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Der „Fortschritt“ hat Grenzen

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Gehört Sentimentalität zur Vorweihnachtszeit?

Die Welt schubladisiert die Gefühle und drückt auf die Geldbörsen. Heile-Welt-Suche?

Es hat nichts mit dieser angeblichen Sentimentalität des Advent zu tun, wenn sich Wiens Erzbischof in diesen Tagen mit einem Memorandum an den Wiener Bürgermeister und in einem Brief an den Bundespräsidenten wandte. Es geht um die Zukunft des Stephansplatzes.

Dieser Platz — wer bezweifelt es? — ist nicht nur eine x-beliebige Fläche zwischen mehreren Häusern und einer Kirche. Er ist ein Stück österreichisches Refugium, der Ort historischer Bezüge und ein Ort der Begegnung — noch lange bevor andere Orte für diese Begegnung dagewesen sind. Freilich: er ist auch ein Ort der Begegnung des Menschen mit Gott.

Wer wollte leugnen, daß dieses! gotische Wunderwerk mit seinen romanischen Türmen jenes Symbol ist, das dem Österreicher — gleichgültig, welcher religiösen Zugehörigkeit er auch sein mag — dann ans Herz greift, wenn er sich eins weiß mit dem Land und seinen Mitbürgern gleicher österreichischer Zunge? Wer erinnert sich nicht an die Tage, da der Steffel brannte, als die Pum-merin herabstürzte — aber, wie ein Wunder — der Dom dennoch überlebte? Überlebte da nicht gleichzeitig ein Volk, hungrig, müde — aber nicht entmutigt?

Sentimentalitäten... vielleicht.

Aber es ist eine Frage, die alle Österreicher angeht, was aus diesem Platz vor dieser Kirche in der Mitte der Bundeshauptstadt Wien werden soll.

Denn man plant, im Zuge der U-Bahn-Bauarbeiten Ausgänge — gleich Löchern — rund um die Kirche just so zu placieren, daß aus dem Platz ein modernistischer ausgewalzter Emmentaler wird. Daß die U-Bahn-Löcher mit den bekannten Plexiglas-Hütteln umgeben werden sollen, braucht nicht erst • ausdrücklich erwähnt zu werden.

Nun müßte man dennoch keine Sorgen haben, würde man in Wien Beispiele finden, wie solche moderne verkehrstechnische Lösungen elegant und diskret dennoch möglich sind. Aber es gibt solche Beispiele in Wien nicht und man mag im Rathaus auch noch so viel Zusicherungen geben, sich um „stilvolle“ Varianten sorgen zu wollen: „stilvolle“ Varianten hat man dort noch nie gefunden.

Und dann ist da überdies der Plan der Stadtverwaltung, den Stephansplatz „auszugestalten“. Weil aber am Stephansplatz die Kärntnerstraße beginnt (der Wiener Stadtverwaltung großer Stolz), weiß man jetzt schon, wo das Planungsbeispiel für den Stephansplatz hergeholt werden wird. Aus dieser Nachbarschaft: vom abscheulichen Monstrum zwischen Oper und Stock im Eisen. Es muß einmal ausgesprochen werden: die Kärntnerstraße ist — auch wenn die Umsätze der Geschäftsleute gestiegen sind — eine banale und miserable Lösung geworden. Sie ist im Sommer ein Rummelplatz butterbrotverzehrender Short-Touristen geworden (die sich im braungewordenen Brunnen gelegentlich die Füße waschen), im Winter ist sie ein einfallsloser, grauer Pflaster-Friedhof, auf dem bestenfalls Sektenprediger ihre angelsächsischen Werbesprüchlein aufsagen. Und das alles soll dem Stephansplatz auch angetan werden?

Man muß das Ärgste befürchten.

Die Zähigkeit, mit der bisher der Wiener Magistrat jene Idee ablehnte, die Ausgänge der U-Bahn in benachbarte (sowieso der Gemeinde gehörende) Häuser zu verlegen, scheint eine ganz bestimmte Methode zu haben. Warum lehnt man etwa auch ab, die Ausgänge, wenigstens einige Meter in die Seitenstraßen zu ziehen?

Aber was kann denn die Wiener Rathäusverwaltung motivieren, sich in dieser Frage so ganz besonders stur — was sonst? — zu verhalten? Geld kann bei der Stadt, die sich ganz andere Kosten aufladet und selbst die Donau umverteilt, nicht ausschlaggebend sein. Ist es vielleicht so etwas wie ein später Schildbürgerstreich gegen die „bürgerliche“ Stadt — ausgeführt von den „proletarischen“ Vorstädten, weit draußen?

Kardinal König schreibt in diesen Tagen nicht nur im eigenen Namen — und auch nicht als Oberhirte in Sachen der Dom- und Metropoli-tankirche St. Stephan: er schreibt im Namen aller Wiener, ja aller Österreicher und appelliert an die Vernunft — und an den verbliebenen Rest von Stil- und Ortsgefühl, das ja überall in der Welt abhanden zu kommen scheint

Es geht aber auch schlichtweg um die Erhaltung jenes Ensembles, das für Österreichs Identität einfach notwendig ist. Was ein Staatsgefühl erzeugt, ist sicher nicht rationell auszuloten. Es bildet sich aus dem Gefühl der Gleichartigkeit und der Unterscheidbarkeit, es braucht Mythos und Symbol. Mythos und Symbol brauchen Orte, an denen sie entzündbar sind. Frankreich ist ohne seinen Pariser Are de Triomphe nicht Frankreich, England ist ohne sein Londoner Parlament nicht England, selbst die USA sind ohne ihre New Yorker Freiheitsstatue nicht die USA.

Niemand versucht bei uns verkrampft nach nationalen Heiligtümern und niemand will'eine Kreüz-zugsstimmung wegen der Löcher vor dem Stephansdom.

Aber es ist an der Zeit, sich darüber klar zu werden, daß nicht alles in diesem Land und in dieser Stadt einem sogenannten Fortschritt untergeordnet werden darf und überdies einem Stilempfinden, das sich an Mistelbach und Holläbrunn orientiert (womit nichts gegen die ehrenwerten Mistelbacher und Hollabrun-ner gesagt sein soll). Ganz gleich, ob die Donauinsel ein halbes Jahr früher oder später fertiggestellt wird: es gibt keine „zu teure“ Lösung, um den Stephansplatz in seiner Schönheit zu erhalten und dieses kostbare Denkmal mittelalterlicher Kunst unserer Vorfahren in seiner Unverfälschtheit und in seiner unwandelbaren Schönheit zu bewahren.

Man hat in Österreich — wie anderswo auch — immer wieder Neuem gegenüber Altem den Vorrang gegeben. Schon in der Zeit des Barock, im 19., vor allem im 20. Jahrhundert Am Stephansdom- aber hat niemand herumgepfuscht Ja, man hat selbst im Barock an ihm nur „gotisch“ gebaut.

Ein Eingriff vor der Kirche ist so gut wie ein Eingriff am Dom selbst.

Man bewahre uns davor.

Und auch unsere Kinder. Auch sie haben ein Recht auf ihren Steffel.

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