6819078-1973_24_16.jpg
Digital In Arbeit

Die Welt der Ringstraße

19451960198020002020

Jahrzehntelang hatten blinde Funktionalisten und'Puristen sie gegen alle Einwände einsichtigerer Beurteiler als häßlichen Architekturstilpantsch verurteilt, als Ausgeburt bürgerlicher Geschmack- und Stillosigkeit, als Produkt phantasielosen Protzen-tums'. Jetzt feiert sie dennoch ihr großes „Comeback“: Die Wiener Ringstraße, eine der bedeutendsten städtebaulichen Leistungen des 19. Jahrhunderts und obendrein ein Gesamtkunstwerk, dem für Wien und Österreich geradezu symbolische Bedeutung zukam, ist große „Denkmalschutzzone“ geworden; auch wenn das sie endgültig rettende Altstadtgesetz (vermutlich aus Spekulationsgründen) noch immer auf sich warten läßt.

19451960198020002020

Jahrzehntelang hatten blinde Funktionalisten und'Puristen sie gegen alle Einwände einsichtigerer Beurteiler als häßlichen Architekturstilpantsch verurteilt, als Ausgeburt bürgerlicher Geschmack- und Stillosigkeit, als Produkt phantasielosen Protzen-tums'. Jetzt feiert sie dennoch ihr großes „Comeback“: Die Wiener Ringstraße, eine der bedeutendsten städtebaulichen Leistungen des 19. Jahrhunderts und obendrein ein Gesamtkunstwerk, dem für Wien und Österreich geradezu symbolische Bedeutung zukam, ist große „Denkmalschutzzone“ geworden; auch wenn das sie endgültig rettende Altstadtgesetz (vermutlich aus Spekulationsgründen) noch immer auf sich warten läßt.

Werbung
Werbung
Werbung

Immerhin, es ist schon ein Fortschritt, wenn Versicherungen, Banken, Realitätengesellschaften, die bisher um ihres Geschäftes willen hemmungslos dieses Kunstwerk zu ruinieren, ja zu demolieren bereit waren, endlich gezwungen werden, Fassaden und kostbar ausgestattete Innenräume im Originalzustand zu belassen. Und wenn manche wie die CA es sich sogar neuerdings freiwillig eine Menge kosten lassen, da zum Beispiel einen Palastbau von Tietz und dort vielleicht ein Bankgebäude von Ferstel zu retten.

Es ist wahrscheinlich charakteristisch, daß die Rettungsaktionen nicht auf österreichische oder gar Wiener Initiative hin „ausgebrochen“ sind. Vielmehr mußten sich zuerst der Böhlau-Verlag, dann der Wiesbadener Franz-Steiner-V erlag auf das verlegerische Risiko des voraussichtlich 14bändigen Momi-mentalwerks „Die Wiener Ringstraße“ einlassen und die Thyssen-Stiftung für rund zehn Jahre Vorarbeiten bisher an die acht Millionen

Schilling investieren, um dem „Wunderwerk Ringstraße“ seine eigentliche Bedeutung zurückzugeben. Im Ausland, in der BRD wie in Frankreich oder Italien, wo die Ablehnung des 19. Jahrhunderts nie so exaltierte Ausmaße angenommen hatte wie hier, wußte man (auch Kunsthistoriker!) die Bedeutung des Historismus und die Substanz des Rings längst richtig einzuschätzen, als hierzulande noch biedere Mittelsohulleihrer gegen diese Kunst polemisierten, ja diesem Stil sogar überhaupt jede künstlerische Qualität abzusprechen wagten. Experten wie Renate Wagner-Rieger, die das „Ringstraßen“-Werk herausgibt, standen da auf scheinbar verlorenem Posten: Proteste 3egen Demolierungen, skandalöse Fassa-denabschlagungen (zum Beispiel am Kärntnerring), Verschandelungen der Portale durch Autosalons und Büros, stießen auf taube Ohren.

Die Situation hat sich freilich gebessert: Äußere Anzeichen für den Gesinnungswandel sind etwa die

Ausstellungen „Die Welt der Ringstraße: Wien 1850—1900“., im Historischen Museum der Stadt Wien, „Mode des Historismus“, im Schloß Hetzendorf, oder „Die romantische Bilderwelt des Wiener Opernhauses“, eine besonders sehenswerte Schau der berühmten Kartons Schwinds, Engerths, Lauf-bergers, Grdepenkerls und all der anderen einst hochberühmten Maler, die die sagenhaft schöne (größtenteils durch den Krieg zerstörte) Freskenausstattung des Van-der-Nüll- und Siccardsburg-Baues entworfen hatten. (Gerade dieser Ausstellung kommt um so größere Bedeutung zu, als der Steiner-Verlag gerade den 4. vorzüglich gestalteten „Ringstraßen“-Band: „Das Wiener Opernhaus“ vorlegt.) Auch Bundes-denkmalamt und verschiedene Abteilungen der Gemeinde Wien bemühen sich, am Ring an Substanz zu bewahren, was noch zu bewahren ist. (Dr. Kapner etwa experimentiert sogar an der Neuinstandsetzung abgeschlagener Fassaden usw.). Und auch der Kunsthandel beginnt das Kunstgewerbe der „Makart“-Zeit wieder zu entdecken.

Aber ist damit auch schon die Ringstraße gerettet?

Sicher nicht. Solange staatliche Stellen sich die Blamage leisten, Bauwerke wie die neue Polizeidirektion am Ring zu errichten — da zu klein geplant, wird sie wahrscheinlich von der Polizei wieder verkauft und vom neuen Eigentümer abgerissen werden —, solange ist auch der Ring nicht gerettet... Und man könnte auch sagen: Solange diese Straße nur noch aus Bürohäusern besteht, lebt sie nicht. Die Sperrung der großen Ringstraßencafes, des „Kaisergarten“, „Gartenbau“, „Stadtpark“, „Bastei“, also von insgesamt 25 von 29 berühmten Lokalen, von denen zuletzt soeben das „Promenadencafe“ einer Bank verkauft wurde, hat natürlich

Schlagzeilen gemacht. Aber dieses „Sterben“ hat zugleich den Barometerstand angegeben: nämlich die gesellschaftliche, wirtschaftliche und geistige Verödung der Wiener Prachtstraße, des Symbols der einstigen Metropole und ihres weltstädtisch-eleganten Lebens. Der Grund: das in zwei Jahrhunderten zu Macht und ungewöhnlichem Reichtum aufgestiegene Großbürgertum, das sich seit Österreichs Verlust der politischen Vormachtstellung in Europa, 1866, ganz nach innen gewandt hatte und hier, in der k. k. Haupt- und Residenzstadt, am luxuriösen Prachtboulevard ein letztes Mal selbst inszenierte..., dieses Bürgertum hatte seine Funktion verloren.

Schon 1938 hatte die 1857 auf kaiserlichen Wunsch auf den Fundamenten der alten Stadtwällen entstandene Prachtstraße in den Privatvierteln schlagartig ihr gesellschaftliches Leben eingebüßt. Was Großindustrie, jüdische Bankiers, Neugeadelte zwischen 1860 und 1E90 als Privaitpalais und Luxusappartementhäuser errichtet hatten, konnten die neuen Mieter nicht halten. Und wegen der nach 1950 rapid hochschnellenden Erhaltungskosten war an neue Privatmieter kaum noch zu denken. Ja, außer Banken, Versicherungen und Realdtätenge-sellschaften wollte sich angesichts der unsicheren Zukunft niemand mit diesen Palästen belasten. An die Stelle repräsentativer Haushalte einzelner, einer großbürgerlichen Gesellschaft, die sich den Glanz des alten Feudalstils zu eigen gemacht hatte, trat die anonyme Gesellschaft: In die kunstvoll getäfelten und stuckierten, mit Fresken und Gemälden bedeckten Beletage-Räume, sind Wirtschaftskonzerne, Schönheitssalons, Büros aller Art eingezogen, die wenigstens die Pflicht auf sich nahmen, die historische Staffage, Hauptbestandteil des Monuments Ringstraße, zu bewahren. Aber in die Lokale der Cafes und Restaurants kamen Autosalons, Banken, Fluggesellschaften, Reisebüros. Und sie schonten oft nicht einmal die Palaisfassaden, sondern blendeten ihre Marmorportale mit Alu-Türen vor.

Österreichs „linke ReichshälHe“ hat diese Entwicklung der letzten Jahre mit Freude verfolgt. Denn die einstige Wohnballungszone der Hochfinanz und Nobilität mußte schon aus wahltaktischen Gründen zerschlagen werden. Wie auch die „Nobelviertel“ Döbling, Hietzing oder die Prinz-Eugen-Straße: „Klassenkampf auf der Ringstraße“ wurde zum internen Slogan der Gemeinde Wien, die zusah und auch gesetzlich nichts dagegen unternahm, daß fast alle alten Prachtwohnungen systematisch in Büros umgewandelt wurden, die Ring-

straße aber damit zu einem entvölkerten Gürtel um die Innenstadt wurde: Keine Geschäfte, keine Wohnungen, kein Leben. Ein totes Monument.

Noch größeren Schaden richteten schließlich die Verkehrssituation und wenig einsichtige Stadtplanung an: Aus der einst „idealen Architekturlandschaft“ der Spaziergänger und Reiter und Karossen wurde eine staubige, verschmutzte Einbahn, eine Rennbahn, deren Ahgase salbst den Marmormonumenten so zusetzen, daß man diese wenigstens einmal jährlich reinigen muß, da sonst der Marmor „erstickt“. Sind das Lebensoder zumindest Überlebensbedingungen für den „Ring“? Der Prachtboulevard als Einbahn-Verkehrsver-teiler und Verbindungsstrecke zwischen den etwa acht bis zehn , geplanten Tiefgaragen?

Weiß Gott, ein umweltfeindlicheres, einwohnerfeindlicheres Konzept hätten die Wiener Gemeinde-Stadtplaner gar nicht erfinden können, ein Konzept, das so einfallslos ist, daß es fast Zufall sein könnte. Aber kann man da noch von einer „Rettung der Ringstraße“ reden, wo offensichtlich statt auf Revitalisierung nur auf eine „tote Zone“ hingearbeitet wird, auf eine kilometerlange Allee mit originalen Prachtfassaden, aber ohne jedes Weltstadtleben? Und vor allem: Gibt's ein stärkeres Bekenntnis zur Provinz?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung