6543716-1947_02_15.jpg
Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

Werbung
Werbung
Werbung

57. Fortsetzung

„Nach allem, was ich von ihr annehme und weiß und wie ich sie mir vorstelle und wenn sie dir gleicht, wäre sie bald ein höchst unglücklicher Mensch. Du hast nicht bloß für deine Karte, auch für dein eigenes Leben hast du einen anderen Maßstab gewählt. Jetzt ist es darauf angelegt und du mußt ihn durchstehn, willst du dein eigenes Leben nicht verpfuschen. Der gewöhnliche Maßstab für ein glückliches Leben gilt da nicht mehr. Überdies ist es nicht so weit, und es kommt auch gar nicht dazu. Sie können dir weder das südliche Tirol aufhalsen, denn das kostet wieder Geld und beleidigt den Sperges, nodi können sie von dir fordern, daß du deine eigene Karte verpfuschest.“

„Ich könnte es auch nicht mehr leisten“, sagte Peter.

Die Leni schmerzte es vor allem, daß wieder von einer neuen Arbeit die Rede gewesen war. Diese Möglichkeit hätte der Professor gar nicht andeuten dürfen, meinte sie, aber nun sei es geschehen, und sie könnten nur den Herrgott bitten, daß er das Unheil abwende.

Ein ujiheil sei es ja nicht, sagte der Blasius, sondern im Gegenteil eine ganz außergewöhnliche Ehre, wenn man eine eben vollendete Karte von einem Freiherrn nun von einem Bauern neu vermessen lassen müsse, aber da es auch neuerlich Geld koste, werde man sich jetzt knapp nach dem unglücklichen Kriege schwerlich dazu entschließen und daher alles beim altpn lassen.

Auch der Kramerschwager ladite über die unbegründete Angst. Schließlich sei der Professor in allen Kartenfragen die entscheidende Person. Seinen Gründen könne sidi nicht einmal die hohe Reditsgelehrsamkeit in Wien entwinden.

Nur der Erhardt legte, als er den ganzen Sachverhalt erfuhr, die Stirn in Falten. Auftrag sei Auftrag, das sei ihm von seiner Dienstzeit her geläufig, und das gelte audi wohl in der kaiserlichen Kanzlei. Außer, die Kaiserin selbst sei an der ganzen Geschichte interessiert, und das setze er auch voraus. Im übrigen treffe die ganze Schuld den Professor. Das abe^- wollte Peter am wenigsten hören.

Er fuhr aber jetzt täglich mit seinen Leuten ins Holz, und wenn es allzuarg schneite, suchte er sich im Stall oder in der Scheuer eine Arbeit. Die Karten und die Bücher rührte er nicht an. Audi mit der kleinen Lucia spielte er des öftern, und das Kind verlangte bald nach seiner Gesellschaft.

Am T|age nach Dreikönig, sie kamen eben vom Ranggener Walde heim, sahen sie den Innsbrucker Schlitten wieder vor dem Hause sthen. Peter lief sogleich voran, dodi als die andern nachkamen, fanden sie ihn bereits in der Küche, und vor ihm lag ein Häuflein zerfetztes Papier.

„Ach Gott im Himmel“, rief die Leni, „so lag doch, was geschehen ist.“ Dann lief sie in ihrer Angst zum Erhardrnachbarn. Als sie zurückkam, hatte Peter den Brief wieder zusammengefügt und sie konnten ihn mit einiger Mühe entziffern. Es stand aber darin von des Professors Hand, der man anmerkte, wie sie im ersten Zorn geschrieben hatte, daß der Graf betrübliche Nachrichten aus Wien mitgebricht habe. Das Unwahrscheinliche, das unter vernünftigen Menschen Unmögliche, sei nun wahr geworden. Man habe dem Feldmesser Peter Anidi auch den südlichen Landesteil neu aufgetragen, bestehe also auf einer Karte des ganzen Landes, aber man fordere im gleichen Atem, daß diese nun das ganze Land Tirol umfassende Karte im kleinen Maßstab des Freiherrn von Sperges gehalten werde. Peter müsse also vorerst die Karte von Nordtirol umzeichnen, so gut das eben gehe, und dann zur Neuaufnahme südlich des Brennerpasses schreiten. Der vorgeschriebene Maßstab sei eben für eine Karte noch angängig, größere Karten seien weder üblich noch brauchbar. Im übrigen bleibe es bei den gleichen Bedingungen.

„Da baut einer eine neue Kirche mit einer feinen Fassade“, sagte Peter, „und wenn er fertig ist, zwingt man ihn, daß er sein Bauwerk niederreißt und um die Hälfte kleiner neu aufbaut, ob sich dann die Leut an dem Türstock die Köpf blutig stoßen, ob sie in den; Bänken noch sitzen können, das bekümmert die Herren nicht. Oder man zwingt dich, den Türken, bald er schön aufgegangen ist, auszureißen und auf dem

halben Feid die gleiche Zahl von Samenkörnern auszusäen. Er wird schon noch auf-gehn, aber mehr als ein brauchbares Grünfutter trägt das Feld jetzt nicht. Oder man heißt einen Feldherrn die halbgewonnene Schlacht abbrechen und von der falschen Seite her nodi einmal angreifen, mit der Halbsdieit seiner Truppen, auch wenn man sidier weiß, daß er dann gesdilagen wird. Ich hätt schon bei meinen Sternen verbieten müssen.“

Sie saßen lange schweigend herum, und Peter klebte den Brief wieder sauber zusammen. Ob er jetzt gleich nach Innsbruck

fahre? fragte Leni nach einer Weile, oder ob er dem Knecht einen Antwortbrief mitgebe? Mündlich sei das doch alles leichter zu bereden.

„Ich fahre weder noch schreibe ich einen Brief“, sagte Peter, „ich könnt audi keinen schreiben, heute nicht. Der Professor hat auch genug am Herzen, als daß er noch meinen Brief braucht.“ Dann ging er langsam aus dem Haus und zum Nachbarn, wo der Knecht am Herdfeuer neben der kleinen Lucia wartete.

„Wenn du nach Innsbruck kommst, sag dem Herrn von Weinhart, ich will ihn auch diesmal nicht im Stich lassen.“ Der Erhardt aber war jetzt nachgekommen. „Der Peter ist ein Bauer“, sagte der Erhardt, „und wenn dem Bauern ein Hagel über das Feld kommt, dann baut er eine andere Frudit nach. Die gleiche Ernte gibt das dann nicht, aber audi etwas Verwendbares.“

„Ja, das kannst du ihm sagen.“ Peter ließ sich müde auf die Bank fallen, „er soll nur ganz ruhig sein, an mir wird es nicht liegen.“

21. Kapitel

In ihrer letzten Nummer des Jahrganges 1764 brachte die Montägige „Ordinari Zeitung“ die Nachridit, daß die seit langem vorgesehene Vermählung des Großherzogs von Toskana, Erzherzog Leopold, mit der Infantin Maria Louise von Spanien in Innsbruck stattfinden werde, unc^ zwar in den ersten Julitagen des kommenden Jahres. Von diesem Tage an waren die Flofberichte des Innsbrucker Blättdiens alle auf das kommende Ereignis abgestimmt, ob die Kaiserin nun einen fremden Gesandten empfing, ob Schiffe und Wagen für die kaiserliche Reise in Auftrag gegeben wurden, ob bereits die Reisegesellsdiaft, die der Infantin bis Genua entgegenziehen sollte, in allen Einzelheiten genannt ward. Selbst entfernte, ja durchaus nebensächliche Dinge des täglichen Hoflebens wurden auf das näherrückende Fest hin gedeutet. Daß der bereits wiederholt verschobene Kaiserbesuch diesmal ernst beabsichtigt war, dafür zeugten bald gewichtige Einzelheiten. So traten, wie die „Ordinari Zeitung“ genau beschrieb, bereits in den ersten Wochen des neuen Jahres — und der milde Winter erlaubte es — zahlreiche Zugschiffe mit nützlichen Waren die umständliche Fahrt die Donau und später den Innfluß aufwärts an. Aber auch der Reiseweg des Hofes ward bereits bis auf den Tag festgelegt. Von Wien nach Graz, dann in drei Partien über Leoben, KJagenfurt, Lienz, Brixen und den Brennerpaß nach Innsbruck.

Was sie mit eigenen Augen bemerken konnten, stimmte die Innsbrucker indes bald festlich genug. Obgleich es noch gute Weile hatte, wurden schon jetzt die wichtigeren Gassen und Straßen gesäubert. Jene Wege aber, die man den Hofwagen wohl zubilligen konnte, wurden aufgerissen und neu mit Steinen belegt. Auch von neuen Laternen war die Rede. Offene Gruben wurden schon im Frühjahr mit Brettern überdeckt, die Stadtgräben, in denen das Wasser in der heißen Jahreszeit faulte, mit Schotter and

Erde ausgefüllt. Audi die Wege unter den Lauben wurden aufgefüllt und neu gepflastert, die unter den Bogen angesiedelten Verkaufshütten aber auf den Burggrabenmarkt über tragen. Das alte Vorstadttor mit seinen drei Türmen war längst der Schrecken der Fuhrleute, nun kamen schon im März die Maurer und rissen den Torbau nieder, aber auch die angebauten Häuser, und der Entschluß der Stadtväter, den geplanten Triumphbogen nicht bloß aus Holz und allein für die Festtage, sondern aus den beim Abbruch gewonnenen Steinen für alle Zeiten und zum Andenken an jenen denkwürdigen Besuch zu errichten, ward allgemein belobt. Bloß die Bildwerke sollten vorerst aus Holz und Gips verfertigt werden, die riesigen Pyramiden mit den Göttinnen der Unsterblidikeit und der Glückseligkeit, die Sternenkränze und Wappen und Schilde und Engelfiguren und Waffen, aber auch — die knappe Zeit gestattete eine endgültige Arbeit nicht — die Statuen des kaiserlichen Paares und die Büsten des bräutlichen.

Dies alles erfuhren die Innsbrucker aus ihrer Zeitung oder sie merkten es bald täglich mit eigenen Augen. Was jedoch dem allerhöchsten Besuch in den Kanzleien als würdige Überraschung zugedacht war, stand nirgendwo zu lesen, und es wußten darum auch nur die Eingeweihten. All den vielfältigen und schönen Dingen voran aber stand bald die neue Landkarte des Peter Anidi.

Diesmal hatte Graf Enzenberg selbst die Karte in den Vordergrund gerückt, und Herr von Weinhart versprach, daß er wenigstens die neuen Blätter von Nordtirol zur. rechten Zeit und in sdiönen Stichen liefern werde. Sehr viel Freude hatte er an diesem Auftrage nicht. Wenn Peter auch die beiden ersten Blätter bereits vor Weihnachten fertig-gezeichnet hatte und audi diese Blätter sidi a4s brauchbar erwiesen, so konnte doch nur einer an ihnen Gefallen finden, der die erste, die herrliche Karte noch nie gesehen hatte. Dies war aber um so schmerzlicher, als nach allen vorläufigen Andeutungen der Graf mit dem Gedanken umging, den Professor samt seinem Schüler dem kaiserlidien Paare vorzustellen, ja Peter selbst die Karte überreichen zu lassen. Diese Audienz sollte nach seinem Plan neben der Vermählung das wichtigste Ereignis der festlichen Tage werden, ein Ereignis, ebenso unerhört als ehrend und einmalig in der Welt: der bäuerliche Wundermann vor der Kaiserin. •

Peter zeichnete indes daheim Tag und Nadit und, da die Blätter immerhin halbwegs hersahen, auch nicht ganz ohne Freude. Dabei war er ganz still geworden, er redete auch nur mehr mit seinen Leuten und sann, auch wenn er unter ihnen saß, schweigend in s'ch hinein.

Mit den ersten feuchtkalten Tagen im November überfiel ihn wiederum das alte Fieber. Leni hattej die Krankheit längst befürchtet. Er blieb diesmal aber bei Sinnen, ja er gebärdete sich im Bette munterer denn zuvor. Bald bat er wieder um seine Zeichenblätter, und der Hörtnagl schmiedete ein eisernes Gestell, der Blasius zimmerte die Bretter zurecht. So konnte er sitzend zeichnen, die Karte erlitt kaum eine Verzögerung.

Blasius kam, sobald der Türken gerebelt war, wieder jeden Tag. Sie verglichen dann die alte und die neue Karte miteinander, audi fragte der Hueberisdie um alle möglidien Gegenden, ließ sie sich beschreiben, wollte die verschiedenen Merkwürdigkeiten wissen und zeigte sich bald in Tirol, audi in den entfernteren Tälern, daheim wie Peter selbst. Peter trieb dieses gemeinsame Spiel mit Eifer, denn er kam dabei auf manche Unklarheit, die er selbst übersehen hätte. Eines Tages, da er wieder schwädier war, ließ er den Jüngeren auch ein kleines Stück der Karte zeidinen, es war die nähere Umgegend von Jenbach, und Blasius entledigte sich des Auftrages mit so viel Sauberkeit, daß kein Mensdi, auch Peter selber nicht, irgendwelchen Unterschied merken konnte. „Wenn du dann nächstes Jahr nach Südtirol gehst, geh ich als dein Gehilfe mit dir“, sagte Blasius überglücklich, „ich kann schon noch auf die Berge, und das Vermessen werd ich schon noch lernen.“

Aber Peter schüttelte den Kopf. Dazu komme er sidier nicht, meinte er. Und wenn er auch dazu käme, dann nähme er bloß

seine alten Gehilfen aus Klausen mit, niemals aber dert Blasius. Am Ende täten sie dann auch ihn in die Welt hinausjagen und um den Frieden bringen. Das Kartenzeichnen aber sei wahrlich ein ungutes Geschäft. Er lächelte bei diesen Worten.

Am Tage nach Lichtmeß legte er dann dem Professor die drei fertigen Blätter auf den Tisch. „Schlecht ist die Karte ja auch nicht“, sagte Herr von Weinhart. „Jetzt werden wir sie dem Herrn Sauer zum Stechen geben.“ Er legte Peter auch einige Köpfe und Figuren vor, die der alte Schauer nach Entwürfen des Freiherrn Lactanz von Firmian gestochen hatte, denn er hatte sieben Jahre hindurch in Salzburg bei jenem Künstler-gearbeitet. Ein ausgezeichneter Porträtstecher sei freilich noch immer kein guter Landkartenstecher, brauche keiner zu sein, setzte er hinzu, man werde ihn deshalb erst einmal die Umgegend von Innsbruck auf ein kleines Kärtchen stechen lassen.

„Ich habe nur noch immer gehofft, daß ich die Karte selber stechen darf“, sagte Peter betrübt.

Herr von Weinhart lachte. Das sei aus zwei Gründen nicht möglich. Wenn Peter schon das Unmögliche zustande gebracht habe, eine ganz passable Karte in so geringem Maßstab, daß er selber noch seine Stechkunst an ein aufgezwungenes, ja unsinniges Werk versdiwende, sei denn doch zu viel. Am Ende behielten ja die Herren in Wien noch recht. Im übrigen sei aber sein Platz im kommenden Frühjahr nicht in der Stube am Stechertisch, sondern am Meßtisch irgendwo im Etschtal.

„Den ersten Grund weiß ich wohl zu würdigen“, sagte Peter, „den zweiten läßt mich mein Gehorsam billigen. Und das Etschtal werde ich im Frühjahr schon noch er-madien. Es soll dort einen wundersamen Frühling geben. Ob ich noch auf einen Berg komme, weiß ich nicht.“

Doch als er auf dem Heimweg den geringen. Berg nach Perfuß hinauf zehnmal verschnaufen und sogar über eine Stunde insgesamt rasten mußte und schweißtriefend ankam, obgleich ein frischer Wind von den Kalkkögeln her pfiff, schrieb er nodi am nämlichen Abend einen langen Brief. Er habe seinen Auftrag, das nördliche Tirol zu vermessen, erfüllt, schrieb er an Herrn von Weinhart, auch auf den ausdrücklichen Wunsch und sehr gegen sein Gemüt, ja oft in wahrer Verzweiflung seine gelungene Karte in eine weniger schöne verwandelt. Einen anderen Auftrag habe er damals nicht erhallten. Bei einer nur etwas gebesserten Gesundheit wolle er auch diese Arbeit für die Kaiserin und seinen verehrten Professor auf sich nahmen, an Willen mangle es wahr-hV nicht. Aber nidit bloß sein Gehör habe abgenommen, er sei heute mit seinen dreiundvierzig Jahren schwächer als ein alter Mann. Die auf den Bergen in jedem Wetter

und Unwetter und an eine ungute Arbeit verschwendete Kraft könne weder der Wille noch ein gutes Wort noch irgendwelche menschliche Gnade wiederbringen.

Als aber der Kramerschwager den langen beschwerlichen Brief mit sich in die Stadt genommen hatte, gereute es Peter bis ins Herz, und der Brief, den er drei Tage später durch einen Extraboten aus Innsbruck empfing, war eigentlich so recht nach seinem reumütigen Sinn. Ob ihn denn jemand abrede, ward da gefragt, und er könne doch nicht jetzt ihn, seinen alten Lehrer, sitzen lassen und sich die Ungnade der Kaiserin erwerben, knappe fünf Monate vor dem kaiserlichen Besuch. (Fortsetzung folgt)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung