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VOM SCHÖNBRUNNER SCHLOSS wird immer geredet. Die Flügel der Geschichte um-rauschen „la deliziosa imperial Residenza“, wie sie Metastasio in seiner hochtönenden Ode von 1776 preist. Der Park, der mit seinem Flächenausmaß der Inneren Stadt gleichkommt, ist ein Programmpunkt für jede Fremdenrundfahrt, allenfalls kommt noch die Menagerie dazu. Aber daß es eine große Geschichte der Schön-brunner Gärtner gibt, wissen nur wenige. Man bewundert die Blumenbeete, den leuchtenden Teppich des Parterres, geht zuweilen, wenn es eine Sonderschau gibt, auch ins Palmenhaus, läßt sich im Warmwasserhaus etwas von der Victoria regia erzählen — und damit ist es aus mit den Schönbrunner Gärten und ihren Hütern. Allein schon die Märe von der Victoria regia ist jedoch nicht ohne Tragik und Hintergründe. Am Neujahrstag 1837 erblickte — wie auch ernste Fachwerke berichten — Robert Schom-burgk am Berbicefluß in Britisch-Guayana angeblich zum erstenmal die größte Seerose; große und kleine Lexika verfehlen nicht, mitzuteilen, daß diese Wasserpflanze nach der Königin Victoria von England benannt worden sei (und zwar durch den englischen Botaniker Lindley, der sie beschrieb). Nichts wird man aber in den Nachschlagwerken von einem Hinweis auf den österreichischen Forschungsreisenden Thaddäus Haenke finden, der schon zwischen 1800 und 1801 die größte Blume der Welt am Mamore, einem Nebenflusse des Amazonas, entdeckt hat. Haenke ist ein Schönbrunner Schicksal von vielen. Joseph II. hatte dem Manne, den Karl VI. auf die Empfehlungen von Jacquin in seine Dienste genommen hatte, sogar die Erlaubnis zu einer Auslandreise versagt und erst nach der Unterfertigung eines Reverses, nach der Reise wieder nach Oesterreich zurückzukehren, in Laxenburg die Erlaubnis erteilt. Einsam und verlassen starb der Entdecker der Victoria regia 1817 in Südamerika. Neben Haenke stehen aber noch viele bedeutende Namen in der Ehrenliste der österreichischen Gärtner. Zwar ist der Schönbrunner Pflanzengarten auf die Wirksamkeit der Holländer zurückzuführen. Auf Empfehlung Gerhard van Swietens wurde ein Jahr nach der Gründung der Menagerie ein „holländisch-botanischer Garten“ durch Adrian van Stekhoven eingerichtet. Als sein Gehilfe kam van der Schot nach Wien, der Jacquins Begleiter auf dessen erster Reise war, die nach Westindien führte. Stekhoven und der aus Leyden stammende Nikolaus Jacquin, der an der Wiener Universität ein Denkmal besitzt, bezeichneten geradezu ein Zeitalter der Botanik in Oesterreich. Aber auch bei Hofe pflegte man die Gartenkunde. Die Erzherzoge Anton und Johann hatten auf der westlichen Seite des Glorietteberges eine botanische Anlage eingerichtet. In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts befand sich in Schönbrunn eine Alpenanlage, die vierzig Campanula- und Draha-Arten, dreißig Nelkensorten, fünfzigerlei Primeln, an die dreißig Ranunculus- und hundert Saxifraga-Arten enthielt. Die Erzherzoge übten Linnes Methode,welche schon Goethe so gefesselt hatte, und zwar im jetzt zugänglichen Kammergarten, wo die 24 „Klassen“ durch 24 Beete mit 400 zumeist einheimischen Pflanzen dargestellt waren. Maximilian, der spätere Kaiser von Mexiko, war von einem Hofgärtner bei seiner brasilianischen Reise begleitet. Und noch in der Abendsonne des Habsburgerreiches, als auf der Reitbahn nächst dem Kammergarten der alte Kaiser ritt, hat der Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand von seiner Weltreise seltene Pflanzen, vorweg Orchideen, gewidmet.

AUFBAU UND NIEDERGANG und wieder glanzvoller Aufstieg! Ein österreichisches Wunder besonderer und dauernderer Art als wirtschaftliche Konjunkturen bezeichneten Schönbrunn und seine Gärten. Es mag als ein Symbol gelten, daß nach dem Kohlenmangel des ersten Weltkrieges, der viele Schäden gebracht hatte, sogleich an die Auffüllung der Bestände gegangen wurde, daß nach dem zweiten Krieg, als Bomben das Palmenhaus schwer beschädigt hatten, auch diese Wunderwelt wiedererstand, •laß durch großzügig bereitgestellte ERP-Mittel der Grundstein zu der Höheren Bundeslehr-und Versuchsanstalt für Gartenbau nächst dem Hetzendorfer Tor des Schönbrunner Parkes gelegt werden konnte. Die Errichtung einer solchen Anstalt, die einem dringenden Verlangen der österreichischen Gärtnerschaft nachkam, war um so gebotener, als infolge der Gebietsverluste im Jahre 1918 die 1895 durch den regierenden Fürsten Johann II. von und zu Liechtenstein in Eisgrub gegründete Höhere Obst- und Gartenbauschule unserem gärtnerischen Nachwuchs entzogen wurde. Im Rahmen des 1951 in Wien stattgefundenen Internationalen Gartenbaukongresses wurde die neue Lehranstalt mit dem festen Willen eröffnet, nicht allein die schönste, sondern auch die beste Gartenbauschule Europas zu sein, würdig den großen Ueberlieferungen der Schönbrunner Gärtner.

EIN AUCH NUR FLÜCHTIGER RUNDGANG durch die Gartenbau- und Versuchsanstalt, wie wir ihn dank des besonderen Entgegenkommens der Direktion und der einzelnen Lehrkräfte unternehmen konnten, dauert mehrere Stunden. Sagen wir es gleich vorweg: man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Der Schultrakt beherbergt im Kellergeschoß zwei maschinentechnische Laboratorien für Studien zur Obst- und Gemüseverwertung, ein Photoatelier samt Dunkelkammer, eine verblüffend großzügige Badeanlage, Garderobe- und Schuhputzräume für die externen Schüler. Von hier aus fuhrt ein Ausgang unmittelbar ins Freie, so daß nach der Gartenarbeit ein Betreten der Räume im Erdgeschoß mit verschmutzten Schuhen vermieden wird. Unter dem anschließenden Wohntrakt liegen das zwei Stock tiefe Zentralheizungshaus, der Koksbunker und die Parteienkeller, Vorratsräume, wieder Waschanlagen für die Internisten und die Elektro-zentrale. Die eigentlichen Unterrichtszimmer sind von Licht geradezu durchflutet. Es gibt einen Zeichensaal, wo wir lange einer Schülerin am Reißbrett zusahen, die mit dem Entwürfe eines Schwimmbades für Innsbruck beschäftigt war. Es gibt Klassenzimmer mit 3 5, ein Chemielabor mit 18 Plätzen, wo wir wieder lange vor der gläsernen Wunderwelt anhielten, dann schnell einen Blick in den schmalen Raum machten, wo Orchideen auf Nährböden den langjährigen Weg zur vielbewunderten Blüte antreten — „kommen Sie in sieben Jahren wieder“, sagte bei dieser Gelegenheit gleichmütig unser Begleiter. Sieben Jahre Mühe und Arbeit — und dort in den Glasgefäßen kleine, grüne Spitzen, die gar nicht nach Glanz und Prunk aussehen I Nun, zwar steht die Erprobung von Neuzüchtungen, die Wiedereinführung alter, wertvoller, aus den Sortimenten verlorengegangener Kulturpflanzen, die Erprobung von Klimafestigkeit und die Reorganisationsarbeit für Schönbrunn an der Spitze der botanischen Ausbildung. Aber ebenso hören wir auch von intensiven Bemühungen um den heimischen Gemüsebau (Salat unter Plastikfolie in Neusiedl) und bei aller Poesie der vielen Blumen und Blattpflanzen ringsum haben wir die recht realistischen, mit Steckstiften • versetzbaren Schnüre nicht übersehen, welche Erzeugerpreis und Verkaufspreis von Gemüse graphisch einprägsam festhalten — das ewige Thema in jedem Frühjahr oder bei einer plötzlich einsetzenden Schlechtwetterperiode.

Neben dem Gemüsebau wird der Gartentechnik (Erprobung neuer Arbeitsmethoden und Uihk Wmssäimi Bodenkultur facMfHie Untersuchung zuteil. Allein einige der in den Gängen und Zimmern ausgestellten Karten sagen mehr als mehrere Reisen durch Oesterreich. Da ist der Beginn des Vorfrühlings, jener der Kirschblüte, die Zeit der Kartoffellegung, der Beginn des Hochfrüblings für einzelne Bundesländer zu verfolgen.

DIE LANDSCHAFT KANN MAN VERMESSEN und technische Bauten hineinplanen', aber wehe dieser Ländschaft, wenn keine innere Beziehung zu ihr besteht. Doppelt interessiert besehen wir uns daher die gartenarchitektöni-sche Lösung auswärtiger Städte, von denen wir nur voll Mißmut auf eigene bürokratische Hemmnisse zurückblicken. Eine Schule wie jene in Schönbrunn, wo augenblicklich 53 Burschen und 22 Mädchen lernen, müßte eine hervorragende konsultative Rolle in der Gestaltung der Landschaft und des Ortsbildes zugewiesen erhalten. Fähigkeiten sind genug vorhanden. Das Ausland — wie denn nicht! — schätzt sie längst. Absolventen sind in der Schweiz, in Deutschland, in Italien und — so schließt sich der Kreis — in Holland tätig. Alle Bauherren von Stauwerken, Kraftanlagen, Industrieobjekten müßten verpflichtet werden, Fachleute aus Schönbrunn heranzuziehen. Wir sehen, daß beispielsweise für Rasthäuser und Parkplät“ an der entstehenden Autobahn bereits von Schönbrunn Entwürfe gemacht werden. Wir schrieben es bereits früher einmal und müssen es immer wieder betonen, daß gerade die Technisierung der Zeit eine Stärkung eines der Natur verbundenen Denkens verlangt, Menschen mit einem gesamtheitlichen Lebensgefühl. Wer anders als der Gärtner, der in der Natur, mit ihr und durch sie sein Weltbild formen kann, wäre berufener, den technisch-biologischen Mißgewächsen der Gegenwart seine rodende Hand zu leihen? Eine harmonische Spannbetonbrücke — schön! Ein Sgrafitto auf dem Bogen, gut! Eine symbolische Plastik an der Straße — alles recht! Aber alles Menschenwerk muß eine ursächliche Beziehung auf die Umwelt haben. So gesehen, erwächst der Schönbrunner Schule, der eine Einbeziehung in das Gesamtschulwesen Oesterreichs und eine legislatorisch untermauerte beratende Funktion zu wünschen wäre, eine ganz große Bedeutung. Die Hände der Miinner, die vor uns im Freigelände in der Erde wühlen, könnten die Gärtner der Zeit werden — wenn man sie gewähren läßt.

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