6851700-1976_49_20.jpg
Digital In Arbeit

Wer diskutiert schon über den Minoriten-platz?

Werbung
Werbung
Werbung

Daß Bürgermeister Gratz der „Getreidegarten“ auf dem Ballhausplatz nicht gefällt, und die Baulücke geschlossen werden muß, darin ist er sich eigentlich mit allen zuständigen Stellen einig. Dieser Platz vor der Mi-noritenkirche stellt heute das wichtigste Verbauungsprojekt der Wiener Innenstadt dar. Der Grund gehört dem Land Niederösterreich. Die niederösterreichische Landesregierung platzt aus allen Nähten und braucht ein neues Bürogebäude. Das gegenüberliegende Außenamt hat ebenfalls seine Wünsche für dringenden Raumbedarf deponiert.

Ehemals stand auf diesem Grund das alte Kaiserspital, das Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde. Zu dieser Zeit wurde der gesamte Mi-noritenplatz umgestaltet. Die Kirche selbst wurde erst damals freigelegt, der lange Klosterchor weggerissen, die Hof- und Staatskanzlei konnte vergrößert werden, ihre Fassade, die direkt der Baulücke gegenübersteht, wurde erst in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in historisierendem Stil erbaut. Sie fügt sich unaufdringlich in das Ensemble Ballhausplatz-Mino ritenplatz.

Bald hundert Jahre aber wartet nun dieser Platz auf seine Vollendung. Jede Generation hat seither für diese Stelle ein neues Projekt entworfen. In der NS-Zeit konnte man sogar eine Bautätigkeit bis zum ersten Stock beobachten. Krieg und Bomben haben dem dann ein Ende bereitet, so daß schließlich der Volksmund behauptete, auf diesem Grundstück liege ein Fluch; Getreide, Gras und wilde Sträucher würden wohl dort immer erhalten bleiben. Doch diese einmalige städtebauliche Herausforderung wollen weder Landeshauptmann Maurer noch Stadtrat Prof. Wurzer von sich wegschieben. Jetzt soll dieser Platz einer „würdigen Lösung zugeführt werden“, sagt Prof. Wurzer.

Die Gretchenfrage aber lautet: Was ist eine „würdige Lösung“? Gibt es heute einen Architekten, der einen modernen Bau taktvoll in ein ge-schichtsträchtiges Ensemble einzufügen bereit ist, und nicht danach strebt, an solch prominenter Stelle sich selbst ein Denkmal zu setzen? Zugegeben, die Versuchung ist groß, und es wird unbestritten ein gehöriges Maß an Charakter und Verantwortungsbewußtsein von ihm verlangt.

Nun taucht aber die Frage auf, ob nicht ein altes Projekt, das vielleicht schon historischen Wert hat, für die Gestaltung des neuen niederösterreichischen Amtshauses herangezogen werden könnte. Es gibt eines, das vor vierzig Jahren bereits angenommen war, noch dazu von einem berühmten, heute bereits in die Baugeschichte eingegangenen österreichischen Architekten, von Clemens Holzmeister. Aber Gesinnung und Weltanschauung und damit auch der Stil haben sich in den vergangenen vier Jahrzehnten grundlegend geändert. Clemens Holzmeister am Zenit seines Schaffens war ein Kind seiner Zeit, und sein Stil trägt nun einmal die monumentalen Züge jener Epoche. Es ginge gegen die künstlerische Redlichkeit, heute einen Bau aus jener Zeit aufzuführen!

Wenn es nun kein Monumentalbau aus den dreißiger Jahren, keine Glas-Metallfassade - wovon die junge Architektur heute träumt-sein soll, so kommt aber auch kein „OPEC-Haus“ an dieser Stelle in Frage. Wobei nichts gegen den Stü modernster Konzeption zu sagen wäre, doch lieber am Ufer des Donaukanals und nicht am Minoriten-platz! Das würde allerdings das erst im August dieses Jahres in Kraft getretene Altstadterhältungsgesetz verhindern, dessen Paragraph 85, Punkt 5 zu einer „stilgerechten Angleiohung“ verpflichtet. Die Bestimmung der neuen Bauordnung lautet: „Bei Errichtung eines neuen oder Änderung eines bestehenden Gebäudes in einer Schutzzone ist das Gebäude... stilgerecht ... auszugestalten oder im Baustil, Bauform, Gebäudehöhe, Dachform, technologischer Gestaltung und Farbgebung an die benachbarten Gebäude in derselben oder gegenüberliegenden Häuserzeile anzugleichen.“

Wer nun die Modelle der nieder-österreichischen Landesregierung sieht, muß sich fragen, ob die Architekten, die an diesem Wettbewerb teilgenommen haben, nicht über die Gesetzeslage informiert waren, und ob sie sich auch über jene Enqu£te von 1972, an der immerhin 300 Architekten teilgenommen haben, so ohne weiteres hinwegsetzen können. Niemand kann behaupten, daß bei diesen Modellen das neue Altstadtsanierungsgsetz berücksichtigt worden wäre. Nach einem heftigen Einspruch der Bezirksvertretung ist der Bauherr zu einer veränderten Fassadengestaltung bereit.

Die Ausschreibung und Veröffentlichung der ersten Modelle, wie die nachfolgende Diskussion der Politiker und Architekten, haben eine erschreckende Geschmacksunsicher-heit offenbar werden lassen. Der Wiener, der seine Stadt hebt, der Mann auf der Straße wie auch die kompetenten Persönlichkeiten wissen vielleicht, was sie nicht wollen, aber eine klare Vorstellung, wie der Minoritenplatz tatsächlich aussehen soll, existiert derzeit jedenfalls noch nicht.

Wien steht schließlich mit der Erhaltung und Pflege seiner Altbauten und dem Einfügen neuer Bauten nicht allein da. Es gibt genügend Vorbüder, sei es nun in Toledo, auf Malta, in Nürnberg oder etwa im kleinen Schärding in Oberösterreich.

Als Kaiser Franz Joseph seine neue Burg plante, das Glacis schleifen ließ und die Ringstraße im Entstehen war, nahm er sich die Zeit und setzte sich mit dem großen Hamburger Professo r Semper und den Wiener Architekten Hansen und Hasenauer eine ganze Woche lang außerhalb Wiens auf einem Schloß zusammen. Dort besprach man nicht nur die großzügigen Pläne; für alle Details interessierte sich der Monarch, sogar Steinmuster und Farben ließ er sich vorlegen, der „Soldatenkaiser“, der ein neues Wien plante.

Wer diskutiert heute den Minoritenplatz mit den interessierten Architekten? Würde da nicht eine von Stadtrat Wurzer vorgeschlagene Enquete der richtige Weg sein? Es geht ja, wie er selbst sagt, nicht allein um die Fassade, sondern über Baufluchtlinien, Baumasse, Dachgestaltung. Uber Fassadenvarianten und Baumaterial müßte ebenso in Ubereinstimmung mit dem Denkmalamt entschieden werden. Wenn alle diese Faktoren zu einer befriedigenden Lösung gebracht werden sollen, so ist die Auffassung, die öffentliche Hand möge keine „Geschmacksdiktatur“ ausüben, nur zu begrüßen!

Bei soviel gutem Willen und dem Einsatz erstklassiger Kräfte müßte eigentlich nicht nur eine tragbare, sondern auch eine vorbildliche Lösung gefunden werden.

Hat die Gestaltung des Minoriten-platzes kürzlich Bezirksvorsteher, Stadtplaner, Architekten und Zeitungsleute, aber auch die Wiener Bevölkerung aufgescheucht, so steht nun schon wieder ein neues Projekt ins Haus, das zu Polemiken Anlaß geben wird: Unter dem Heldenplatz soll eine Tiefgarage gebaut werden. An sich kein Grund zur Aufregung, wenn man nicht aus einer Wiener Tageszeitung wieder einmal von ominösen „Löchern“ für die Auf- und Abfahrten -und zwar ausgerechnet vor den Reiterstandbildern des Prinzen Eugen und des Erzherzogs Karl-erfahren hätte. Stadtrat Prof. Wurzer dementierte auf Befragung energisch diese Lösung. Eine Tiefgarage am Heldenplatz ist wohl schon seit einiger Zeit geplant und soll nicht nur mit parkenden Autos vor dem Wiener Kongreßzentrum in der Hofburg, sondern auch mit der Autobusparade auf diesem herrlichen Platz aufräumen helfen. Doch die Ein-und Ausfahrten sollen außerhalb des Heldenplatzes am Ring an unauffälliger Stelle hegen. Die genauen Pläne sind derzeit in Ausarbeitung. Weder ein Loch, noch eine dieser bekannten „Glashütten“ werden das Büd verschandeln, wie Semper und Hasenauer es gestaltet haben.

Wäre nur ein Wunsch noch an die Gemeinde Wien zu richten: Wie wäre es, wenn diese einzigartigen Reiterstandbilder bei Nacht ein wenig mit Licht angestrahlt würden? Sie gehören zu unseren schönsten Denkmälern. Nicht nur die Wiener, auch die Fremden würden sie ganz neu entdecken!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung