „Provinztheater“ weit überragen. Zu einer der glanzvollsten Vorstellungen gestaltete sich die Premiere von Verdis „Rigoletto“. Die musikalische Leitung lag in den Händen Dr. Robert Wagners, dessen Berufung einen schönen Gewinn für das Salzburger Kunstleben bedeutet. Seiner Leitung sind auch die Konzerte des Mozarteum-Orchesters anvertraut.

Die Heimkehr Prof. Bernhard Paum-gartners aus der Schweiz an seine alte Wirkungsstätte ist, über den Rahmen der Festspielstadt weit hinausreichend, von größter Bedeutung für das Musikleben Salzburgs. Hoffentlich kann nun auch dem österreichischen Leser das während seines Exils bei dem größten Schweizer Verleger erschienene Schubertbuch recht bald zugänglich gemacht werden.

Das Programm der Festspiele 1946 ist in großen Zügen ausgearbeitet, es sollen wieder österreichische Festspiele im Geiste jahrzentelanger Tradition werden. An Opern werden aufgeführt: „Don Giovanni“, „Figaros Hochzeit“ und der „Rosenkavalier“, ebenso wurden auch die Aufführungen von „Jedermann“ vor dem Dom wieder in den Spielplan aufgenommen. Außerdem sind acht Orchesterkonzerte, drei Kammerkonzerte, drei Domkonzerte und sechs Serenaden vorgesehen. Toscanini und Bruno Walter werden am Dirigentenpult erwartet, auch Herbert von Karajan konnte für einige Konzerte gewonnen werden. Lotte Lehmann hat die an sie ergangene Einladung, ihre berühmteste Rolle, die Marschallin im Rosenkavalier bei den Festspielen zu singen, bereits angenommen und die Künstlerin wird voraussichtlich im Frühsommer aus Amerika in Österreich eintreffen.

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