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Ein Festival als Alibi

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Seit Gerhard Freunds Bestellung zum neuen Fest wochenin-tendanten steht es fest, daß 1979, also das zweite Jahr des großen festwöchentlichen Österreich-Zyklus, dem Wien der Zeit Kaiser Franz Josephs, also von 1848 bis 1918, gewidmet ist. Aber von Maßnahmen für die Ringstraße ist keine Rede.

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Seit Gerhard Freunds Bestellung zum neuen Fest wochenin-tendanten steht es fest, daß 1979, also das zweite Jahr des großen festwöchentlichen Österreich-Zyklus, dem Wien der Zeit Kaiser Franz Josephs, also von 1848 bis 1918, gewidmet ist. Aber von Maßnahmen für die Ringstraße ist keine Rede.

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„Vielvölkerstaat Donaumonarchie“ sollten diese Festwochen ursprünglich heißen, worauf die Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns prompt kleinlich und sauer reagierten. Und da sie die Glanzzeit der Donaumonarchie offenbar aus ihrer Geschichte am liebsten gestrichen sähen, wäre ihnen wohl auch eine Absage des Festivals am sympathischsten gewesen. Aber man einigte sich auf den Kompromißtitel „Wien 1848 bis 1918 - Metropole Europas“. Und dagegen konnte ja nun keiner etwas haben. Gerhard Freund wird also, mit Opern und Sprechtheatergastspielen und Ausstellungen aus den Staaten der einstigen Donaumonarchie, eine Bilanz der franzisko-jose-phinischen Ära ziehen. Erfolg ist ihm auf dieser Nostalgiewelle sicher, denn Wiens Belle epoque, also die Zeit der Wiener Ringstraße, ist zu einem Thema geworden, mit dem man auch international mit Interesse rechnen kann.

Allerdings machte Wiens Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner so ziemlich alle Hoffnungen, daß jetzt endlich für dieses gewaltige Monument Ringstraße im Bewußtsein der Wiener, der Österreicher, der Fremden etwas getan wird, zunichte. Denn sie machte gleich bei der Festwochen-Pressekonferenz kein Hehl daraus, wie knapp die Finanzen der Stadt Wien sind. Das Wichtigste dieser Ringstraßen-Retrospektive können wir also gleich wieder abschreiben - es wird die große Ausstellung „Die Wiener Ringstraße - Geschichte, Kultur, Kunst“ nicht geben: „Sie wissen, wie viele Millionen solche Ausstellungen verschlingen. Das haben wir einfach nicht!“ Punktum. Man will sich zwar einiges einfallen lassen, wie man die bedeutendsten Bauleistungen der Ringstraße endlich einmal öffentlich zugänglich machen und in kleinen Veranstaltungen dem Publikum zeigen könnte, man denkt an eine Art von Führer durch die großzügig gestaltete „Stadtlandschaft Ring“, vielleicht gibt es sogar einen Ringstraßenkorso. Aber die große Bilanz ist gestrichen.

Gewiß, die Finanzlage Wiens und auch die des Bundes sind nicht gerade rosig. Aber hier geht es um mehr. Wenn man sich schon endlich aufrafft, die Ringstraßenzeit, ein Aushängeschild österreichischer Kultur und Geschichte, mit der wir nur zu gern heutiges Mittelmaß zu kaschieren versuchen, zum Thema zu machen, darf man es nicht bei Halbheiten bewenden lassen.

Machen wir uns nichts vor. Das vielbändige Standardwerk über die Kunst und Kultur der Ringstraße und ihre Leistungen wird von Deutschlands Thyssenstiftung finanziert und, erscheint in der BRD. Die kunsthistorische Erforschung dieser Epoche wird im Ausland mit großer Intensität betrieben: das Münchner Institut für Baugeschichte schickt zum Beispiel Studenten nach Wien, die hier etwa Bauten Sempers aufnehmen. Bei uns ist für solche Arbeiten kaum ein Budget vorhanden. Und während man etwa in Paris nach dem großen Zentrum für neue Kunst und Kommunikation, dem Centre Pompidou, bereits eine riesige Galerie des 19. Jahrhunderts plant, spricht bei uns Bürgermeister Gratz von etwas „Totem“, wenn man laut sagt, daß ein Ringstraßenmuseum notwendig und höchste Zeit wäre. Offenbar, weil man sich in Wiens Tintenburg Nummer eins nicht einmal vorstellen kann, daß ein Museum etwas Lebendiges ist wie überall in der Welt, zwischen Moskau, Tokio und New York oder Paris und dem kleinen Saint Paul de Vence, wo Menschen in Scharen ins Museum pilgern und Schlange stehen, um Kunst zu sehen.

Und weil Bürgermeister Gratz etwa ins Palais Erzherzog Wilhelms, die frühere Polizeidirektion, „Leben“ bringen wollte, schlug er sogar vor, es in ein Altenheim umzuwandeln. Daß die alten Menschen sich allerdings in düsteren Prunksälen mit vergoldeten Kassettendecken wohl gefühlt hätten, wage ich zu bezweifeln. Immerhin, dieser Streich ist abgewendet. Jetzt soll das Institut für höhere Studien in den Prachtbau Theophü von Hansens, eines der bedeutendsten Ringstraßenarchitekten, einziehen. Und das scheint mir fast schon wie „geschenktes Leben“ für dieses wichtige Denkmal der Ringstraße!

Dennoch bleibt unverständlich, daß alle Versuche, Ansuchen, Vorschläge des Direktors des Wiener Museums für angewandte Kunst, Dr. Mrazek, unge-hört blieben. Vergeblich mahnte er jahrelang, das Juwel Ringstraße, seine kostbaren Fassaden, Plastiken, Interieurs, handwerklich bedeutenden Details (bis hin zu Türklinken und Kandelabern) endlich als Ensemble zu schützen, vor Devastierungen durch Firmen zu bewahren und die Gesamtleistung Ringstraße zu dokumentieren. Alles in den Wind gesprochen.

Jetzt veranstalten wir Festwochen im Namen der Ringstraße, vielleicht mit Blumenkorso und ein paar hübsch zurechtgemachten Palaisinterieurs. Aber mit welchen Problemen die Ringstraße wirklich zu kämpfen hat, wird man weiterhin ignorieren. Denn daß etwa Ferstels Palais Ludwig Viktor am Schwarzenbergplatz innen zur Wüste herabgewürdigt wird, wie viele Palaisfassaden trotz ungeheuer verdienstvoller Altstadtaktionen noch immer abgeschlagen dastehen, wie Interieurs noch immer demoliert werden (sogar in Häusern Ferstels, etwa Ebendorfer-straße 4, wo die Gemeinde Wien in den Räumen jetzt alle Stukkaturen abschlagen Will)... das interessiert ja niemanden. Wie's da drinnen ausschaut, geht niemandem etwas an!

Zuerst hat man jedenfalls die Zeit vergeudet, alle Probleme der Wiener Ringstraße vor sich hergeschoben, lieber erst gar nicht nachgedacht, wie der Ring im Detail zu retten wäre. Jetzt steht man mit leeren Händen da. Höchste Zeit also, daß aus feierlichen Lippenbekenntnissen zur Ringstraße, die zu sehen nicht wenige Fremde nach Wien kommen, endlich ein Programm zur Sanierung wird. Denn mit „Ring“-Festwochen allein ist nichts geschehen. Wenn wir weiter so sorglos mit diesem Kulturdenkmal umgehen, finden die nächsten „Ringstraßen“-Festwochen, vielleicht in zehn Jahren, dann ohnedies nur noch vor Fassaden statt, hinter denen vom Ring nichts mehr erhalten ist.

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