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Wien I, Herrengasse 14

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DIE MEISTEN WIENER KENNEN NUR DEN DURCHGANG. Der is: nämlich, wie ein altes Schild irr Halbdunkel neben den schweren geschnitzten Torflügeln besagt, freiwillig gestattet und verbindet die Herrengasse mit der Freyung. Eir Durchhaus also, es gibt viele ir Wien, wenn auch nicht so eigenartige wie dieses. Eine dämmerige säulengetragene Vorhalle führt in einen kleinen sechseckigen glasgedeckten Lichthof. Die Stockwerke hinauf der Rhythmus der Rundbogenfenster. In der Mitte, wie ein überdimensionaler Tafelaufsatz, ein Brunnen. Staub auf den kleinen Bronzefiguren und dem Zierat, Staub im leeren Becken. Mattes Licht, durch halberblindete Fenster der Blick auf die Geländerüberschneidungen eines ebenfalls glasgedeckten Treppenhauses. In all dem Winkelwerk ringsum Nistplätze einer untergründigen Phantastik, einer verschatteten Ringstraßenstimmung, deren Tristesse sonderbarerweise keįner der avantgardistischen Wiener Filmregisseure und kein Maler der „Wiener Schule“ entdeckte. Dabei die ganze Szenerie‘eigentlich unwienerisch, dieser Durchgang könnte sich in Triest befinden, nahe am Hafen, oder in Prag, auf dem Schulweg des Gymnasiasten Franz Kafka.

Ein Haus mit magischem Eigenleben, nur die Passage scheint dem Alltag dienstbar zu sein. Kleine Karyatiden stützen die Decke dieses Basars, zu beiden Seiten schmalbrüstige Läden, Werkstätten und verschalte Türen. Gegen die Helligkeit des Ausgangs zur Freyung zeichnet sich das Maschenwerk des geöffneten ornamentalen Eįsengitters ab. Mißtrauisch mustert die Grünzeughändlerin den Passanten, der stehenbleibt und eine Konsole, ein Säulenkapitäl oder einen Mauerbogen genauer betrachtet. Denn wer schaut hier schon näher hin, was gibt es schon besonderes zu sehen an diesem Transittunnel und an dem ganzen großen Gebäude? „Altersgrau“ würden es d ie Fremdenverkehrsfeuilletonisten nennen.

„EIN FRÜHER BAU FERSTELS“ sagen die Kunsthistoriker und Denkmalpfleger. „Als architektonische Einzelschöpfung und zur Wahrung des Gesamtcharakters in dem Viertel Herrengasse-Freyung durchaus erhaltenswert.“

Im Direktorenbüro der Organisation, dem jener beherrschende Palazzo gegenüber dem Landhaus gehört, urteilt man nüchterner, mit dem imaginären Rechenstift in der Hand. „Interessant? Können wir nicht finden. Wir sind Kaufleute.“ Es wurde von Demolierungsabsichten gesprochen, in Gerüchten war das Stichwort „Bürohochhaus“ gefallen, aber der Herr Direktor, der ja über den wahren Sachverhalt informiert sein muß, wehrt ab. „Das ist ganz unbestimmt, wir wissen noch gar nichts.“ Und im Bundesdenkmalamt bestätigt man: „An uns wurde noch kein Demolierungsansuchen gerichtet.“

Der Kommentar eines Mannes, der seit Jahr und Tag im Haus Herrengasse 14 am Schreibtisch sitzt: „Ich bitt’ Sie, dieser Stilmischmasch aus dem vorigen Jahrhundert! Und in diesem Erhaltungszustand!“

Darauf kontert der Kunsthistoriker mit einer Feineinstellung aus der Nomenklatur der Stilkunde: sie lautet „romantischer Historismus“, zum Unterschied vom reinen, puristischen Historismus, der vom Türstaffel bis zur Turmspitze die Stilreinheit gewahrt wissen wollte.

Für diesen romantischen Historismus ist Heinrich v. Ferstels Bau — partriarchalischen Jahrgängen noch als „Österreichisch-Ungarisches Bankgebäude“ bekannt — ein markantes, wenn nicht das markanteste Beispiel auf Wiener Boden. Als Ferstel im Jahre 1856, nach der Grundsteinlegung der Votivkirche, die Konkurrenz gegen Hansen, Sic- cardsburg, Van der Nüll und andere Architekten gewann und den Auftrag zum Bau des neuen Hauses der k. k. privilegierten Natiohalbank erhielt, entschied er sich wohl für den romanischen „Styl“, den „blühenden Vorgänger der strengeren Gothik“,

doch schloß er mit der Dominante des Rundbogens die verschiedensten Elemente zur Einheit zusammen: venezianische Einflüsse, gotisches Maßwerk, Formen der italienischen Renaissance, ja sogar barockisie- rende Stuckornamente in den Dek- kenwölbungen des Durchgangs, womit er eine fast vergessene Kunstübung neu belebte. Richtmaß war ihm nicht die strenge akademische Stilfibel, sondern die an den großen Vorbildern vergangener Jahrhunderte geschulte freie Phantasie, die, namentlich in den repräsentativen Innenräumen, romantische Wirkungen anstrebte.

RINGSUM FIELEN DIE BASTEIEN, während in der Herrengasse an Stelle geschleifter alter Häuser (von denen eines drei Stockwerke tief unterkellert war) der Komplex emporwuchs, der Bank, Börse und Basar in sich vereinigen sollte, Ferstel hatte von Anfang an, zwangsläufig, einen unregelmäßigen Grundriß wählen müssen. In der Herrengasse und der Strauchgasse konnte er langgestreckte Fassaden entwickeln, auf der Freyung aber schnürte ein Eckhaus auf der einen und das Palais Harrach auf der anderen Seite den neuen Baukörper in die Schnürbrust der Gegebenheiten. Dort kommt uns der Meister fast venezianisch und zieht die Fassade ins Hochformat.

I860, also in der Morgenröte der anbrechenden Ringstraßenära, war das Bankhaus vollendet. Zu den ersten Besuchern, die es besichtigten, gehörte Adalbert Stifter, unter dem Eindruck des Gesehenen schrieb er einen Brief an Ferstel und bat ihn um eine Unterredung. Auch heute noch, trotz Staub, Patina und Beschädigung und desolatem Zustand, ist vieles in diesem sonderbaren Bau, Herrengasse 14, kennzeichnend für den neuen Impetus, den Ferstel dem Handwerk, dem Kunstgewerbe und den dekorativen Künsten damals gab. Eine besondere Bewandtnis hat es zum Beispiel mit dem Eisengitter beim Ausgang zur Freyung: es ist das allererste geschmiedete Eisenwerk der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Wien, nach einer langen Periode, in der man das Eisen nur durch Guß verarbeitete. Der Schlossermeister, den Ferstel heranzog, konnte den Auftrag nicht von seinen eigenen Leuten ausführen lassen, deshalb fertigten Silberschmiede das Gitter. Sie waren die einzigen, die Metalle zu schmieden verstanden.

DIE ZWÖLF NATIONEN DER MONARCHIE repräsentieren die Figuren an der Fassade gegen die Herrengasse und die Strauchgasse zu, in Lederhose, Kaipak oder Hirtenhut, jeder eben „landesüblich“ wie auf alten Tarockkarten. Der tüchtige, etwas akademisch langweilige Hans Gasser hat sie gemeißelt, als eine Art Mischung zwischen steinerner Ehrenwache und vaterländischem Zwergeigarten auf luftiger Höh.

Für den Bronzebrunnen im Durchgang aber — wir haben ihn beim raschen Transit Herrengasse— Freyung mit einem Blick gestreift — sicherte sich Ferstel die Mitarbeit Anton Dominik Fernkoms, der nach dem Entwurf des Architekten das bekrönende leichtgeschürzte Donauweibchen, die drei bärtigen Männergestalten und den Nixenreigen am Fuß der Säule modellierte und goß. „Nicht viele Wiener Brunnen stehen so lauschig wie dieser“, rühmte ein Biograph Fernkorns. Egon Erwin Kisch aber berichtet uns, daß an diesem idyllischen Brunnen vorbei Oberst Redl am Abend seiner Entlarvung als Verräter aus seinem

Wiener Quartier, dem Hotel Klom- ser in der Herrengasse, durch den Durchgang zu flüchten versuchte, aber mit Schrecken bemerkte, daß ihm auf der Freyungseite bereits einige Generalstäbler den Weg abschnitten …

EIN TÜRSTAFFEL ALS „GEDENKTAFEL“ — auch dieses Kuriosum gibt es in dem Ferstel-Palast.

Normalerweise deckt ein Kokoslaüfer die Steinplatte mit der Inschrift „Eingang Cafe Central“ bei einer Seitenpforte in der Herrengasse. Seit langem amtiert hier ein „österreichisches Seehandelskontor“ und leistet unter diesem romantisch klingenden Titel konkrete Agenturdienste für ausländische Schiffahrtslinien. Das war einst der Vorsaal jener literarischen Institution, die sich Cafe Central nannte, ein Parnaß mit Marmortischerln, ein Forum des Geistes mit Melange, Kaisersemmeln und Kredit beim Ober, die Residenz von Karl Kraus und der „ständige Wohnsitz“ von Zelebritä- ten und Schnorrern.

Man durchquert ein kleines Gelaß und steht in einem Innenhof mit hohem Glasdach, dem ehemaligen Hauptsaal des „Central“, mit dem stillen, leicht grauen Licht solcher Räume. Heute erinnert diese Szenerie freilich eher an ein verlassenes, kahles Depot, mit zusammengeschobenen alten Schränken, zerlegter, aufgeschlichteter Holzvertäfelung, Makulaturstapeln, und ob an dem einzigen verbliebenen Marmortischerl wirklich noch Literaturgeschichte gemacht wurde, das ist unergründlich. In einem Teil des Obergeschosses war damals übrigens die Notendruckerei der Österreichisch-Ungarischen Bank untergebracht, und der Rhythmus der

Maschinen untermalte die erregten Debatten. Im ersten Stock entstand also das Geld, das man zu ebener Erde schuldig blieb.

Das zeigerlose Zifferblatt an einem der Pfeiler — ob es wohl noch aus dem alten Inventar stammt? — gibt die permanente Sperrstunde an.

EINE WAND AUS DÄMMPLATTEN trennt diesen Raum in halber Höhe von der breiten Treppe zum einstigen Börsensaal. Breit und flach die Stufen, wie später bei den Bauten Otto Wagners. Vom dunklen Flur her dringt der dumpfe Aufschlag von Bällen, denn wo sich einst die Börsianer drängten, üben jetzt die Basketballspieler. In der hohen Halle schweben riesige Metalluster, darüber vielfach verstrebtes braungoldenes Gebälk und Gespärre, wie aus den Holzteilen alter Segler zusammengefügt. Eine bunte Gallionsfigur weist den Kurs in Richtung Michaelerplatz, an den Wänden frißt sich der Mauerkrebs des Verfalls ins Pompejanischrot und in die farbigen Ornamentleisten.

DER EHEMALIGE SITZUNGSSAAL der Österreichisch-Ungarischen Bank strahlt noch immer etwas von der Atmosphäre eines Salons im feudalen Jockeyclub aus. Ein Zimmer in Prachtausgabe, ein Herrenzimmer für die Herren der Finanzpolitik. Unverändert in seiner noblen Gediegenheit erhalten: Holzvertäfelung, braungoldene Ledertapeten, ein großer Kamin, die Holzdecke schließt den Raum zur harmonischen Einheit. Nichts Protziges, keine Materialhochstapelei, denn Heinrich v. Ferstel antizipierte in gewisser Hinsicht Adolf Loos mit seiner Forderung nach der Echtheit und Ehrlichkeit des Werkstoffs.

Sogar das ganzflgurige Porträt des jungen Kaisers Franz Joseph überdauerte unbeschädigt Geschichte und Zeitgeschichte. Seit Jahren hält hier der Österreichische Akademikerbund seine Versammlungen und Diskussionen ab. Unter den Wappen der Königreiche und Kronländer, die weit her aus dem braunen Dämmer der Eichendecke hervorleuchten, ent- spinnen sich die Dialoge mit dem Heute.

Es gibt eben mehr Dinge zwischen Herrengasse und Freyung, als man in der Flüchtigkeit des Alltags wahrzunehmen vermag.

Wie lange noch?

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