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Das grüne Wien

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ES IST NOCH FRÜH IM JAHR, und doch erinnert uns zuweilen ein wärmerer Windhauch, daß es Frühling ist. In den Wiener Parks leuchten die gelben Ruten der Forsythien. Die Zeit der Krokusse und der von duftenden Blüten übersäten Zweige' des Flieders ist nicht mehr fern. In den Glashäusern des Wiener Stadtgartenamtes und der Bundesgärten, in den Büros der Gartenarchitekten und in den Ateliers der Graphiker und Bildhauer herrscht bereit? Hochbetrieb. Der Gärtner geht mit Gummischürze und Gummistiefeln an den mit Beton umrandeten und mit Glas bedeckten Beeten entlang, gießt die noch zarten Pflänzchen und lockert die Erde ein wenig auf, in der sie wachsen. Architekten sitzen an den Zeichentischen und arbeiten an Entwürfen für die Neugestaltung dieser oder jener Anlage. Ein Graphiker zeigt im Kaffeehaus seine Bleistiftskizzen von neuen Wegweisern und Verbotstafeln mehreren Kol legen. Der Bildhauer Seebacher meißelt an einer seiner beliebten Spielplastiken, die in einfachster Form und Linienführung unsere Kleinen erfreuen sollen.

IN DIESEN WOCHEN WIRD UNSER WIEN

WIEDER GRÜN. Ein Arzt erklärt, daß dieses

„Grün" mehr ist für unsere Stadt als Zierde und Aufputz, wie Damen an ihr schlichtes graues Kostüm eine glitzernde Nadel heften, um sich zu schmücken. ..Das lebende Grün“, führt er aus, „ist nicht nur diejenige Farbe, die für den Sehpurpur unserer Augen Ruhe und Entspannung bedeutet, sondern das lebende Grün, Blätter, Gräser und Blumen, ist für den Großstädter ein lebenswichtiger Faktor." — Das vergangene und die erste Hälfte dieses Jahrhunderts schlossen den Menschen der Großstadt immer mehr in graue Mauern ein. über denen der giftige Rauch von Fabriken und die Auspuffgase der fortschreitenden Motorisierung von Jahr zu Jahr anwuchsen. Die Straßen füllten sich mehr und mehr mit gesundheitsschädlichen Stoffen, so daß die Städteplanung sich aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen in zunehmendem Maße gezwungen sah. dieses Grau der Häuserfronten durch Grünflächen aufzulockern. Die Pflanzen nehmen den Kohlenoxydgehalt der Luft auf und atmen den für uns alle lebenswichtigen Sauerstoff aus und tragen somit zur Reinigung der Luft bei, deren Feuchtigkeitsgehalt sie darüber hinaus noch durch ihre Wasserverdunstung in günstiger Weise beeinflussen. Professor Tandler bezeichnete einmal die öffentlichen Gärten als „Lungen der Großstadt", möge diese. Bezeichnung allein die Bedeutung der Grünflächen innerhalb des Stadtbereiches unterstreichen. „Aus allen diesen Gründen", so führte Bürgermeister Jonas in einer Rundfunkansprache aus, „muß eine zielbewußte Grünflächenpolitik stets eine Herzensangelegenheit jeder Städteplanung ein."

Die Bevölkerung der Stadt Wien kann, dank der wunderbaren Lage ihrer Stadt, an Sonntagen im Wienerwald und seiner weiteren Umgebung, dem Wald-und-Wiesen-Gürtel, der Wien umschließt, Erholung suchen. Während der Arbeitswoche müssen jedoch die Grünflächen innerhalb des Stadtbildes für die nötige Entspannung zur Verfügung stehen. Deren Gestaltung liegt in den Händen bewährter Fachkräfte, lie sich der Bedeutung ihrer Arbeit voll bewußt sind. Wenn diere Männer vor einigen Jahren den Ausdruck

„soziales Grün" prägten, so sollte dies kein parteipolitisches Mäntelchen sein, mit dem sie ihre Arbeit umhüllen wollten, sondern lediglich die Tatsache feststellen, daß das, was auf diesem Gebiet geleistet wurde und geleistet wird, für alle da ist. In vergangenen Zeiten waren Parks und Gärten das Vorrecht des Adels, in unserem Jahrhundert wurden sie zu einem wertvollen Gut, das jedem einzelnen in gleicher Weise gehört.

ZUM AHNHERRN UNSERER ÖFFENTLICHEN PARKANLAGEN wurde der Prater, als Kaiser Joseph II. ihn 1766 für die Bevölkerung zur Erholung und als Ausflugsziel freigab. Der Stadtpark folgte im Jahre 1861, ihm schlossen sich in zeitlicher Folge öffentliche Grünflächen in den Vororten und an der Peripherie der Stadt an. Vor allem unter Bürgermeister Lueger machten die Anstrengungen, grüne Inseln in die graue Granitwüste zu pflanzen, entscheidende Fortschritte. Wien wurde ein Beispiel für viele Städte Europas. So setzte sich immer mehr und mehr eine sinnvolle und zweckmäßige Gestaltung der städtischen Gärten durch. 'Sie ist heute ein Hauptbestandteil des Städtebaues geworden.

Während des zweiten Weltkrieges wurden in

Wien Gartenanlagen im Ausmaß von dreieinhalb Millionen Quadratmeter vernichtet. Die städtischen Gärten waren von 700 Bombentrichtern zerwühlt und von 500.000 Kubikmeter Schutt bedeckt. Es kostete unendliche Mühe und Arbeit, und allein in den ersten vier Nachkriegsjahren 30 Millionen Schilling, um diese Schäden zu beheben. Jetzt jedoch verfügt unsere Stadt wieder über 10,000.000 Quadratmeter Grünflächen, die nach den modernsten Gesichtspunkten der Gartenarchitektur angelegt wurden und noch weiteren Modernisierungen unterworfen werden sollen.

AUCH DIE GARTENMODE ÄNDERT IHR GESICHT, wenn auch nicht so rasch wie die Haute couture in den mondänen Zentren der Welt. Die Zeit des „Beserlparks“, dessen Inventar meist aus einigen mehr oder, weniger ungepflegten Bäumen und Sträuchern, wenigen Bänken und Papierkörben, dem unvermeidlichen Sandkasten und vielen Verbotstafeln bestand, ist vorbei. Auch die Periode des Natursteins, der nach dem Krieg vielfältigst verwendet wurde, machte einer. Epoche des Kunststeins Platz.- In verschiedensten Farben und Formen belebt er nun das Bild des modernen Parks. Ja. in der Gartenplanung ist, abgesehen von den gesundheitlichen Gründen, eben der Hang zur Repräsentation auch ein wenig mitbestimmend. Der Wetteifer der einzelnen Länder und Städte, die schönsten, die modernsten, die geschmackvollsten Gatten zu besitzen, läßt die Gartenarchitekten immer neue Variationen ersinnen. In Wien ist dieser Faktor besonders wichtig, sollen dpch die Parks in dßtn ausländischen Besucher d£n Eindruck hervorrufen, in eine blühende, lebensfrohe Stadt gekommen zu sein.

Bildhauer bemühen sich um eine neue, zweckmäßige und individuelle Ausgestaltung der K i nr der Spielplätze. Watrinnen und Planschbecken sollen den Großstadtkindern ein wenig Fluß und See ersetzen. Eingezäunte Ballspielfelder schützen die Herren hinter der Zeitung und die Frauen, die mit einer Handarbeit auf den Gartenbänken ausruhen wollen, vor unliebsamen Attackierungen durch Bälle aller Art. Steinplastiken, Leiternsysteme in verschiedenen Formen, Kletterbäume rttit dicken, glatten Aesten bieten den Kindern alle erdenklichen Vergnügungen und lassen dem spielenden Kind beinahe unbeschränkten Raum, seine Phantasie zu entfalten. Man betraute Künstler mit der

Aufgabe, Spielgeräte zu schaffen, weil man damit einer Industrie, die nun Leitern und Rutschen, Sandkästen und Planschbecken nach Schema F erzeugt, vorgreifen wollte. Jeder Spielplatz soll diejenigen Spielgeräte bekommen, die sich aus seiner Lage ganz natürlich ergeben, und die dadurch erreichte Vielfalt der Geräte wiederum soll dem Kind das Gefühl geben, daß es Menschen gibt, die sich Mühe geben, Dinge ganz speziell für sie zu schaffen.

WASSER GIBT LEBEN. Wasser tritt auch als Gestaltungselement der Grünflächen mehr und mehr in den Vordergrund der Gartenarchitektur. Wasser gibt Leben, seine vielfältigen Farben und Reflexe regen die Phantasie an. Ein kleiner Springbrunnen, eine Vogeltränke, ein Wasserspiel geben schon der beengtesten Anlage eine Andeutung von.’ der kühlen Schönheit einer Quelle. Jedem, der dort ausruht, drängt sich ein wenig von der Ferienstimmung auf, die ihn nach der Mittagspause, vielleicht mit einem Lächeln um die Lippen an die Arbeit zurückkehren läßt. Bei größeren Parkanlagen, die ihrem Charakter nach einer Landschaft schon ähnlicher sind, gestaltet sich die Planung von Wasserflächen schwierigen, es:.sei. denn,, ein natürlicher Wasser- lau); oder ein Teic-h wären schon-vorhanden. Da genügen kleine Veränderungen, das n Pflanzen einer Strauch- oder Baumgruppe, die gut überlegte Placierung einiger Felsen oder der Einbau einer Staustufe, um die landschaftliche Wirkung zu unterstreichen. Eine Frau steht auf dem kleinen steinernen Steg, in dessen Nähe ein Boot angekettet ist, und füttert einige majestätische weiße Schwäne, ein Enterich mit grünschillerndem Kopf und den blauen Spiegeln an den Flügelenden, kommt näher und möchte auch gerne mithalten, schließlich hat er ja sein Weibchen zu versorgen, das dort unter den Weiden auf den Eiern sitzt. Dieses Bild vor Augen, und wie die Bäume und Sträucher sich ihrem Spiegelbild entgegenneigen, da könnte man fast den Lärm der Autos vergessen, und daß es draußen, dort hinter den Bäumen, eine Stadt gibt.

DER DERNIER CRI DER MONDÄNEN GARTENGESTALTUNG ist der Hundespielplatz. Ein solcher soll im Schweizerpark, der nach Fertigstellung der U-Bahn — wann dies sein wird, wissen wir nicht — in der Nähe des Siidbahnhofes neu angelegt werden soll, auch vorhanden sein. Dort wird kein Dackel mehr traurig sagen: „Bitte an die Leine“, sondern Pudel. Spaniel und die Promenadenmischung werden nach Lust und Laune herumtollen können. Kein ermüdendes „Platz“ und „Sitz“ wird mehr zu vernehmen sein, wenn Waldi es sich nicht verkneifen konnte,, eine Taube anzubellen.

So suchen die Wiener Gartenarchitekten alt und iung und auch unseren vierbeinigen Freunden gerecht zu werden. Den gesundheitlichen und biologischen Notwendigkeiten, wie der -Schaulust und der Freude an der blühenden Natur versuchen sie in gleicher Weise Rechnung zu tragen.

„WIENS GANZES GEBIET IST EIN UNGEHEURER HERRLICHER GARTEN mit schönen Rebenhügeln und Obstgärten bekrönt... mit Jagdbarkeit, Fischteichen .. . mit den lieblichsten Landhäusern... und Gärten.“ So schrieb einmal im 15. Jahrhundert ein Liebhaber Wiens in sein Tagebuch. — Das Ziel der modernen Gartenplanung dieser Stadt möge es sein, trotz der immer fortschreitenden Motorisierung und Mechanisierung, trotz der Wohn- und Bürohausblöcke, die wie die Pilze aus der Erde wachsen. Wien als grüne Stadt zu erhalten.

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