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Rathaus- oder Rummelplatz?

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Erst wurde der Großparkplatz zwischen Rathaus und Burgtheater geräumt, denn der Blick von der Ringstraße zum Amtssitz des Wiener Bürgermeisters sollte doch nicht durch eine riesige Autoschau gestört werden. Dann hatte man einen weiten leeren Platz vor sich, und die Oppositionsparteien höhnten: „Nun wissen wir es, auch Wien sollte seinen .Roten Platz* ä la Moskau erhalten.“ - Ganz wohl dürfte so manchem Rathauspolitiker angesichts der Weite des Platzes ohne ersichtlichem Sinn und Zweck aber doch nicht gewesen sein, denn man ging auf Suche, diesen Platz neu und eindrucksvoll zu gestalten. Aber wie?

Maifeiern und Festwocheneröffnung sind anscheinend das ganze Jahr über keine sinnvolle Auslastung für solch eine grandiose Gegend im Herzen der Donaumetropole.

Kinderspielplatz: Nun ja, auch nicht ganz im Sinnė einer eleganten Großstadtlandschaft aus der Zeit des Historismus. Man verlegte ihn erst an die äußeren Teile rechts und links, etwas vom Park abgeschirmt, beschränkte ihn schließlich auf die Unke vordere Ecke und belegte den Boden sinnigerweise mit einem Kunstrasen, vielleicht in der Meinung, wenn historische Kunststile eine Nachahmung erfahren können, warum dann nicht auch die Natur? Daß ein Kinderspiel en miniature für diesen Platz keine Lösung darstellt, dürften letztlich Jugend- und Kinderfreunde eingesehen haben.

Daß ein Platz, umgeben von einer grandiosen Architekturkulisse aus Burgtheater, Parlament, Rathaus und Universität, gerahmt von prachtvollen Parkanlagen - sicher einer der schönsten Europas -, nur einfach dasein muß, ein Ort, wo vielleicht dann und wann die Musik der Stadt ihren Bewohnern und interessierten Touristen erklingen mag - das kleine grüne Salettel für die Kapelle und die Sesselreihen darum herum fügen sich sogar ganz reizvoll in das Bild -, das hat leider Geschäftemacher, Nutzenbringer und Verwerter, Organisatoren und Showmenschen nicht ruhen lassen. - Warum sollte auch eine Fertighausschau von Einfamilienhäusern an den Stadtrand verlegt werden? Besser anscheinend der Rathausplatz, denn das WIG-Gelände, das wäre wohl zu entlegen gewesen!

Wie anregend der Weihnachtsrummel, mit seinen dampfenden, nach üblem Fett riechenden Würstel- und Langosständen, mit Hutschenschleu- dertypen und Jahrmarktsschreiern, mit Kitsch- und Ramschverkäufern, dafür war wohl der Raum vor dem Messepalast zu klein? - Diesen „Christkindlmarkt“ könnte man eher einen Jahrmarkt nennen, vielleicht sähe man sich erst etwa einmal in Nürnberg an, was so ein echter Christkindlmarkt ist … Oder eine Airportausstellung, die kann man doch nicht am Messegelände zeigen. Die springt am Rathausplatz jedem Vorüberfahrenden, ob sie ihn interessiert oder nicht, so stark ins Auge, daß er gar nicht mehr merkt, daß er sich eigentlich auf dem historischen Flek- kerlteppich der Ringstraße befindet Und für die Airportleute aus aller Welt ist dies natürlich ein ganz und gar ungewohnter Rahmen. Eben, damit kann man sich nur in Wien brüsten: inmitten der Stadt, auf dem Rathausplatz, zwei Reihen Plastikkojen und bekrönt von zwei abscheulichen, schmutzigen Zelten, aufzubauen.

Stadtrat Prof. Wurzer spricht von Entschandelung und sagte: „Früher hat man sich um diese Dinge nicht so gekümmert, wir haben erst in den letzten Jahren einen Blick dafür bekommen.“ Damit meinte er eigentlich, daß er die Peitschenleuchten durch stilvollere Schneeglöckchen-Kandelaber ersetzen wolle. Es fragt sich nur, ob die supermoderne Stadtautobahnbeleuchtung schuld an dem Rummel- und Ausstellungsgelände vor dem Rathaus ist?

Wie können Ringstraße und Rathausplatz ihr altes, schönes Gesicht wieder zurückerhalten, wenn anscheinend ihr Daseinssinn verloren gegangen ist? Es will ja niemand das Wien des 19. Jahrhunderts steril konservieren. Aber gibt es wirklich niemand Verantwortlichen im Rathaus, dem dieses Treiben wider den Strich geht, der weiß, was gemeint ist, der Wien nicht als eine potemkinsche Stadt, sondern auch heute noch als eine Stadt mit Atmosphäre und Ambiente sehen möchte und dies auch Verwirklichen kann?

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