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Schwanengesang in Stein

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FURCHE-Mitarbeiter Karlheinz Roschitz, der in diesem Beitrag Entstehung und Wiederentdeckung der Ringstraße skizziert, hat die Ausstellung „Kaiser Franz Joseph und die Ringstraße“ im Wiener Künstlerhaus gestaltet.

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FURCHE-Mitarbeiter Karlheinz Roschitz, der in diesem Beitrag Entstehung und Wiederentdeckung der Ringstraße skizziert, hat die Ausstellung „Kaiser Franz Joseph und die Ringstraße“ im Wiener Künstlerhaus gestaltet.

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Ein Schwelgen in Nostalgie. Wiens Festwochen haben schwarzgelb beflaggt. „Wien 1848 bis 1918 - Metropole in Europa“ ist das Motto. In den Auslagen so mancher Buchhandlungen dominieren Kaiser Franz Joseph, Elisabeth, Kronprinz Rudolf und die gute alte Zeit. Statistische Untersuchungen besagen, daß die Literatur über die Wiener Gründerzeit, den Historismus und die Ringstraße sich die Bestsellerlisten erobert.

Sogar im Ausland. Und „Ring rund“ ist sich die einstige Pracht- und Paradestraße der Monarchie jetzt selbst erstes Thema. Vom Konzerte zyklus „Salon am Ring“, der die goldenen Tage der Wiener Hausmusik und glanzvoller Gesellschaften in den Ringpalästen beschwört, bis zu den Museen und Ausstellungssälen.

Allerdings ist es noch gar nicht so lange her, daß die Ringstraße als ungeliebtes Monster abgetan wurde. Wie man den „Wasserkopf Wien zugunsten biedermeierlicher Kleinstädterei verurteilte, verdammte man auch den Ring als künstlerisch wertlosen Stilmischmasch; und dazu in Bausch und Bogen die Künstler dieser Zeit, die vielen nicht einmal „kunstgeschichtsfähig“ erschienen. Weit waren sie hinuntergeschlittert auf der Rutschbahn der Popularität.

Ein Makart, ein Canon, ein Rani -einst hochverehrte Meister, denen Wien zu Füßen lag, die den Geschmack der Zeit diktierten, steckte man ihre Werke jetzt in die Depots. Und so mancher Kurzsichtige hat diesen Standpunkt bis heute noch nicht geändert.

Die große Wende in der Beurteilung bereitete sich vor allem durch den Denkmalschutz vor. Die Schäden, die Wiens Staatspaläste am Ring ebenso wie die vielen Bürgerhäuser, die Industriellenpalais, die Denkmäler, Bildungspaläste usw. teils im Zweiten Weltkrieg, teils auch durch die Interesselosigkeit der Hausherren erlitten, waren alarmierend. Das Wiener Kunsthistorische Institut unter Professor Renate Wagner-Rieger ebenso wie das Münchner Institut für

Baugeschichte kämpften erbittert, um so bedeutende Bauten wie Gottfried Sempers prächtiges Theaterdepot zu retten. Und vor allem von der deutschen Thyssen-Stiftung kam die größte Hilfe: In einem auf voraussichtlich vierzehn Bände geplante« Werk „Die Wiener Ringstraße“ begann man mit der exakten wissenschaftlichen Dokumentation des künstlerischen Erbes dieser Prachtstraße. (Die FURCHE wird darüber eingehend berichten.)

Man versuchte so, wenigstens weiteren Verwüstungen und Demolierungen Einhalt zu gebieten. Denn wie viele der anonymen Eigentümer der großen alten Industriellenpalais ebenso wie der Luxuskaffeehäuser, also Banken, Versicherungen, Autohäuser, die kein Interesse an der Erhaltung kostbarer Fassaden, Portale, Interieurs und prächtigen Statuenschmucks hatten, wüteten vorerst hemmungslos. Opferten erlesene Arbeiten der Spekulation, wenn nicht vieles überhaupt im Trödel oder auf dem Abfallhaufen landete. Denn neue Alu-Tür- und -fensterrahmen waren Trumpf, abgeschlagene Fassaden galten als „billige Lösung“, und um Proportionen von Hausfassaden, kunsthistorische Überlegungen und Geschmacksfragen scherte sich ohnedies niemand.

All die neuen Rettungsinitiativen, die Detail um Detail bewiesen, welches Meisterwerk Wien mit der Ringstraße als Erbe verwaltet und wie sehr man endlich Überlegungen anstellen müßte, wie man dieses Gesamtkunstwerk attraktiv erhalten könnte, halfen einiges. Restaurierungen und Renovierungen kehrten die hohe Qualität der Bauten mit ihren herrlichen Deckenbildern, Bois-serien, ihrem plastischen Schmuck hervor. Und allmählich wurde auch den kurzsichtigsten Gegnern des Rings klar, daß hier in baulicher und künstlerischer Hinsicht eine erstaunliche Substanz vorhanden ist.

Das Festwochenmotto trifft da nun genau ins Schwarze. Das Verständnis ist gewachsen: für den Ring und seine Kunstschätze, für die politischen, sozialen, wirtschaftlichen Aspekte dieser trotz der langen Friedensperiode an Umbrüchen so reichen Zeit, für die wahrhaft imperialen Konzepte, durch die man noch einmal der alten Reichsidee künstlerische Gestalt geben wollte. Und wer durch diese vielfältigen, an Objekten aus der Zeit Kaiser Franz Josephs so überreichen Ausstellungen wandert, staunt: Uber den geistigen Anspruch, dem die besten Werke dieser Zeit im Großen genügen, ebenso wie im kleinen über die handwerkliche Qualität, die diese Zeit auszeichnete.

Dieses Zusammenstimmen erst hatte es ermöglicht, das Gesamtkunstwerk Ring zu schaffen. Die Zeit war voll von Initiativen gewesen. So wie Kaiser Franz Joseph 1857 sein Dekret zur Schleifung der Basteien und zur prunkvollen Erweiterung der längst aus allen Nähten platzenden mittelalterlichen Residenzstadt gab, so entwickelten sich auch Industrie, Handwerk, Kunst.

Man war auf gewaltige Leistungen eingestellt. Im Bauen, wo man Unglaubliches leistete. In knapp dreißig Jahren waren die Hauptteile der Ringstraße mit ihren weitläufigen Nebenzonen errichtet. Aber auch in der Errichtung von Schulen, die die für die Zukunft nötigen Künstler, Architekten, Handwerker ausbilden sollten, in der Industrie, die diese gewaltigen Bauprojekte mit Materialien zu versorgen hatte usw.

Als die „Baubarone“, ein Ferstel, Hasenauer, Schmidt, Hansen oder Tietz ihre Palastkonzepte entwickelten, standen ihnen nicht nur die Bauarbeiter zur Verfügung, die aus allen Teilen der Monarchie kamen, um hier Arbeit zu finden, sie fanden auch erstklassige Handwerker, ohne die die Ringstraßenpaläste nie ihre erlesene Ausführung erhalten hätten.

Und erst dadurch wurde dieses Gesamtkunstwerk „Ring“ möglich: jedes Bauwerk als Zusammenklang von kostbaren Materialien, Marmor, edlen Hölzern, Seidenbrokaten, erstklassigen Bronzearbeiten, die mit den Deckengemälden eines Makart, Rahl, Canon, Griepenkerl, Eisen-menger, Laufberger, Klimt, Matsch, Munkacsy, mit den Skulpturen und Reliefs eines Tilgner, Kundmann, Zumbusch, Fernkorn, Weyr, Pilcz, mit den Stuckarbeiten etwa eines De-toma ein Ganzes ergaben. Ein kunstvolles Ambiente aus Materialien, originellen Formen und prächtigen Farben. Ein Kunstdenkmal schlechthin, in dem sich Adel und Großbürgertum, Industrielle und Bankiers der Gründerzeit ihr eigenes Denkmal setzten.

In der Ausstellung im Künstlerhaus etwa sieht man, wie Architektur und Plastik zu einem theatralischen Ganzen zusammenwirken sollten. Wie die in der Metternich-Ära völlig in Vergessenheit geratene dekorative Bauplastik plötzlich wieder die Fassaden aufreißt, wie Architektur wieder ein raffiniertes Spiel von Licht und Schatten, Giebeln und Pilastern, Statuen und Reliefs einbezieht.

Die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet wie im Städtebaulichen überhaupt war zweifellos Sempers und Hasenauers Projekt des Kaiserforums. Es sollte die gewaltigste Palastanlage Europas werden, größer als der Louvre. Ein Monumentalensemble mit Triumphbögen über den Ring, mit einem Arkadentrakt vor den alten Hofstallungen, mit einem gigantischen Festsaalbau, der die beiden neuen Burgtrakte verbinden sollte - nur der eine wurde ausgeführt - und mit den beiden als erste Bauten da'für errichteten Hofmuseen.

Und charakteristisch für Semper, den vielleicht faszinierendsten Architekten des 19. Jahrhunderts, ist, daß diese Anlage trotz ihrer enormen Ausmaße keinen Moment falsches Pathos ausstrahlt und in der Verwendung römischer Stilelemente wie eine letzte Erinnerung an Habsburgs heiliges Römisches Reich wirkt. Der architektonische Schwanengesang der Monarchie in Stein.

Die Vollendung dieses Projekts ist ähnlich wie sein gewaltiger Vorgänger, Kaiser Karls VI. „Wiener Esco-rial“ in Klosterneuburg, an finanziellen Problemen, an Unstimmigkeiten zwischen. Semper und Hasenauer und nicht zuletzt daran gescheitert, daß das Projekt noch 1918 nicht fertig war.

Zu groß war es gewesen. Während das Kaiserforum nur mühsam gedieh, war die Ringstraße mit ihrem aus dem strengen Historismus geborenen Baudenken nicht mehr aktuell. Die Secession räumte auf. Ein moderner Funktionalismus brach bereits mit Otto Wagners streng strategisch konzipierten Stadtbahnbauten ein. Daran, daß es mit dem „Ring“ vorbei war, konnte auch der letzte „Rettungsversuch“ Erzherzog Franz Ferdinands nichts ändern, der in den späten neunziger Jahren noch einmal einem Neobarock auf die Beine helfen wollte und den Stil des Kriegsministeriums entscheidend mitbestimmte.

Was in all diesen Ausstellungen, von der Hermesvilla bis zum Künstlerhaus, zum Ausdruck kommt und was geradezu einen Ansatzpunkt für eine Neubewertung bietet, ist die

Stellung des Wiener Künstlerhauses, das weder arm war, wie man immer wieder annahm, noch so konservativ, wie andere Künstlervereinigungen es gern gesehen hätten. Im Gegenteil es gab in der Zeit des Historismus fast keinen bedeutenden Künstler, der nicht Mitglied in August Webers Palais am Karlsplatz gewesen wäre. Alle großen Architekten, Maler, Bildhauer waren zumindest Mitglieder, wenn nicht Ehrenmitglieder oder sogar Stifter, viele, wie Makart oder Rudolf von Alt, sogar Präsidenten der Künstlervereinigung, die - das läßt sich nachweisen - auf den Geschmack der Zeit enormen Einfluß ausübte.

Und mehr noch: sie vermittelte zwischen Kaiser Franz Joseph und den Künstlern, vermittelte diese Künstler für die Ausstattung der Paläste und spielte auch gesellschaftlich und sozial eine wichtige - und vorbildliche! - Rolle.

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